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»Ich sehe nicht aus wie jemand, der solche Kreditbriefe mit sich herumträgt, ich weiß«, seufzte ich. »Aber vermutlich hätte ich sie nicht mehr lange, wenn man es mir ansähe.« Ich zog meine Brieftasche, reichte ihm meinen Paß und wartete, bis er den Namen darin mit dem in dem Kreditbrief verglichen hatte.

»Wie ... möchten Sie das Geld, Sir?« fragte er, noch immer stockend und unsicher, wenn auch jetzt sichtlich aus anderen Gründen.

»Klein«, antwortete ich. »Ich muß ein paar Besorgungen machen. Einen neuen Anzug zum Beispiel. Können Sie mir einen guten Schneider hier in der Nähe empfehlen?«

Der Kassierer schüttelte den Kopf, während er bereits damit begann, Ein- und Fünf-Pfund-Noten in sauberen kleinen Stapeln vor mir abzuzählen. »Ich fürchte, mit einem Schneider kann Goldspie nicht aufwarten, Sir«, antwortete er. »Aber Sie können zu Leyman gehen.«

»Leyman?«

»Der Laden auf der anderen Straßenseite. Es ist das beste Geschäft im Ort. Und das einzige«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu.

Hinter mir waren Schritte. Aber ich war sicher, daß sich die Tür nicht geöffnet hatte.

»Ich bin sicher, Sie werden etwas Passendes bei ihm finden, Sir«, fuhr der Kassierer, plötzlich äußerst redselig geworden, fort. »Er hat eine große Kollektion von Anzügen und Kleidern. Das meiste bezieht er direkt aus London, wissen Sie?«

Die Schritte kamen näher. Sie hörten sich schwerfällig an; plump, tappsend. Nicht wie die eines normalen Menschen. Im Grunde überhaupt nicht wie die eines Menschen ... Ich widerstand mit aller Kraft der Versuchung, mich herumzudrehen. Wenn hinter mir jemand stand - und wenn dort jemand war, dann war er nicht mein Freund -, dann würde ihn das nur zum Angriff provozieren.

»Ich müßte auch ein Telegramm aufgeben«, fuhr ich mit gespielter Gleichgültigkeit fort. Mein Blick suchte unauffällig die Wand hinter dem Kassierer. Das Sonnenlicht fiel ungemildert durch die Fenster hinter meinem Rücken, und unsere beiden Schatten zeichneten sich deutlich auf dem weißen Verputz ab.

Aber nur unsere Schatten! Kein dritter.

»Das können Sie auf dem Postamt, Sir. Aber ich fürchte, dazu ist es heute schon zu spät. Die Post schließt hier schon zur Mittagsstunde. Goldspie ist ein kleiner Ort, Sie verstehen?«

Die Schritte waren jetzt ganz nahe, und plötzlich glaubte ich einen schwachen, süßlichen Geruch zu spüren. Etwas wie Fäulnisgestank, vermischt mit Salzwasser, dem Geruch von Tang und feuchtem Sand und noch etwas anderem, Undefinierbarem. Und es wurde merklich kälter.

Etwas schneller, als ich eigentlich wollte, raffte ich mein Geld zusammen, legte den Großteil davon in meine Aktenmappe und stopfte den Rest unordentlich in die Jackentaschen.

Dann ließ ich mich zur Seite fallen, einfach so, ohne die geringste Vorwarnung und ohne auch nur mit einem Wimpernzucken zu verstehen zu geben, daß ich die Gefahr bemerkt hatte. Ich prallte auf die Schulter, rollte mich ab und kam mit einem kraftvollen Sprung wieder auf die Füße. Blitzschnell wich ich ein paar Schritte zurück, erreichte eine geschützte Ecke und blieb, leicht vornübergebeugt und mit gespreizten Beinen stehen. Meine Linke schwenkte die Aktenmappe wie einen Schild, während die andere Hand mit einer blitzartigen Bewegung den silbernen Knauf meines Spazierstockes löste. Das Florett, das darin verborgen war, sprang wie von selbst in meine Hand. Der rasiermesserscharf geschliffene Stahl bildete eine blitzende, tödliche Barriere vor mir.

Es gab allerdings nichts, wovor sie mich hätte beschützen können.

Der Schalterraum war nach wie vor leer. Die einzigen Lebewesen, die sich darin aufhielten, waren ich und der Kassierer, Ein Kassierer, der mich jetzt aus ungläubig aufgerissenen Augen anstarrte und vergeblich nach Worten rang. Sein Blick irrte zwischen mir und der Stelle, an der ich noch vor Sekunden gestanden hatte, hin und her.

»Sir...«, sagte er unsicher, »wenn ich vielleicht fragen dürfte ...«

Ich ignorierte ihn, lauschte angestrengt und sog hörbar die Luft ein. Die Schritte waren verstummt, im gleichen Moment, in dem ich mich zur Seite geworfen hatte. Der seltsame Geruch war noch spürbar, aber es war nicht mehr als ein schwacher Hauch des ursprünglichen Gestankes. Nein - wir waren wieder allein. Was immer sich an mich angeschlichen hatte, es war verschwunden.

»Ich dachte, ich ... hätte Schritte gehört«, antwortete ich ausweichend. »Hinter mir.«

»Schritte? Hier?« Der Ausdruck auf dem Gesicht des Kassierers änderte sich erneut. Jetzt hielt er mich wohl für total übergeschnappt. Aber ich hatte die Erfahrung gemacht, daß die besten Lügen immer die sind, die sich so dicht wie möglich an der Wahrheit bewegten.

»Man muß vorsichtig sein, wissen Sie?« sagte ich lächelnd. »Immerhin trage ich eine Menge Geld mit mir herum.« Langsam senkte ich das Florett, schob es in seine Hülle zurück und schraubte den Knauf wieder fest. Mein Vater hatte den Stock unter seinem Gürtel getragen, und ich hatte ihn mehr als Erinnerung an ihn denn aus praktischen Überlegungen an mich genommen. Die Waffe war eine glatte Fehlkonstruktion. Sie ließ sich im Notfall blitzschnell ziehen, aber sie wieder zusammenzubekommen, war fast ein Ding der Unmöglichkeit. Ich brauchte drei Minuten, schnitt mich dabei einmal in den Daumen, brach mir einen Nagel ab und degradierte mich in den Augen des Kassierers wahrscheinlich endgültig zum Trottel.

Endlich hatte ich die Waffe unter meinem Umhang verborgen. Der Kassierer sah mir mit steinernem Gesicht dabei zu, aber es war wahrlich nicht schwer zu erraten, was hinter seiner Stirn vorging. So schnell ich konnte raffte ich die Geldscheine auf, die mir bei meinem Sprung aus der Tasche gefallen waren, kritzelte meinen Namen unter die Quittung und beeilte mich, das Bankgebäude zu verlassen.

Erst als ich wieder auf der Straße stand, spürte ich, wie muffig und schlecht die Luft in der Bank gewesen war. Ich atmete ein paarmal tief ein, entfernte mich ein paar Schritte von dem niedrigen Holzbau und wandte mich um.

Für einen Moment glaubte ich, hinter dem Schaufenster eine rasche, huschende Bewegung wahrzunehmen. Aber der Eindruck verging, ehe ich mir seiner völlig sicher sein konnte, und alles, was ich in der hohen, teilweise bemalten Fensterscheibe erblickte, war mein eigenes, verzerrtes Spiegelbild.

Ich schüttelte den Kopf, fuhr mir nervös mit dem Handrücken über die Augen und wandte mich wieder um; eine Spur zu hastig, wie ich selbst fand.

Ich ging weiter, sah mich neugierig um und entdeckte den Laden, von dem der Bankangestellte gesprochen hatte, auf der anderen Straßenseite. Er war überraschend groß. Seine Schaufenster waren vollgestopft mit allen erdenklichen Dingen und Waren, und über der Tür schaukelte ein liebevoll handgemaltes Schild mit der Aufschrift:

Leyman - Kolonialwaren aller Art

Ich zögerte immer noch. Alles in mir drängte danach, sofort ins Hotel und zu Bannermann zurückzugehen. Aber andererseits brauchte ich frische Kleider - ich konnte nicht erwarten, daß mich die Leute freundlich behandelten, wenn ich wie ein Landstreicher dahergelaufen kam - und mich noch dazu wie ein Verrückter benahm.

Die Aktenmappe fest unter den linken Arm geklemmt, betrat ich den Laden, schloß die Tür sorgfältig hinter mir und sah mich um. Trotz der deckenhohen Schaufenster, die sich um zwei der vier Wände zogen, war der Raum nur unzureichend erhellt. Die Fenster waren fast bis auf den letzten Inch vollgestopft mit Waren, und sie starrten noch dazu vor Schmutz.

Wie die Bank war auch der Laden leer, was an der Tageszeit liegen mochte, mich jedoch in Anbetracht seiner Größe und der Tatsache, daß er das einzige Geschäft überhaupt war, doch ein wenig in Erstaunen versetzte.

Ich wartete. Nach einer Weile klangen auf dem hölzernen Zwischenboden über mir Schritte auf, dann polterte jemand lautstark eine Treppe herunter, und kurz darauf wurde eine schmale Tür an der Rückfront des Ladens aufgestoßen, und Leyman betrat den Raum. Jedenfalls nahm ich an, daß er es war.