Выбрать главу

Bannermann nickte. »Ja. Wir haben eine Höhle gefunden. Sie hat einen zweiten Ausgang. Von dort kommen wir auf die Küste hinauf.« Er seufzte. »Mein Gott, Craven, was ist das?« keuchte er plötzlich. »Ein Alptraum?«

»Ich fürchte nein«, erwiderte ich leise. »Aber ich weiß es so wenig wie Sie, Captain. Wenn Andara noch lebte ...«

»Er lebt.«

»Er ...« Fassungslos starrte ich Bannermann an. »Er lebt?« wiederholte ich ungläubig.

»Ja. Aber er wird sterben. Er hat mich hierher geschickt, um nach Ihnen zu sehen.« Er versuchte zu lachen, aber es mißlang. »Verdammt, ich habe keine Ahnung, woher er gewußt hat, daß Sie hier sind. Das Schiff ist vor einer halben Stunde gesunken. Und ...«

Aber ich hörte schon gar nicht mehr zu. So rasch es meine gemarterten Muskeln zuließen, stürmte ich an Bannermann vorbei und rannte über den flachen Strand auf die Felswand zu. Der Eingang der Höhle, von der er gesprochen hatte, war nicht schwer zu entdecken - er war groß wie ein Scheunentor, und in der samtenen Dunkelheit dahinter glomm das rote Auge einer Fackel. Ich lief hindurch, blieb dicht hinter dem Eingang stehen und versuchte, in der ungewohnten Dunkelheit etwas zu erkennen.

Andara lag ein Stück jenseits des Einganges. Bannermanns Leute hatten aus Lumpen und Fetzen des Segels ein provisorisches Lager errichtet und ihn zugedeckt. Aber das weiße Segeltuch war dunkel von Blut, und der Umriß seines Körpers schien mir seltsam falsch und deformiert.

Andara öffnete die Augen, als ich neben ihn trat. Sein Blick flackerte einen Moment, und zuerst fürchtete ich fast, daß er mich gar nicht erkannte. Aber dann lächelte er; ein schmerzliches, verzerrtes Lächeln, das eher wie eine Grimasse aussah.

»Robert«, murmelte er. »Du hast es ... geschafft.«

Behutsam setzte ich mich neben ihn und streckte die Hand aus, wie um ihn zu berühren, schreckte aber im letzten Moment zurück. »Nicht ich«, sagte ich kopfschüttelnd. »Es war kein Zufall, daß die Strömung alle überlebenden hierher getragen hat, nicht?«

»Nur ein ... kleiner Kunstgriff«, murmelte Andara. »Aber ich fürchte, es war mein letzter.« Er hustete gequält, bäumte sich auf und sank mit einem seufzenden Laut wieder zurück. »Hör mir ... zu, Robert«, flüsterte er. Seine Augen waren geschlossen. Er fieberte. Aber ich spürte, daß sein Geist klar war. »Ich ... habe versagt. Ich habe dich ... benutzt. Kannst du mir ... verzeihen?«

Ich lächelte. »Das Amulett? Es ist schon gut. Es war das einzige, was Sie tun konnten.«

»Du wußtest es?«

Ich hatte es nicht wirklich gewußt, aber jetzt, im nachhinein, erschien mir alles klar. Andaras plötzliche Gesundung war kein Zufall, ebensowenig wie die unerklärliche Schwäche, die mich überfallen hatte, nachdem er den ersten Angriff des GROSSEN ALTEN abgewehrt hatte. Es war das Amulett gewesen, das er mir gegeben hatte. Irgendwie - ohne daß ich auch nur wissen wollte, wie - hatte das Schmuckstück es ihm ermöglicht, meine Kräfte zu benutzen, die Energien meines jungen, gesunden Körpers anzuzapfen wie eine Kraftquelle. Yog-Sothoth mußte das erkannt haben. Deshalb hatte er die Toten geweckt und auf mich gehetzt, nicht auf Andara selbst. Er mußte gewußt haben, daß Andaras Kräfte erloschen, wenn ich das Amulett nicht mehr trug.

»Du ... verzeihst mir?« fragte er noch einmal.

»Es gibt nichts zu verzeihen«, murmelte ich. »Wir können uns später darüber unterhalten, in London. Jetzt...«

»Es wird kein später für mich geben«, unterbrach er mich. »Ich werde sterben. Yog-Sothoth hat... sein Versprechen eingelöst und mich getötet. Ich habe mich nur noch gewehrt, Weil ... da etwas Wichtiges ist, das ich dir sagen muß.«

Ich wollte eine Frage stellen, aber Andara machte eine schnelle, abwehrende Geste, und ich schwieg.

»Hör mir genau zu, Robert«, flüsterte er. Seine Stimme verlor mehr und mehr an Kraft und war kaum mehr zu verstehen. An seinem Hals zuckte eine Ader im hektischen Rhythmus seines Pulsschlages. »Da ist noch etwas, das du nicht weißt. Du mußt den Kampf aufnehmen. Geh ... geh nach London. Geh zu ... Howard. Meinem ... Freund ... Howard. Du findest ihn im Hotel Westminster. Geh zu ihm und ... und sage ihm, Roderick Andara schickt dich. Sage ihm, wer du bist, und er wird dir ... helfen.«

»Wer ich bin? Aber ich ...«

»Du bist... mein Erbe, Junge«, murmelte Andara. »Du ... bist nicht der, der du ... zu sein glaubst.« Er lächelte flüchtig. »Du hast deine Eltern niemals gekannt, nicht wahr?«

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Worauf wollte er hinaus?

»Auch ... auch ich hatte ein Kind, Robert«, flüsterte er. »Einen Jungen wie dich. Meine ... Frau starb bei... bei seiner Geburt, und ... ich wußte, daß meine Feinde auch ihn ... töten würden, wenn sie erführen, wer er ist.«

Langsam, ganz langsam stieg eine furchtbare Ahnung in mir hoch. Aber ich schwieg weiter und hörte gebannt zu.

»Ich ... brachte ihn zu einer Frau, von der ich wußte, daß sie ein gutes ... Herz hatte«, sagte er mühsam. »Ich gab ihr Geld und ... löschte die Erinnerung an mich aus ihrem Geist.«

»Sie ...«, murmelte ich. »Sie wollen sagen, daß Sie ... daß du ...«

»Später, als ich glaubte, dem Fluch entrinnen zu können, habe ich angefangen, ihn zu suchen, Robert«, flüsterte Andara. Seine Hand kroch unter der Decke hervor und suchte die meine. Sie fühlte sich warm und schwammig an, feucht und nicht so, wie sich eine menschliche Hand anfühlen sollte. Ich vermied es, sie anzusehen.

»Ich hätte es nicht tun dürfen«, keuchte er. »Ich hätte dich niemals ... finden dürfen, Robert. Aber jetzt... mußt du den Kampf... fortführen. Geh nach ... London. Geh zu Howard und ... sage ihm, daß dein Vater dich schickt.«

Das waren seine letzten Worte. Sein Gesicht glättete sich, und der Ausdruck des Schmerzes auf seinen Zügen wich einem seltsamen Frieden.

Es dauerte lange, bis ich merkte, daß ich die Hand eines Toten hielt.

Irgendwann berührte mich Bannermann an der Schulter, und ich sah von Andaras Gesicht auf. Aber ich erkannte den Kapitän kaum. Eine seltsame Teilnahmslosigkeit hatte von mir Besitz ergriffen, ein Gefühl der Lähmung, dem der wirkliche Schmerz erst noch folgen würde. Ich hatte meinen Vater gefunden, nach mehr als fünfundzwanzig Jahren, und ich hatte ihn im gleichen Moment wieder verloren.

Roderick Andara, der Meister, war tot.

Aber noch während ich diesen Gedanken dachte, spürte ich, wie sich tief in meiner Seele etwas regte; die ersten, tastenden Bewegungen einer Macht, die bisher geschlummert hatte und erst langsam zu erwachen begann.

Mein Vater war tot, aber der Hexer lebte weiter.

Denn der Hexer bin ich.

Zweites Buch - Tyrann aus der Tiefe

Der Wind peitschte den Regen beinahe waagerecht über die Wasseroberfläche. Mit der Nacht waren Wolken vom Meer her gekommen, eine schwarze, brodelnde Front, die das bleiche Licht des Vollmonds verschluckte und eisige Regenschauer auf die Erde herabstürzen ließ. Der böige, eiskalte Wind sorgte zusätzlich dafür, daß die Bewohner dieses Küstenlandstrichs vergaßen, daß nach dem Kalender eigentlich Hochsommer war und selbst die Nächte warm sein sollten.

Selbst das regelmäßige Klatschen, mit dem die Ruder ins Wasser tauchten, klang gedämpft und wurde vom Rauschen des unablässig fallenden Regens verschluckt.

Steve Cranton ließ mit einem erschöpften Seufzen die Riemen los, setzte sich auf und streckte die Arme nach beiden Seiten aus. Sein Rücken schmerzte. Sie ruderten seit fast einer Stunde im Kreis über den kleinen, runden See, und das Boot war vom Regen schwer geworden. Seine Füße, die in schwarzen Gummistiefeln steckten, standen bis zu den Knöcheln im eisigen Wasser, und die Kälte war beharrlich durch die Stiefel und die zwei Paar Wollsocken gekrochen, die er darunter trug. Bis zu den Knien hinauf fühlten sich seine Beine taub an.