»Still!«
Bannermann schnitt ihr mit einer abrupten Bewegung das Wort ab, setzte sich kerzengerade auf und starrte zur »Tür«. Priscylla verstummte abrupt, runzelte die Stirn und stand halb auf, führte die Bewegung aber auch nicht zu Ende.
Durch das dünne Holz der Schrankwand waren Schritte zu hören, schwere, schlurfende Schritte, begleitet von einem widerwärtigen, kratzenden Geräusch, einem Laut, als schleiften harte Krallen über den Boden. Dann hörten wir das Atmen.
Und es waren keine menschlichen Atemzüge ...
»Gott!« keuchte Bannermann. »Das Ungeheuer!«
Priscylla erbleichte, starrte erst Bannermann und dann mich an und blickte dann wieder zum Ausgang. Ein leichter, süßlicher Geruch lag plötzlich in der Luft. »Wovon ... reden Sie, Captain?« fragte sie unsicher.
»Das Monster«, stammelte Bannermann. »Das ... das Ding, das Billings getötet hat...« Seine Hände schlossen sich so fest um den Weinbecher, daß das tönerne Gefäß mit einem hellen Knacken zerbrach und sich der Sherry über seine Hose ergoß. Er merkte es nicht einmal.
»Wir müssen raus hier!« sagte ich. »Gibt es einen zweiten Ausgang?«
Priscylla schüttelte stumm den Kopf. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren.
»Dann durch das Dach. Helft mir!« Ich sprang auf, hielt mich mit der Linken an einem Balken fest und stellte mich auf die Zehenspitzen, um mit der anderen Hand die Dachziegel zu erreichen.
Sie saßen fest, als wären sie einbetoniert.
»Verdammt noch mal, helft mir. Wir müssen raus!« keuchte ich. Für einen Moment spürte ich eine Welle heißer, sinnverwirrender Panik, aber es gelang mir, sie niederzukämpfen und wenigstens den Anschein von Ordnung in meinen Gedanken zu schaffen. Verzweifelt ballte ich die Faust und schlug mit aller Kraft gegen den Dachziegel. Es knackte hörbar, und ein scharfer Schmerz schoß durch mein Handgelenk. Aber der Dachziegel rührte sich nicht von der Stelle.
Ich kam nicht dazu, ein zweites Mal zuzuschlagen. Der Fäulnisgestank wurde plötzlich übermächtig. Ein dumpfer Schlag traf die Schrankwand. Das ganze Zimmer schien zu zittern. Priscylla stieß einen erschrockenen Schrei aus, sprang endgültig auf und wich hastig in die hinterste Ecke des Zimmers zurück.
Ein zweiter, noch härterer Schlag traf den Schrank. In der glatten Holzfläche entstand ein langer, gezackter Riß, dann zerbarst das Holz unter einem dritten, wütenden Hieb, und etwas Gigantisches, Dunkles wirbelte in den Raum.
Bannermann schrie auf, packte den Sessel, in dem er gerade noch gesessen hatte, und schleuderte ihn mit aller Gewalt auf den Eindringling.
Es ging unglaublich schnell. Das Craal war nur als dunkler Schatten zu erkennen, aber es war nicht mehr vollends unsichtbar, wie bisher.
Und es schien auch nicht unverletzbar zu sein. Der Sessel, den Bannermann geschleudert hatte, traf es mit der Wucht eines Geschosses und warf es zurück. Das Möbelstück ging krachend zu Bruch, aber der Unheimliche wurde mit Urgewalt zurückgeschleudert und fiel zu Boden. Ein dunkler Schattenarm versuchte sich an den Resten des Schrankes festzuklammern und zerschmetterte ihn vollends.
Bannermann schrie triumphierend auf, riß ein zweites Möbelstück in die Höhe und warf es dem Monster hinterher. Es war nicht zu erkennen, ob es traf, aber von draußen erscholl ein krächzender, wütender Schrei, gefolgt von einem fürchterlichen Splittern und Bersten.
Aber der Angriff verschaffte uns nur für Augenblicke Luft. Schon nach wenigen Sekunden erschien der wogende Schatten erneut in der Öffnung. Dunkle, peitschende Schlangenarme griffen zu uns herein, fuhren mit fürchterlichem Geräusch durch die Luft und trieben Bannermann und mich zurück. Bannermanns überraschende Aktion hatte die Bestie wohl mehr überrascht als verletzt.
»Zurück!« schrie Bannermann. Seine Stimme überschlug sich fast. Ein dunkler Schattenarm griff nach ihm, streifte ihn an der Schulter und riß ihn mit fürchterlicher Macht von den Füßen. Er fiel, versuchte instinktiv wieder auf die Füße zu kommen, und sank mit einem schrillen Schrei erneut zurück, als sich der Schattendämon über ihn beugte. Ein peitschender Arm legte sich um seine Schulter. Bannermanns Schreie wurden schriller.
Irgend etwas geschah mit mir.
Ich weiß nicht, was es war. Auch später war es mir unmöglich, das Gefühl auch nur annähernd in Worte zu kleiden - aber irgend etwas schien nach mir zu greifen und meinen Willen so mühelos auszuschalten, wie der Sturm eine Kerzenflamme ausbläst.
Mit einem gellenden Schrei sprang ich vor, blieb breitbeinig über Bannermann stehen und streckte dem Unsichtbaren in einer abwehrenden, beschwörenden Geste die Hände entgegen.
Es war nicht meine Kraft. Ich hatte etwas Ähnliches schon einmal erlebt, aber diesmal war es ungleich stärker und machtvoller. Ich war in diesem Moment wenig mehr als ein Werkzeug, das einem anderen, überlegenen Willen gehorchte. Macht, eine unglaubliche, unbezwingbare Macht pulsierte durch meinen Körper. Mein Blick begann sich zu verschleiern. Wie durch einen wogenden Vorhang hindurch sah ich, wie der Schattenleib des Dämons zurückprallte, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Etwas Gewaltiges, Unsichtbares brach aus meinen Fingerspitzen, kleine blaue Flämmchen wie feurige Spuren hinterlassend, traf das Craal und schleuderte es erneut zurück.
Das Ungeheuer schrie; schrill, wütend und gleichermaßen voller Schmerz wie Zorn. Kleine blaue Flammen liefen wie Elmsfeuer über seinen Leib, zeichneten die Konturen seines Körpers nach.
Aber so schnell gab sich der Blutdämon nicht geschlagen. Mein plötzlicher Angriff hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen, die blauen Flammen, die über seinen Körper rannten, mußten ihm nahezu unerträgliche Schmerzen bereiten. Trotzdem griff er erneut an.
Ein Schatten jagte auf mich zu. Ich duckte mich und machte instinktiv einen Schritt zurück, aber meine Bewegung war nicht schnell genug.
Es war ein Gefühl, als würde ich von einer glühenden Eisenstange getroffen. Ein plötzlicher Schmerz explodierte in meiner Schulter. Ich taumelte, fiel schwer auf den Rücken und riß, blind vor Schmerzen und Angst, die Hände vor das Gesicht. Ein gewaltiger Schatten tauchte über mir auf, ein grünes, schleimiges Ding, das nur aus Fangarmen und tödlichen Mäulern zu bestehen schien. Der Schmerz in meiner Schulter steigerte sich zur Raserei, als der Dämon erneut auf mich eindrang. Einer seiner Tentakel ringelte sich um meine Schulter und begann an meinem Arm zu zerren.
Robert! Wehre dich! KÄMPFE! Ich wußte nicht, woher die Stimme kam. Sie war einfach in mir. Ich erkannte sie nicht einmal.
Aber ich gehorchte ...
Irgendwo in meinem Inneren war noch immer diese fremde, pulsierende Macht, dieses Etwas, das nicht zu mir gehörte und trotzdem ein Teil meiner Selbst zu sein schien, halb verborgen unter einem Sumpf von Schmerz und Verzweiflung. Mit einer verzweifelten Anstrengung griff ich danach, versuchte, sie zu lenken und auf den Unheimlichen zu werfen.
Ein greller Blitz drang durch meine geschlossenen Lider. Der Griff um meine Schulter löste sich. Der Blutdämon torkelte brüllend zurück. Sein Körper loderte. Die Flämmchen, die bisher über seine Glieder gelaufen waren, steigerten sich zu greller Weißglut und begannen seinen Leib zu verzehren.
Es war ein bizarrer Anblick. Der Körper des Unheimlichen begann wieder zu verblassen, verlor erneut an Substanz und wurde innerhalb weniger Sekunden unsichtbar.
Aber die Flammen brannten weiter.
Ich spürte keine Hitze, obwohl der Unheimliche noch immer auf Armeslänge vor mir stand. Sein Körper war verschwunden, aber statt dessen tobte ein lautloses, grellweißes Höllenfeuer vor mir, Flammen, die die Konturen seines Leibes nachzeichneten wie eine feurige Feder. Ich sah, wie er taumelte, mit einem schwerfälligen Zucken in die Knie brach und sich auf dem Boden zu wälzen begann. Seine Arme peitschten wie dünne, feurige Schlangen über den Boden - und vergingen.