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Er sah mich an, schwieg einen Moment und setzte sich dann ganz auf. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihn wieder auf das Bett zurückdrücken sollte, dann tat ich das Gegenteil und half ihm.

»Ich muß ... mit Bannermann sprechen«, sagte er. »Gib mir meine Kleider, Junge.«

»Ich kann ihn holen«, widersprach ich. »Es ist kalt an Deck, und -«

Montague unterbrach mich mit einem schwachen, aber trotzdem entschiedenen Kopfschütteln. »Ich muß hinauf«, sagte er. »Ich muß ... diesen Nebel sehen. Ich brauche Gewißheit.«

Gewißheit? Ich begriff überhaupt nichts mehr, aber ich versuchte auch nicht mehr, ihn von seinem Entschluß abzubringen, sondern half ihm, das schweißdurchtränkte Nachthemd auszuziehen und seine normalen Kleider anzulegen. Ich erschrak erneut, als ich ihn ohne Hemd sah - Montague war niemals ein kräftiger Mann gewesen, sondern von zarter, beinahe knabenhafter Statur und dem hellen Teint des Großstadtmenschen, der sein Haus nur verläßt, wenn es unumgänglich ist. Aber jetzt glich er einem wandelnden Skelett. Sein Körper war ausgezehrt. Die Rippen stachen wie dünne, blanke Knochen durch seine Haut, und seine Oberarme waren so dünn, daß ich sie mit einer Hand hätte umfassen können. Er hatte kaum die Kraft, Hemd und Hose anzulegen. Bei Gamaschen und Schuhen mußte ich ihm helfen, weil ihm schwindelig wurde, als er sich zu bücken versuchte. Er bot ein Bild des Jammers.

Trotzdem versuchte ich nicht noch einmal, ihn zu überreden, in der Kabine zu bleiben. Eines hatte ich in den fünfunddreißig Tagen, die ich jetzt mit ihm zusammen war, gelernt, nämlich, daß es unmöglich war, Randolph Montague irgend etwas auszureden, was er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte.

Die Kälte schlug mir wie eine unsichtbare eisige Kralle ins Gesicht, als ich vor ihm ins Freie trat. Ich fröstelte, zog das dünne Cape, das ich über die Schulter geworfen hatte, enger zusammen und sah mich auf Deck um. Der Nebel war noch dichter an das Schiff herangekrochen und lastete wie eine undurchdringliche graue Mauer jenseits der Reling. Für einen Moment fiel es mir schwer, wirklich zu glauben, daß ich mich an Bord eines Schiffes befand. Um uns war kein Ozean mehr, sondern nur noch eine graue, triste Unendlichkeit, in der allenfalls noch Platz für Furcht war.

»O Gott«, keuchte Montague. Er trat gebückt hinter mir durch die Tür, blieb stehen und streckte die Hand aus, um sich auf meine Schulter zu stützen. Ich spürte, wie seine Hände zitterten. »Sie sind es«, flüsterte er. »Es ist ... schlimmer, als ich gefürchtet habe.«

Ich sah ihn fragend an, aber er schien mich gar nicht mehr zu bemerken. Sein Blick bohrte sich in die graue Wand, die das Schiff einschloß, und wieder sah ich in seinen Augen diesen Ausdruck von Furcht, den ich schon mehrmals an ihm beobachtet hatte.

»Wo ist ... der Captain?«

Ich hob den Kopf, sah zum Achterdeck hinauf und deutete auf Bannermanns untersetzte Gestalt, die sich wie ein tiefenloser, schwarzer Schatten gegen den grauen Hintergrund des Nebels abzeichnete.

»Bring mich zu ihm«, murmelte Montague.

Ich ergriff seine Hand, legte die andere stützend unter seinen Ellenbogen und führte ihn behutsam wie ein kleines Kind, das seine ersten zaghaften Gehversuche machte, die steile Treppe zum Achterdeck hinauf. In den Nebelwolken neben dem Schiff begann eine vage, nicht wirklich sichtbare Bewegung, und für einen ganz kurzen Moment glaubte ich, ein schweres, unendlich mühsames Atmen zu hören.

»Montague!«

Bannermann hatte uns entdeckt und kam mit weit ausgreifenden Schritten über das feuchtglitzernde Deck auf uns zugeeilt. Auf seinem Gesicht lag ein erschrockener Ausdruck, der aber fast unmittelbar in Zorn umschlug, als er vor uns stehenblieb und mir in die Augen sah. »Craven!« blaffte er. »Sind Sie vollends von Sinnen? Wie können Sie diesen Mann hier heraufbringen. Er ...«

»Es war mein eigener Wunsch«, unterbrach ihn Montague. Seine Stimme war so leise, daß sie nicht zu hören gewesen wäre, wäre es an Deck nicht so unnatürlich still gewesen. Trotzdem verstummte Bannermann sofort.

»Robert hat mir von diesem Nebel erzählt«, fuhr er fort. »Und ich mußte ihn sehen.« Er atmete hörbar ein, blickte an Bannermann und mir vorbei in den Nebel hinaus und ballte die Fäuste. Seine Lippen preßten sich zu einem dünnen Strich zusammen.

»Wie lange geht das schon so?« fragte er.

Bannermann war sichtlich irritiert. »Was?«

»Der Nebel«, erwiderte Montague ungeduldig. »Robert sagte, wir liegen seit Morgengrauen fest.«

»Nicht ganz«, sagte Bannermann. »Der Nebel ist zwei Stunden vor Sonnenaufgang aufgezogen, aber der Wind hat sich erst später gelegt.« Er überlegte einen Moment. »Drei Stunden«, sagte er dann. »Vielleicht dreieinhalb.«

»Dreieinhalb Stunden!« Montague erbleichte noch weiter. »Wir können nicht hierbleiben, Captain«, sagte er. »Das Schiff muß sofort Fahrt aufnehmen. Wir ... sind alle in Gefahr, wenn wir auch nur noch eine weitere Stunde hier liegen.«

Der Blick, mit dem Bannermann ihn maß, sprach seine eigene Sprache. Ich starrte den Captain durchdringend an und versuchte, den Kopf zu schütteln, ohne daß Montague es sah. Bannermann nickte ebenso unmerklich. Er hatte verstanden.

»Ich weiß, was Sie jetzt denken, Captain«, sagte Montague leise. Er sah auf. »Und du auch, Robert - aber ich bin weder verrückt, noch phantasiere ich. Ich weiß sehr genau, was ich sage. Das ganze Schiff ist in Gefahr, jedermann hier an Bord. Dieser Nebel ist kein normaler Nebel. Wir müssen hier weg!«

Bannermann antwortete nicht sofort. Auf seinem Gesicht spiegelten sich widerstrebende Gefühle. Montagues Verhalten mußte ihm ebensolche Rätsel aufgeben wie mir; aber wie ich kannte er Montague als einen Mann, der normalerweise nicht mit dem Grauen Scherze trieb. Und vielleicht spürte auch er das Fremde, Bedrohliche, das in diesem Nebel zu lauern schien.

»Selbst wenn ich wollte«, antwortete er vorsichtig, »könnten wir keine Fahrt aufnehmen, Mister Montague.« Er schüttelte den Kopf, um seine Worte zu bekräftigen, und wies mit einer flüchtigen Geste nach oben. Montagues Blick folgte seiner Bewegung. Die Segel hingen schlaff und schwer von Feuchtigkeit, mit der der Nebel sie getränkt hatte, von den Rahen.

»Und es wäre auch viel zu gefährlich«, fügte Bannermann hinzu. »Diese Suppe ist so dicht, daß ich von hier aus nicht einmal den Bugsteven sehen kann. Ich kann das Schiff nicht blind segeln.«

»Sie begreifen nicht«, sagte Montague erregt. »Ich meine es ernst, Bannermann! Das ist kein normaler Nebel, und wenn ...«

»Mister Montague«, unterbrach ihn Bannermann betont. »Es wäre vielleicht wirklich besser, wenn Sie in Ihre Kabine gingen und in aller Ruhe abwarten, bis sich das Wetter geklärt hat.«

»Sie glauben, daß ich verrückt bin.«

Bannermann seufzte. »Das steht hier gar nicht zur Debatte, Mister Montague«, antwortete er, wobei er mir einen fast flehenden Blick zuwarf. Ich zuckte lautlos die Achseln und sah weg. »Ob ich Ihnen glaube oder nicht - wir können uns gar nicht bewegen. Die LADY ist ein Segelschiff, Montague, und ein Segelschiff bewegt sich nun einmal nicht, wenn kein Wind weht. Wir liegen fest.«

»Wir könnten rudern.«

Bannermann verdrehte die Augen. »Das hier ist ein Segelschiff«, sagte er noch einmal. »Keine Galeere. Wie stellen Sie sich das vor?«

»Es muß gehen«, beharrte Montague. »Wir haben vier Rettungsboote an Bord, und genügend Männer. Wenn sie die Boote aussetzen und die Männer rudern lassen, dann können sie das Schiff schleppen. Das geht zwar langsam, aber wir kommen von der Stelle!«

Bannermann starrte ihn an. »Das ist nicht Ihr Ernst.«

Montague nickte. »Oh doch, Captain, ich meine es ernst. Sogar todernst. Ich verlange gar nicht, daß Sie mir glauben. Wahrscheinlich täte ich es auch nicht, wenn ich an Ihrer Stelle wäre. Alles, was ich will, ist, daß Sie die Boote klarmachen und die Männer das Schiff aus diesem Nebel herausschleppen. Ein paar Meilen würden schon genügen. Sie verlieren unsere Spur, wenn wir uns bewegen.«