Bannermann runzelte die Stirn und setzte dazu an, etwas zu sagen, aber ich brachte ihn mit einem raschen Blick zum Schweigen. »Wie meinen Sie das?« fragte ich schnell.
»So, wie ich es sagte«, antwortete Priscylla. »Und zwar ganz genau so. Sie sind fremd hier. Sie kennen wahrscheinlich nicht die Geschichten, die man sich über Goldspie erzählt, aber ...«
»Sie meinen das Ungeheuer?«
Priscylla blinzelte verwirrt. »Sie ... wissen davon?«
»Wir haben einen Mann getroffen, heute morgen«, nickte ich. »Oben am See. Er erzählte von einem Monster. Aber ich weiß nicht, was davon wahr ist. Er schien ... verwirrt.«
»Jedes Wort«, sagte Priscylla. »Das Monster von Loch Shin existiert, Robert, und es fordert seinen Tribut.«
Für einen Moment hatte ich das Gefühl, von einer unsichtbaren, eisigen Hand gestreift zu werden. »Sie meinen, es ist mehr als eine Legende?«
»Ich weiß nicht, was es ist«, antwortete Priscylla. »Niemand weiß das, außer Donhill und Leyman vielleicht. Es lebt draußen im See, aber einmal im Monat, bei Vollmond, taucht es an die Oberfläche und verlangt sein Opfer. Ein Menschenopfer, Robert.« Sie seufzte, schüttelte ein paarmal den Kopf und begann mit den Händen zu ringen. Sie hatte sehr schlanke Hände. Vielleicht war sie doch jünger, als ich glaubte. »Niemand weiß wirklich, was dieses Ungeheuer ist«, fuhr sie nach einer Weile fort. Ihre Stimme klang verändert, als spreche sie nur mit sich selbst, nicht mit uns. »Es ist ein ... Ding, halb Fisch, halb Echse. Ich habe es nur einmal gesehen, aber es war ... fürchterlich. Es begann vor zehn oder zwölf Jahren, vielleicht auch eher. Vorher war Goldspie eine ganz normale Ortschaft mit ganz normalen Menschen. Aber dann kamen Donhill und Leyman hierher, und alles wurde anders. Ich glaube, das Monster war schon vorher im See, aber seit Donhill und seine Teufel hier sind, verlangt es Opfer. Sie ... sie töten Fremde, Robert. Sie nehmen sie gefangen und sperren sie in Donhills Gefängnis, bis wieder Vollmond ist. Dann werden sie der Bestie geopfert.«
»Aber warum wehren sich die Menschen in Goldspie nicht?« fragte Bannermann ungläubig.
»Sie haben es versucht, Captain«, antwortete Priscylla ernst. »Ganz zu Anfang haben sie es versucht. Aber Donhill und Leyman sind keine normalen Menschen. Sie sind Teufel, glauben Sie mir. Es gab viele Tote damals, und die Bestie hat einen Teil der Ortschaft zerstört. Seitdem wagt es niemand mehr, sich gegen die beiden zu stellen.«
»Leyman ist tot«, sagte Bannermann bestimmt. »Vielleicht ändert sich jetzt alles.«
»Nichts ändert sich«, behauptete Priscylla. »Leyman war nie der Schlimmere von beiden. Ich glaube, er hat Donhill sogar zurückgehalten, die ganze Zeit über. Jetzt, wo er nicht mehr da ist, wird Donhill erst recht zum Ungeheuer werden. Und es gibt keinen hier, der es wagen würde, sich gegen ihn zu stellen.«
»Ich glaube nicht, daß Ihr Mister Donhill kugelfest ist«, sagte Bannermann wütend. »Wenn er wirklich der Teufel ist, als den Sie ihn bezeichnen, Miß, dann ...«
Priscylla unterbrach ihn mit einem leisen, humorlosen Lachen. »Glauben Sie wirklich, auf diese Idee wäre noch niemand gekommen, Captain?« fragte sie. »Sie können Donhill nicht töten. Nach Leymans Tod ist er der letzte, der die Bestie noch im Zaum halten kann. Wenn er stirbt, würde sie die ganze Ortschaft zerstören. Und deshalb wird jedermann in Goldspie ihn mit seinem Leben schützen, auch wenn sie ihn in Wirklichkeit wie die Pest hassen.«
»Und Sie?« fragte ich leise.
Priscylla blickte mich ernst an. »Ich?« Sie seufzte. »Ich schulde den Leuten hier nichts. Sie haben erlebt, wie sie mich behandelt haben.«
»Sie haben Sie geschlagen.«
Priscylla schnaubte. »Wenn es nur das wäre. Ich lebe seit fünfzehn Jahren hier, und die letzten vier davon waren die Hölle.« Sie stand auf und machte eine Geste, die die ganze Kammer einschloß. »Wissen Sie, wer diesen Geheimraum gebaut hat?« fragte sie. »Leyman. Und wissen Sie, wozu?«
»Nein.«
Priscylla lachte böse. »Raten Sie, Craven.«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte ich, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich begann zu ahnen, was Priscylla meinte. Aber die Vorstellung erschreckte mich zutiefst.
»Ich war seine Geliebte«, sagte sie. »Nicht freiwillig, aber das interessierte ihn nicht. Die letzten vier Jahre kam er fast jede Nacht hierher. Er ... er hätte mich getötet, wenn ich ihm nicht zu Willen gewesen wäre.«
Bannermann keuchte. »Er hat Sie ...«
»Er hat mich zu seiner Hure gemacht, sprechen Sie es ruhig aus, Captain«, sagte Priscylla hart. »Ja. Vier Jahre lang hat er mich benutzt, wie es ihm gefiel. Er war ein Tier, Captain. Ein schmutziges, brutales Tier. Vielleicht verachten Sie mich jetzt, aber ...«
»Niemand verachtet Sie, Priscylla«, unterbrach ich sie sanft. »Aber Leyman ist tot, vergessen Sie das nicht.«
»Was ändert das?« fuhr Priscylla auf. »Donhill wird weiter morden, und jetzt, wo Leyman nicht mehr da ist, wird er sich holen, was vorher Leyman zugestanden hat. Er war schon lange scharf auf mich. Es wird sich nichts ändern. Es wird höchstens schlimmer werden.«
Bannermann und ich schwiegen.
»Haben Sie denn niemanden, der sich um Sie kümmert?« fragte Bannermann nach einer Weile.
Priscylla verneinte. »Meine Mutter starb, als ich ein Jahr alt war«, sagte sie. »Und meinen Vater haben sie vor vier Jahren umgebracht.«
»Donhill?«
»Leyman«, antwortete Priscylla. »Er war ihm im Weg, und als eines Tages wieder Vollmond war und rein zufällig kein Fremder bei der Hand, wurde er der Bestie geopfert. Nein, Captain, ich schulde diesem Ort nichts, und den Menschen, die in ihm leben, erst recht nicht. Ich will weg hier. Nehmen Sie mich mit?«
»Selbstverständlich«, sagte Bannermann hastig. »Und ich verspreche Ihnen, daß wir mit diesem Wahnsinn Schluß machen werden.«
Priscylla schien es vorzuziehen, gar nicht darauf zu antworten. Sie lächelte nur, ging gebückt zu einer Truhe und kam mit einem Krug und drei einfachen, tönernen Bechern zurück. »Trinken Sie«, sagte sie. »Zu Essen kann ich Ihnen nichts anbieten, aber vielleicht hilft Ihnen ein guter Sherry, wieder zu Kräften zu kommen.«
Dankbar griff ich nach dem Becher, den sie mir reichte, nahm einen tiefen Schluck und lehnte mich zurück. »Wo wollen Sie hin, wenn wir hier weg sind?« fragte ich.
Priscylla zuckte mit den Achseln. »Irgendwohin«, sagte sie. »Vielleicht nach London. Ich habe ein wenig Geld, um zu überleben, bis ich Arbeit gefunden habe. Alles ist besser, als noch länger hierzubleiben.«
»Was ... ist mit meinen Männern?« fragte Bannermann leise. »Wir hatten verabredet, uns nach Dunkelwerden am Strand zu treffen.«
Priscylla schüttelte entschieden den Kopf. »Das wird nicht gehen, Captain. Dort werden sie uns zuerst suchen.«
»Sie glauben doch nicht, daß ich ohne die Leute von hier weggehe?« fragte Bannermann scharf. »Ich bin für sie verantwortlich, mein liebes Kind.«
»Es sind erwachsene Männer, oder?« entgegnete Priscylla ruhig. »Und wenn Sie dort hinunter zum Strand gehen, Captain, dann sind Sie tot, ehe die Sonne aufgeht. Donhill wird nicht eher ruhen, bis er sie eingefangen hat. Er kann es sich gar nicht leisten, irgendwelche Zeugen entkommen zu lassen.«
Bannermann starrte sie an, schwieg aber. Er schien einzusehen, daß Priscylla recht hatte. Aber sehr wohl war ihm nicht in seiner Haut.
»Wir kommen zurück, so schnell wir können«, sagte ich. »Mit einer Hundertschaft Polizei, Captain. Keine Sorge.«
»Und was werden wir finden? Drei Tote?«
»Vollmond ist erst wieder in zwanzig Tagen, Captain«, sagte Priscylla. »Und Donhill wird ...«