Eine neue, besonders mächtige Welle traf das Boot; so heftig, daß sowohl O'Banyon als auch Cranton die Balance verloren und übereinanderstürzten.
Fluchend arbeiteten sie sich wieder hoch. Das Boot schaukelte wild, aber die Lampe war wie durch ein Wunder nicht erloschen. Der kalkweiße Lichtstrahl zuckte wie ein dünner, bleicher Finger über den See, bohrte sich in den Himmel und senkte sich wieder.
»Um Gottes willen, Jeff - nicht!«
Crantons Schrei ging in einem ungeheuren, trompetenden Brüllen unter. Der Schatten am Ende des Lichtstrahls wuchs ins Ungeheuerliche, explodierte in einer Woge von Schwarz und glitzernden Schuppen und sprang mit einem gewaltigen Satz auf die beiden Männer zu.
Das Boot bäumte sich auf. Eine weitere Welle traf seinen Rumpf, riß eines der Ruder weg und ließ das Ende des anderen wie eine Keule kreisen; Cranton schrie auf, als ihn das unterarmstarke Holz am Hinterkopf traf und abermals nach vorne schleuderte. Auch O'Banyon schrie vor Schrecken, kippte hintenüber und ließ die Karbidlampe fallen. Der kalkweiße Lichtstrahl kreiste noch einmal über den See, als die Lampe auf den Bootsrand prallte und zischend verlosch.
Aber den Bruchteil einer Sekunde, bevor der Lichtstrahl vom Schwarz der Nacht verschluckt wurde, war in seinem Zentrum ein gewaltiger, alptraumhafter Umriß erschienen ...
O'Banyon wußte hinterher nicht mehr, was wirklich geschehen war, und in welcher Reihenfolge. Etwas traf das Boot und zerschmetterte es, als wäre es ein Spielzeug. Er schrie, hörte Cranton neben sich brüllen und schluckte Wasser, als er mit Urgewalt in den See geschleudert und tief unter die Wasseroberfläche gedrückt wurde. Instinktiv hielt er die Luft an, trat Wasser und versuchte mit kräftigen, weit ausholenden Zügen von der Stelle wegzuschwimmen, an der das Boot gesunken war. Sein Herz hämmerte, und um seine Brust schien ein Stahlreifen zu liegen, der langsam zusammengezogen wurde. Blind vor Angst griff er aus, durchbrach die Wasseroberfläche und sog gierig Luft in die Lungen.
Rings um ihn herum kochte der See. Als hätte ein unsichtbarer Regisseur im Hintergrund die Wolken beiseite geschoben, um die schreckliche Szene ausreichend zu beleuchten, schien der Mond durch eine gewaltige dreieckige Lücke in den Regenwolken, und der See lag hell beleuchtet in seinem silbernen Licht da.
O'Banyon schwamm ein paar Meter auf das Ufer zu, schluckte abermals Wasser, als eine neue Woge über ihm zusammenschlug und ihn ihr Sog hinabzerrte, kämpfte sich prustend wieder an die Oberfläche und warf einen Blick zurück.
Das Boot war verschwunden. Der See, vor Augenblicken noch ruhig wie ein gewaltiger Spiegel, hatte sich in ein Chaos aus schaumigen Wellen und brodelnder Bewegung verwandelt. Weder von Cranton noch von dem Ding, das ihr Boot getroffen und versenkt hatte, war die geringste Spur zu entdecken.
O'Banyon atmete tief ein, drehte sich wieder herum und schwamm mit kräftigen Zügen zum Ufer. Das Wasser war eisig, und er spürte, wie seine Kräfte mit jeder Sekunde schwanden. Als er schließlich die unkrautbewachsene Uferböschung erreichte, hatte er kaum noch die Kraft, sich aus dem Wasser zu ziehen.
Der grauhaarige Ire blieb sekundenlang zitternd und mit klopfendem Herzen liegen. Schwarze Bewußtlosigkeit drängte in seine Gedanken und drohte ihn zu übermannen, und in seinem linken Bein erwachte ein klopfender, immer stärker werdender Schmerz. Schließlich stemmte er sich auf Ellbogen und Knie hoch, kroch ein Stück vom Wasser weg und brach wieder zusammen. Sein Atem ging pfeifend und unregelmäßig, als er sich auf den Rücken drehte und wieder zum See hinabsah.
Der Mond überschüttete Loch Shin noch immer mit bleichem, unheimlichem Licht. Seine Oberfläche hatte sich wieder beruhigt, nur hier und da trieben noch Holzsplitter oder Teile ihrer Ausrüstung, und genau in seiner Mitte, dort, wo das Ding aufgetaucht war, stiegen in regelmäßigen Abständen große, schimmernde Luftblasen an die Oberfläche und zerplatzten.
O'Banyon stemmte sich hoch, fuhr sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht und stand nach Sekunden vollends auf. Sein Blick glitt unstet über den See. Das Wasser schimmerte ölig, und für einen Moment hatte er das Gefühl, dicht unter seiner Oberfläche einen gigantischen dunklen Umriß zu erkennen. Aber es war nur ein Schatten, hervorgerufen durch das Spiel des Mondlichtes und der Wolken.
»Steve?« rief O'Banyon. Seine Stimme zitterte, und das Heulen des Windes schien wie gellendes Hohngelächter darauf zu antworten.
Aber das war auch die einzige Antwort, die er bekam. O'Banyon sah sich unsicher um. Alles in ihm schrie danach, einfach herumzufahren und wegzulaufen, so schnell er konnte; weg von diesem schrecklichen Ort. Aber Steve Cranton war nicht nur sein Angestellter, sondern auch sein Freund. Er konnte ihn nicht einfach im Stich lassen.
Mit zitternden Knien ging O'Banyon den Weg zurück, den er sich gerade erst mühsam die Böschung hinaufgeschleppt hatte, blieb wenige Zentimeter vor dem Wasser stehen und bildete mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. »Steve!« schrie er. »Antworte doch! Wo bist du?«
Aber wieder antwortete ihm nur das Heulen des Windes. O'Banyon trat zitternd noch ein Stück weiter an den See heran, bis seine Füße bis zu den Knöcheln im weichen Uferschlamm versanken, sah sich mit wachsender Verzweiflung um und rief immer und immer wieder nach Cranton.
Etwas berührte seinen Fuß. O'Banyon fuhr zusammen, sprang hastig einen Schritt zurück und lächelte nervös. Es war nur ein Stiefel, der mit den Wellen herangetrieben worden war und jetzt im Uferschlick schaukelte.
Nur ein Stiefel...?
Es war Crantons Stiefel, erkannte O'Banyon voller Schrecken. Zehn, fünfzehn Sekunden lang starrte er den schwarzen Gummistiefel aus schreckgeweiteten Augen an, dann ließ er sich in die Hocke sinken, beugte sich vor und griff mit zitternden Fingern danach.
Er merkte gleich, daß irgend etwas nicht stimmte. Der Stiefel war zu schwer, und dunkles Blut floß daraus hervor.
O'Banyon schrie gellend auf, als er begriff, daß Crantons Stiefel nicht leer war ...
Der Wagen kam mit einem harten Ruck zum Stehen. Die Erschütterung ließ mich unsanft von meinem improvisierten Strohlager herunter und gegen einen von Bannermanns Matrosen purzeln, und für die nächsten Sekunden waren wir voll und ganz damit beschäftigt, unsere Arme und Beine zu entwirren. Erst dann gelang es mir, mich aufzusetzen und - noch immer verschlafen und müde - in die Runde zu blinzeln.
Die Sonne war aufgegangen, und das bedeutete, daß wir die ganze Nacht durchgefahren sein mußten. Das letzte, woran ich mich erinnerte, war die Abenddämmerung gewesen, sie und die Kälte, die trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit vom Meer her auf das Land gekrochen war. Ich mußte mindestens zehn Stunden durchgeschlafen haben. Trotzdem fühlte ich mich zerschlagen und müde, als hätte ich nur wenige Minuten geruht.
»Wir sind da«, drang eine dunkle Stimme in meine Gedanken. Ich sah verwirrt auf, starrte einen Moment lang Bannermann an, der meinen hilflosen Blick mit einem gutmütigen Grinsen quittierte, und sah dann nach vorne. Unser Kutscher hockte zusammengesunken und in ein halbes Dutzend Decken gewickelt auf dem schmalen Bock und blickte mit einer Mischung aus Ungeduld und schlecht unterdrückter Heiterkeit auf uns herab. Nun, wahrscheinlich boten wir - abgerissen und heruntergekommen, wie wir alle waren - wirklich einen lächerlichen Anblick.
»Wir sind da«, sagte der Kutscher noch einmal. Diesmal unterstrich er seine Worte mit einer Geste nach vorn. Der Weg teilte sich wenige Yards vor uns. Linkerhand führte er wieder hinauf in die karge Hügellandschaft, durch die wir bisher gefahren waren, rechts fiel er sanft ab, und weit im Osten war eine dünne, blaue Linie zu erkennen.
»Ab hier müssen Sie zu Fuß weiter«, fuhr er fort. »Is' aber nich' weit. Sechs oder sieben Meilen. Wenn Sie sich ranhalten, sind Sie in drei Stunden in Goldspie.« Er grinste und entblößte eine Reihe fleckiger, gelber Zähne. »Ich hätt' Sie gerne mitgenomm' auf meinen Hof, aber von da kommen Sie nich' weiter.«