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Noch am gleichen Abend gingen wir an Bord des Schiffes, und als die Sonne am nächsten Morgen aufging, waren wir bereits fünfzig Meilen weit draußen auf See ...

Ein leises, mühevolles Stöhnen drang in meine Gedanken. Ich fuhr hoch, stand mit einer fast schuldbewußten Bewegung auf und beugte mich erneut über das Bett. Montagues Lider zitterten, aber er schien das Bewußtsein nicht zurückzuerlangen. Seine Haut glänzte fiebrig, und die Hände unter der dünnen Decke bewegten sich unablässig, als wollten sie etwas packen.

Ein seltsames Gefühl von Hilflosigkeit überkam mich. Montague war in mein Leben gekommen wie der Märchenprinz in das Aschenputtels; er hatte mich im wahrsten Sinne des Wortes aus der Gosse aufgelesen, mir anständige Kleider gegeben und versucht, das aus mir zu machen, was Tante Maude als einen »anständigen Burschen« bezeichnet hätte. Alles, was er dafür verlangte, war meine Hilfe. Und ich konnte nichts für ihn tun. Gar nichts. Selbst das Chinin - das einzige Medikament, über das die Bordapotheke der LADY OF THE MIST verfügte - hatte sein Fieber nicht senken können.

Ich schluckte ein paarmal, um den üblen Geschmack, der sich auf meiner Zunge eingenistet hatte, loszuwerden, nahm den Wasserkrug vom Regal und befeuchtete ein Tuch, um seine Stirn zu kühlen. Es war nicht mehr als eine Geste, aber die Vorstellung, einfach untätig an seinem Bett zu sitzen und zuzusehen, wie er litt, war mir unerträglich.

Er erwachte, als ich das Tuch auf seine Stirn legte. Seine Haut war heiß; ich erschrak, als ich sie berührte.

»Robert?« Er öffnete die Augen, aber sein Blick war verschleiert, und ich hatte das sichere Gefühl, daß er mich nicht erkannte. Ich nickte, ergriff seine Hand und drückte sie leicht.

»Ja, Mister Montague«, antwortete ich. »Ich bin es. Es ist alles in Ordnung.«

»In ... Ordnung«, wiederholte er halblaut. Seine Stimme klang brüchig wie die eines Greises, und sein Atem roch schlecht. Er schwieg einen Moment, schloß die Augen und hob dann mit einem Ruck wieder die Lider. Diesmal war sein Blick klar.

»Wo sind wir?« fragte er. Er versuchte sich aufzusetzen, aber ich drückte ihn mit sanfter Gewalt auf das Kissen zurück. »Sind wir in ... England?«

»Fast«, antwortete ich. »Es ist nicht mehr weit.«

Er starrte mich an, schloß abermals die Augen und lauschte. »Das Schiff macht keine Fahrt«, sagte er nach einer Weile. »Ich dachte, wir ... wir wären in London.«

»Es ist nicht mehr weit«, wiederholte ich. »Wir liegen im Moment fest, aber sobald der Nebel sich gelichtet hat, segeln wir weiter. Morgen abend erreichen wir London. Dann bringe ich Sie zu einem guten Arzt.«

»Nebel?« Montague öffnete abermals die Augen, blickte mich einen Moment lang irritiert an und setzte sich halb auf. Diesmal ließ ich es zu. »Sagtest du Nebel?«

Ich nickte.

»Was ist das für ein Nebel?« fragte er. Seine Stimme klang alarmiert, und in seinen Augen glomm ein Ausdruck auf, der mir ganz und gar nicht gefiel. Für einen winzigen Moment blitzte vor meinem inneren Auge noch einmal das schuppige, grüne Ding auf, das ich zu sehen geglaubt hatte, draußen an Deck, und für die Dauer eines Atemzuges verspürte ich noch einmal einen Hauch jener abgrundtiefen Furcht, die die Halluzination in mir ausgelöst hatte.

Aber ich verscheuchte den Gedanken hastig und versuchte, meiner Stimme einen möglichst beiläufigen Klang zu geben, als ich antwortete: »Nichts Besonderes, Mister Montague. Nebel eben. Bannermann sagt, daß das hier in der Gegend ganz normal ist.« Das war glattweg gelogen, aber ich wollte ihn nicht beunruhigen. Es reichte vollkommen, wenn ich anfing, Gespenster zu sehen.

»Nebel«, murmelte Montague. Er hob den Kopf und sah zur Decke, und ich hatte das bedrückende Gefühl, daß sein Blick geradewegs durch das massive Holz hindurchging. »Was ist das für ein Nebel?« fragte er noch einmal. »Wann ist er aufgekommen? Ist etwas Besonderes an ihm?«

»Heute morgen«, antwortete ich verwirrt. Ich begriff nicht, worauf er mit seinen Fragen hinauswollte und begann mich insgeheim zu fragen, ob das Fieber bereits seinen Verstand zu umnebeln begann. »Und mir ist nichts Besonderes an ihm aufgefallen. Außer, daß er sehr dicht zu sein scheint.«

Ein leiser Schauer überfiel mich. Es war etwas Besonderes an diesem Nebel, und ich war plötzlich gar nicht mehr so sicher, daß ich mir das Ding dort draußen wirklich nur eingebildet hatte. Trotzdem schüttelte ich den Kopf. »Es wird alles gut, Mister Montague. Morgen um diese Zeit sind wir in London, und wenn Sie erst einmal wieder festen Boden unter den Füßen haben, werden Sie schnell gesund.«

Ich versuchte zu lächeln. »Mich macht diese endlose Reise auch ganz krank. Ich ...«

Seine Hand zuckte unter der Decke hervor und krallte sich in meinen Arm, so fest, daß ich um ein Haar vor Schmerz aufgeschrien hätte. »Der Nebel, Robert!« keuchte er. »Ich muß alles über ihn wissen! Wann ist er aufgekommen, und aus welcher Richtung? Bewegt er sich? Bewegt sich etwas in ihm?«

Diesmal gelang es mir nicht mehr ganz, mein Erschrecken zu verbergen. »Ich ...«

»Du hast etwas gesehen«, keuchte Montague. »Bitte, Robert, es ist wichtig, für uns alle, nicht nur für mich. Du hast etwas gesehen, nicht wahr?«

Ich versuchte meinen Arm loszumachen, aber Montague entwickelte erstaunliche Kräfte. Sein Griff verstärkte sich eher noch.

»Ich ... bin nicht sicher«, antwortete ich. »Wahrscheinlich war es nur Einbildung. Diese verdammte Seefahrerei macht uns ja alle krank. Wer nach fünfunddreißig Tagen auf diesem Seelenverkäufer nicht anfängt, Gespenster zu sehen, der ist sowieso verrückt.«

Montague ignorierte meine Worte. »Was hast du gesehen?« fragte er. »Erzähle es mir. Genau!«

Ich zögerte noch immer, aber plötzlich war es wie damals, in jener ersten Nacht - es war etwas in seinem Blick, das mich einfach zwang, zu reden.

»Ich ... weiß es selbst nicht genau«, sagte ich stockend. Meine eigene Stimme kam mir wie die eines Fremden vor. »Es war ... nur ein Schatten. Etwas ... Großes und ... Grünes. Vielleicht ein Fisch.«

Montagues Augen schienen zu brennen. Ich spürte, wie sich seine Fingernägel noch fester in den Stoff meiner Jacke krallten und warmes Blut über meinen Arm lief. Seltsamerweise fühlte ich keinen Schmerz. »Etwas Großes«, wiederholte er. »Überlege genau, Robert - es kann sein, daß unser Leben davon abhängt. Sah es aus wie ein Fangarm? Wie der Arm eines Oktopus?«

»Es ... könnte sein«, antwortete ich. Montagues Worte erschreckten mich mehr, als ich zugeben wollte. »Aber es war ... größer.« Ich schüttelte den Kopf, atmete hörbar ein und machte meinen Arm mit sanfter Gewalt los. Montagues Augen schienen zu brennen, als er mich anstarrte.

»Es war nichts«, sagte ich noch einmal. »Bestimmt, Mister Montague. Ich ... dieser verfluchte Nebel macht mich nervös, das ist alles.«

Er lachte, aber es war ein Laut, der mir einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. »Nein, Robert«, antwortete er. »Das ist nicht alles. Ich ... hatte gehofft, England zu erreichen, ehe sie mich finden, aber ...«

»Finden?« Ich verstand nichts mehr, aber irgendwie fühlte ich, daß seine Worte mehr waren als die Fieberphantasien eines Kranken. Es geht mir oft so - ich weiß nicht, ob es eine besondere Begabung oder nur Zufall ist, aber ich spüre fast immer, ob mein Gegenüber die Wahrheit sagt oder nicht. Vielleicht war das auch der Grund, aus dem ich Montague vom ersten Augenblick an vertraut hatte.

»Ich verstehe nicht«, sagte ich hilflos. »Wer soll Sie finden, und was hat das mit dem Nebel zu tun?«