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Schließlich begann sich tief unter der unbewegten Oberfläche des Sees ein Schatten zu bewegen. Zuerst war es nicht mehr als ein verschwommener Schemen, dann ein gewaltiger, aufgedunsener Umriß, der schließlich zu einem Körper heranwuchs, einem gigantischen, walähnlichen Ding; groß, ungeheuer groß und drohend, obwohl es noch immer tief unter der Wasseroberfläche blieb. Donhill glaubte, einen gewaltigen Kopf zu erkennen, einen schlanken, unmöglich langen Schlangenhals, kurze, zu Flossen zurückgebildete Beinchen ...

Aber er war nicht sicher. Das Wesen blieb dicht unterhalb der Grenze, an der er mehr Einzelheiten hätte erkennen können.

»Komm!« flüsterte Donhill. Seine Stimme bebte, aber er wußte, daß er keine andere Wahl hatte. Leyman hatte ihm deutlich genug gesagt, was geschehen würde, wenn sie versagten.

»Komm«, sagte er noch einmal. »Zeige dich! Ich befehle es dir!«

Der Schatten im See bewegte sich stärker, begann unruhig im Kreise zu schwimmen und sich hierhin und dorthin zu wenden, tauchte aber nicht weiter auf.

Dafür geschah etwas anderes.

Über dem See, genau über seiner Mitte, begann ein sanftes, grünes Licht zu leuchten. Donhill blinzelte verwirrt, setzte sich halb auf und erstarrte mitten in der Bewegung, als das Licht stärker wurde, zu einem flammenden, gleißenden Ball heranwuchs und immer noch an Leuchtkraft zunahm. In seinem Zentrum begann sich etwas Dunkles zu formen. Etwas wie ein Gesicht. Aber das grüne Licht nahm weiter an Leuchtkraft zu, und Donhill mußte den Blick senken, ehe er das Antlitz in seinem Zentrum erkennen konnte. Seine Augen tränten. Seine Angst steigerte sich bis dicht an die Schwelle zur Panik. Alles in ihm schrie danach, herumzuwirbeln und davonzurennen, aber gleichzeitig fühlte er sich gelähmt, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren.

»Was willst du?«

Donhill fuhr beim Klang der Stimme wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Er hatte sie erst einmal gehört, vor mehr als vierzehn Jahren, und er hatte beinahe vergessen, wie mächtig und böse sie war. Allein der Klang dieser Stimme ließ irgend etwas in ihm gefrieren.

»Ich ... brauche Hilfe«, murmelte er. »Die Fremden haben -«

»Ihr habt versagt«, unterbrach ihn die Stimme. Sie klang nicht einmal zornig, nur kalt. »Ihr hattet die Macht, die Fremden zu töten, aber ihr habt versagt.«

»Das stimmt nicht!« winselte Donhill. »Dieser Craven hat Leyman umgebracht und ...«

»Leyman war ein Narr wie du und hat sich selbst getötet«, unterbrach ihn die Stimme. »Er wußte, wie gefährlich das Craal ist, und ich habe ihn vor Craven gewarnt.«

»Aber der Blutjäger hat noch nie versagt!« begehrte Donhill auf.

Diesmal glaubte er, fast so etwas wie ein leises Lachen zu hören. »Du bist ein ebensolcher Narr wie Leyman, Donhill«, sagte die Stimme. »Ihr drei seid alle Narren. Ihr haltet euch für Zauberer, nur weil ihr ein bißchen mit den Kräften herumspielen könnt, die ich euch lieh! Ihr irrt euch. Ihr seid nichts, Donhill, nichts! Craven ist kein unwissender Tropf wie die, die vor ihm herkamen. Diese konntet ihr töten, aber Craven ist ein Hexer - seine Macht ist der euren ebenbürtig, wenn nicht überlegen.«

»Ein ... Hexer?« entfuhr es Donhill ungläubig, »Dieser ... Junge?«

»Er weiß es selbst noch nicht, aber er beginnt die Kraft, die in ihm schlummert, bereits zu ahnen. Die Macht hat nichts mit dem Alter zu tun, Donhill. Schon bald wird er seine volle Stärke entdecken und seine Kräfte entwickeln. Er könnte zu einer Gefahr für uns alle werden. So weit darf es nicht kommen. Du mußt ihn töten.«

»Aber wie?« keuchte Donhill. »Wenn selbst das Craal versagt ...«

»Es wird nicht versagen. Es hat seine Spur aufgenommen und wird ihn töten. Deine einzige Aufgabe ist es, ihn festzuhalten. Ich hoffe, wenigstens das gelingt dir.«

Donhill bemerkte die unausgesprochene Drohung sehr wohl, reagierte aber nicht darauf. Leymans Schicksal hatte ihm deutlich gezeigt, wie wenig den Mächten, mit denen sie sich eingelassen hatten, ein Menschenleben galt.

»Und ... die Bestie?« fragte er stockend.

Wieder lachte die Stimme, aber diesmal war es ein eindeutig zynisches Lachen. »Du hast sie gerufen, Donhill, und sie wird kommen. Wenn Craven und seine Begleiter um Mittemacht noch leben, wird sie kommen. Aber ich weiß nicht, ob sie sich mit diesen sieben zufriedengeben wird, wenn sie einmal Blut geschmeckt hat. Du verstehst?«

Donhill schluckte mühsam. Er verstand.

Und ob er verstand!

Wie ich den Weg zum Hotel zurückfand, wußte ich hinterher selbst nicht mehr zu sagen. Leymans Kolonialwarenladen ging hinter mir in Flammen auf; zehnmal schneller, als normal gewesen wäre. Das Feuer, das der Blutdämon entfacht hatte, mußte in den bis zum Bersten vollgestopften Regalen und Ständern reiche Nahrung finden, denn als ich das Hotel - das am entgegengesetzten Ende der gleichen Straße lag - erreichte, quollen bereits schwere, schwarze Rauchwolken aus den geborstenen Fenstern, und die ersten Stichflammen züngelten auf die Straße hinaus. Wenn Leyman sich noch in dieser Hölle aufhielt, dann war er rettungslos verloren.

Genau wie ich, wenn ich noch lange hier herumstand ...

Ich riß mich gewaltsam von dem gleichermaßen erschreckenden wie faszinierenden Bild los, stürmte ins Hotel und rannte auf die breite Treppe am entgegengesetzten Ende des Raumes zu. Der Portier versuchte vergeblich, mich zurückzurufen, aber auf halbem Wege fiel mir ein, daß ich weder Bannermanns Zimmernummer noch die seiner Männer wußte. Ich machte auf dem Absatz kehrt, hetzte, immer drei, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe wieder herunter und auf den verdutzt dreinblickenden Mann zu.

»Bannermann!« keuchte ich. »Captain Bannermann und seine Männer - wo sind sie?«

Der Mann starrte mich an, schwieg aber beharrlich. Wütend hob ich die Hand, um ihn beim Kragen zu packen und die Antwort aus ihm herauszuschütteln, tat es aber dann doch nicht, sondern drehte statt dessen das Gästebuch herum und ließ meinen Zeigefinger über die Seite wandern.

»Aber Sir!« protestierte der Portier. »Das ... das geht doch nicht!« Er versuchte mit zitternden Fingern nach dem Buch zu greifen, aber ich schlug seine Hand einfach beiseite und suchte weiter.

»Sie sehen doch, daß es geht.« Ich hatte gefunden, wonach ich gesucht hatte. Bannermann und seine fünf Leute bewohnten drei Zimmer auf der ersten Etage, direkt nebeneinander. Ein viertes war auf meinen Namen reserviert.

Ich klappte das Buch zu, legte eine Fünf-Pfund-Note obenauf und schob ihm beides über die Theke zurück. »Streichen Sie die Reservierungen«, sagte ich hastig. »Wir reisen wieder ab.«

»Aber Sir - das geht doch nicht!« kreischte der Portier. Wahrscheinlich war das sein Lieblingssatz. Ich schluckte die Antwort, die mir auf der Zunge lag, herunter, fuhr herum und rannte zum zweiten Mal die Treppe hinauf.

Ich hatte Glück, wenigstens diesmal. Bannermann war gleich im ersten Zimmer, in das ich kam. Er lag, rücklings ausgestreckt und noch vollständig angekleidet, auf einem der beiden Betten. Er schrak sofort hoch, als er mein Eintreten bemerkte, aber sein Blick war verschleiert, und im ersten Moment schien er mich nicht zu erkennen.

»Bannermann!« keuchte ich. »Wachen Sie auf! Schnell!«

Er blinzelte, fuhr sich mit der Hand über die Augen und unterdrückte mit Mühe ein Gähnen. »Was ...«, murmelte er halblaut, »ist passiert?«

»Das erkläre ich Ihnen später. Jetzt müssen wir weg hier - so schnell wie möglich.«

»Weg?« Bannermann war immer noch nicht vollends wach, aber zumindest verstand er meine Worte jetzt. »Aus dem Hotel?«

»Aus der Stadt«, entgegnete ich. »Dieses ganze Kaff ist eine Falle, Captain. Sie werden uns umbringen, wenn wir nicht von hier verschwinden.« Ich wollte ihn am Arm ergreifen und mit sanfter Gewalt vom Bett hochziehen, aber statt dessen packte er meine Hand und zog mich zu sich herab.