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Er schwieg einen Moment, und das Gefühl gestaltloser Furcht in mir wurde stärker. Ich versuchte es zu verdrängen, aber es ging nicht. Für einen Moment glaubte ich, Schreie zu hören. Flackernde rote Lichtblitze huschten über das Meer, und in das Salzwasseraroma des Ozeans mischte sich ein Übelkeit erregender Gestank. Dann verschwand die Vision.

»Aber nicht alle starben«, fuhr Andara fort. »Ein paar von ihnen entkamen, und sie siedelten sich an einem neuen Ort an, tausend Meilen entfernt und unbemerkt von den anderen. Das Erbe von Salem lebte weiter.«

»Jerusalems Lot?«

Andara nickte. »Ja. Sie wählten diesen Namen, weil sie die Menschen kannten und wußten, wie leicht sie zu täuschen waren. Nach außen hin waren sie gläubige Menschen, Männer und Frauen, die täglich in den Gottesdienst gingen und ihre Kinder in christlichem Glauben erzogen. Aber sie haben niemals vergessen, was ihnen angetan wurde.«

»Und Sie sind ... einer von ihnen?«

Andara lächelte verzeihend. »Nein, Robert. Niemand von denen, die aus Salem entkamen, lebt noch. Niemand bis auf ... einen«, fügte er hinzu. »Es war mein Großvater. Er war einer der wenigen, die dem Morden entkamen. Er und eine Handvoll Männer und Frauen. Er zeugte meinen Vater und gab das verbotene Wissen an ihn weiter, und mein Vater lehrte es mich.« Er senkte den Blick, und als er weitersprach, klang seine Stimme bitter. »Die Menschen sind grausam, Robert, viel grausamer, als du ahnst. Ein Jahrhundert lang störte niemand den Frieden von Jerusalems Lot, aber dann wiederholte sich das Schicksal. Wir waren vorsichtig, aber nicht vorsichtig genug. Nach und nach begannen die Menschen in den benachbarten Orten zu ahnen, daß die Einwohner des kleinen Dorfes anders waren als sie, und alles begann von vorne.«

»Sie haben sie ... umgebracht?« fragte ich stockend.

»Nicht sofort«, erwiderte Andara. »Aber sie begannen sich vor ihnen zu fürchten. Später haßten sie sie. Ich war einer der wenigen, der die Gefahr erkannte, ich und die vier anderen Großmeister der Macht. Ich habe sie gewarnt, aber sie wollten nicht auf mich hören. Und schließlich verließ ich sie, weil ich wußte, was geschehen würde.« Er seufzte. »Ich hätte es nicht tun dürfen. Ich habe sie verraten, Robert. Ich habe sie im Stich gelassen und bin geflohen wie ein Feigling.« Wieder stockte er. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und sein Atem ging schnell und schwer. »Sie kamen, kurz nachdem ich fort war. Es war wie in Salem, nur schlimmer, viel schlimmer. Die Einwohner der Nachbarorte rotteten sich zusammen und fielen mit Feuer und Tod über Jerusalems Lot her. Sie haben sie getötet. Unschuldige Männer, Frauen und Kinder.«

»Aber was ... hätten Sie tun können?« fragte ich hilflos. »Sie wären auch getötet worden und ...«

»Vielleicht«, unterbrach mich Andara. »Aber vielleicht hätte ich sie retten können. Wir waren fünf, Robert, fünf Hexer. Unsere vereinten Kräfte hätten vielleicht gereicht, den Mob zurückzuhalten. Vielleicht hätten ein paar Zeit gefunden, zu fliehen. Aber sie starben, weil ich nicht da war. Aber ihr Fluch lebte weiter, Robert. Sie waren Hexer wie ich, und der Fluch eines Hexers erlischt nicht mit seinem Tod. Es ist mehr als zwanzig Jahre her. Seitdem bin ich auf der Flucht.«

»Vor Toten?« keuchte ich fassungslos.

»Vor ihrem Fluch«, antwortete Andara. »In ihren Augen war ich ein Verräter. Vielleicht haben sie sogar recht, und vielleicht wäre es meine Pflicht gewesen, zu bleiben und gemeinsam mit ihnen zu sterben. Aber ich habe mir eingebildet, ich könnte davonlaufen!« Er lachte schrill. »Als ich unten in der Kabine lag und ihr alle glaubtet, ich wäre krank, habe ich in Wirklichkeit versucht, meine Spur zu verwischen. Ich Narr!«

»Aber zwanzig Jahre ...«

»Was bedeutet Zeit vor dem Fluch eines Hexenmeisters?« unterbrach er mich erregt. »Ich habe mir eingebildet, stark genug zu sein, aber ich war es nicht.« Er fuhr herum und starrte nach Norden. »Mein Gott, was war ich für ein Narr!« wiederholte er. »Vielleicht habe ich ihn gerade durch meine Anstrengungen erst auf unsere Spur gebracht. Ich fühlte mich sicher, Robert. Dreitausend Meilen und zwanzig Jahre von Jerusalems Lot entfernt fühlte ich mich sicher genug, den Fluch brechen zu können. Aber er hat mich endlich doch eingeholt.«

»Er?«

Andara wies nach Norden. »Das Wesen, das sie riefen, um mich zu bestrafen. Das Werkzeug ihrer Rache. Yog-Sothoth, der Schrecklichste der GROSSEN ALTEN. Diese Narren! Wie müssen Sie mich gehaßt haben, diese Wesen aus den Abgründen der Zeit heraufzubeschwören, nur um mich zu vernichten.«

Yog-Sothoth ... Der Name hallte ein paarmal hinter meiner Stirn wieder, und erneut und viel stärker als beim ersten Mal hatte ich das Gefühl, mich an Dinge zu erinnern, die ich niemals erlebt hatte. Alte und schreckliche Dinge, ein Wissen, das zu furchtbar war, um von Menschen angerührt zu werden. Plötzlich fror ich.

»Können Sie es ... vernichten?« fragte ich stockend.

Andara lachte bitter. »Vernichten? Yog-Sothoth vernichten? Das kann ich nicht. Niemand kann das, Junge. Ein Kind kann einen Waldbrand zwar legen, aber nicht mit bloßen Händen löschen. Die Macht von vier Hexern hat ausgereicht, ein Tor zu öffnen, das die Macht von viertausend nicht mehr schließen kann.« Er wies mit einer fast zornigen Geste aufs Meer hinaus. »Er wird mich töten, egal, wie weit ich vor ihm davonlaufe, Robert. Meine Macht reicht vielleicht, ihn zurückzuhalten, eine Stunde, vielleicht zwei. Vielleicht lange genug, daß du und die Männer das Schiff verlassen könnt. Danach wird er mich holen. Und ich werde nicht mehr davonlaufen.«

»Aber das ist doch Wahnsinn!« entfuhr es mir. »Dieses ... dieses Ding kann nicht an Land. Wir können ein Boot nehmen und ....«

»Ich habe schon zu vielen den Tod gebracht, Robert«, unterbrach mich Andara sanft. »Es sind genügend Unschuldige gestorben, nur weil ich einmal in meinem Leben feige war. Ich bin davongelaufen, und die acht Männer, die heute gestorben sind, sind meinetwegen gestorben. Es darf nicht noch mehr Tote geben. Du mußt leben.«

»Ich? Aber was habe ich ...?«

»Yog-Sothoth wird nicht wieder gehen«, unterbrach er mich. »Er wird weiterleben, nachdem er mich getötet hat. Und wenn das geschehen ist, ist er frei. Er und vielleicht andere, die mit ihm kamen. Jemand muß da sein, der den Kampf fortfährt. Es gibt jemanden in London, der die Kraft und das Wissen hätte, den Kampf zu gewinnen, aber er braucht Hilfe. Deine Hilfe.«

»Aber wieso ich?« fragte ich hilflos. »Wieso ausgerechnet ich? Ich bin kein Hexer wie Sie. Ich verstehe nichts von Schwarzer Magie und Zauberei!«

»Aber du bist ein Erbe der Macht, wie ich«, sagte Andara ernst. »Du weißt es noch nicht, aber die Begabung ist in dir. Ich habe es gespürt, als ich dich zum ersten Mal sah. Der Mann, zu dem ich dich schicken werde, wird dir helfen, deine Kräfte zu erforschen und zu lernen, sie richtig anzuwenden.«

»Ich?« keuchte ich. »Ich soll ein Hexer sein? Sie ... Sie sind verrückt.«

Und ich wußte im gleichen Moment, in dem ich die Worte aussprach, daß er recht hatte. Es war kein Zufall, daß er mich mit auf diese Reise genommen hatte. Er hatte mich gesucht, jemanden wie mich. Meine Fähigkeit, immer zu wissen, ob mich jemand belog oder nicht, die Gabe, immer im rechten Moment am richtigen Ort zu sein, mein Instinkt, immer genau das richtige zu tun, um den mich meine Kameraden immer so bewundert hatten - es war nicht einfach nur Glück ...

Andara lächelte, hob die Hand und berührte die gezackte, wie ein erstarrter Blitz geformte Strähne weißen Haares, die dicht über seinem rechten Auge begann und sich bis an den Scheitel hinaufzog. »Du besitzt die gleichen Fähigkeiten wie ich, Robert«, sagte er sanft. »Und bald wirst du das Stigma der Macht tragen.«