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Ich starrte ihn an, öffnete den Mund, brachte aber keinen Laut hervor.

»Es tut mir leid«, flüsterte Andara. »Ich hätte es dir gern auf andere Weise beigebracht. Ich weiß, was du jetzt fühlst.«

Aber ich hörte seine letzten Worte kaum mehr. Mit einem krächzenden Schrei auf den Lippen fuhr ich herum und lief davon, so schnell ich konnte.

Während der letzten halben Stunde war der graue Streifen vor dem Horizont erst zu einer Linie, schließlich zu einer zerschrundenen, zweihundert Fuß senkrecht in die Höhe strebenden Felswand geworden. Ihre Basis verschwand in einer Wolke weißer, wie fein zermahlener Staub schäumender Gischt, aber die Wellen brachen sich schon ein gutes Stück vor der Küste, bildeten verräterische Wirbel und Strudel, zwischen denen nur hier und da ein schwarzer, feuchtglitzernder Umriß hervorstach. Die LADY OF THE MIST raste auf die Küste zu, auf sie und die Barriere mörderischer Riffe, die dicht unter der Wasseroberfläche auf die Schiffe lauerte, die unvorsichtig genug waren, sich ihnen zu nähern. Die Küste tanzte dicht vor uns auf und ab; im gleichen Rhythmus, in dem sich der Bug des Schiffes in Wellentäler senkte oder auf ihre Rücken hob. Das Heulen, mit dem sich der Wind an den kantigen Graten der Wand brach, war selbst über die Entfernung von mehr als einer Meile deutlich zu hören, aber das Geräusch klang in meinen Ohren wie boshaftes Hohngelächter.

»Wahnsinn«, murmelte Bannermann neben mir. Seine Stimme war fast unnatürlich gefaßt, aber sein Gesicht hatte jede Farbe verloren. »Das ist Wahnsinn«, murmelte er erneut, als ich nicht reagierte. »Wenn mir vor zwei Stunden jemand erzählt hätte, daß ich mein Schiff freiwillig auf die Riffe steuern würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt.« Er starrte mich an, und ich spürte, daß er auf eine Antwort wartete.

Aber ich schwieg. Meine Gedanken weigerten sich noch immer, sich in geordneten Bahnen zu bewegen. Hinter meiner Stirn tobte ein Orkan einander widerstrebender Empfindungen und Gefühle. Ich wußte im Grunde genau, daß Andara recht hatte, mit jedem Wort. Jetzt, da ich die Wahrheit erfahren hatte, fielen mir all die tausend Kleinigkeiten ein, die ich erlebt hatte; Dinge, die jetzt, mit meinem neu erworbenen Wissen, ein völlig anderes Gewicht bekommen hatten. Ich hatte das Talent, von dem Andara gesprochen hatte. Und irgendwie - ohne mir selbst darüber im klaren gewesen zu sein - hatte ich es die ganze Zeit über gewußt, schon lange, bevor ich Andara kennengelernt hatte.

Aber ich wollte es nicht wissen. Ich wollte nichts mit all diesen Dingen zu tun haben, mit Hexern, Dämonen und Zauberern, Magie und Ungeheuern aus einer anderen Zeit. Ich schloß die Augen, ballte in einer Geste hilflosen Zornes die Fäuste und preßte die Stirn gegen das feuchte Holz des Mastes.

Bannermann schien meine Reaktion falsch zu deuten. »Die Küste ist ungefährlicher, als es scheint«, sagte er in einem schwachen Versuch, mich zu beruhigen. »Die Riffe liegen tief genug unter der Wasseroberfläche, und es ist Flut. Wenn wir Glück haben, hebt uns eine Welle darüber hinweg. Und wenn nicht«, fügte er hinzu, »schwimmen wir eben. Sie können doch schwimmen?«

»Das ist es nicht«, murmelte ich. Bannermann runzelte die Stirn und sah mich fragend an, und für einen Moment war ich ernsthaft versucht, ihm alles zu erzählen.

Aber natürlich tat ich es nicht, und nach einer Weile begriff Bannermann, daß ich nicht weiterreden würde, und wandte sich mit einem lautlosen Achselzucken um.

Ich sah ihm nach, hob den Blick und suchte Andara. Er stand noch immer dort, wo ich ihn zurückgelassen hatte, wandte mir aber den Rücken zu und starrte auf das Meer hinaus. Ich versuchte, mir den lautlosen Kampf vorzustellen, der in seinem Inneren toben mußte, aber ich konnte es nicht. Er hatte gesagt, daß er Yog-Sothoth zurückhalten würde, bis das Schiff und seine Besatzung in Sicherheit waren, und ich wußte, daß er es konnte. Aber ich wollte gar nicht wissen, wie er es tat.

Das Schiff hob sich in einer schwerfälligen Bewegung auf den Rücken einer Woge, zitterte einen zeitlosen Moment reglos auf ihrem Kamm und stürzte zehn, zwanzig Fuß tief in das Wellental hinab. Die Erschütterung ließ mich gegen den Mast taumeln. Ich klammerte mich fest, wartete, bis der Boden unter meinen Füßen zu bocken aufgehört hatte und wandte mich wieder zum Bug um.

Die Küste war näher gekommen. Das Schiff schoß mit phantastischer Geschwindigkeit auf die Flutlinie und die vorgelagerte Riffbarriere zu, und es konnte nur noch Minuten dauern, ehe es sie erreicht hatte. Ich schickte ein lautloses Stoßgebet zum Himmel, daß Bannermann recht hatte und seine Worte nicht nur eine fromme Lüge gewesen waren, mit der er mich beruhigen wollte. Ich verstand nichts von der Seefahrt, aber seine Erklärung erschien mir einleuchtend: Das Meer war unruhig, und der Wind, der im Laufe der letzten halben Stunde immer heftiger geworden war, peitschte das Wasser zu zwanzig Fuß hohen Wogen. Wenn die LADY OF THE MIST die unterseeische Rifflinie im richtigen Moment erreichte, und wenn sich eine der gewaltigen schaumigen Wellen unter ihren Rumpf schob und sie anhob ...

Wenn, wenn, wenn ... Es waren ein paar »wenns« zuviel. Wahrscheinlich würde das Schiff wie eine Nußschale zerbrechen, wenn es die Flut gegen die gezackte Mauer schmetterte, die eine Handbreit unter der Wasseroberfläche lauerte.

Ein plötzliches, intensives Gefühl von Gefahr schreckte mich aus meinen Gedanken. Ich sah auf, fuhr mir verwirrt über die Augen und blickte alarmiert über das Schiff. Der Wind ließ die Segel knattern, und der Schiffsrumpf ächzte und stöhnte unter der Belastung wie ein lebendes Wesen. Die Takelage war leer; die Besatzung hatte sich auf dem Deck der LADY OF THE MIST verteilt, um sich auf ein eventuelles Auflaufen vorzubereiten. Mein Blick tastete über das Meer, dorthin, wo der unsichtbare Verfolger lauern mochte. Aber der Ozean war leer, und irgend etwas sagte mir, daß es eine Gefahr ganz anderer Art war, die ich spürte.

Hinter dir, Robert!

Die Stimme war so klar, als stünde der Sprecher unmittelbar neben mir. Andaras Stimme ...

Aber ich war allein auf dem Vorderdeck; der Hexer befand sich am anderen Ende des Schiffes, mehr als hundertfünfzig Fuß von mir entfernt! Und seine Stimme war direkt in meinen Gedanken!

Es ist hinter dir, Robert. Es ... um Gottes willen! Lauf weg! Bringe dich in Sicherheit!

Alles schien gleichzeitig zu geschehen. Ich handelte, ohne zu denken und - aber das wurde mir in diesem Moment nicht bewußt - nicht einmal aus freien Stücken, sondern gezwungen von einem fremden, ungeheuer starken Willen, federte zur Seite und schlug ungeschickt auf den glitschigen Decksplanken auf. Ein Schrei gellte über das Schiff, und irgend etwas Dunkles, Feuchtes und ungeheuer Starkes krallte sich in meinen Rücken, riß mich in die Höhe und versuchte, mich gegen den Mast zu schleudern.

Diesmal reagierte ich instinktiv. Statt mich gegen die Kraft zu stemmen, wie es der Angreifer erwartet haben mußte, machte ich im Gegenteil einen blitzschnellen Schritt nach vorne, griff mit beiden Händen über meine Schultern zurück und bekam eine haarige Hand zu fassen. Ich vollführte eine halbe Drehung, knickte in die Hüfte ein und legte alle Kraft in die Bewegung nach vorne. Meine Füße verloren auf dem glitschigen Deck den Halt; ich fiel. Aber der Kerl, der mich gepackt hatte, wurde in hohem Bogen über meinen gekrümmten Rücken hinweggeschleudert, segelte drei, vier Meter durch die Luft und schlitterte mit haltlos rudernden Armen gegen die Reling.

Sie zerbrach unter seinem Anprall. Der Mann rutschte mit fast unvermindertem Tempo über das Deck hinaus, drehte sich im letzten Moment und bekam ein Stück der zerborstenen Reling zu fassen. Mit einem Ruck, der ihm fast die Arme aus den Gelenken reißen mußte, fing er seinen Sturz ab.