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Der Motor begann plötzlich zu spucken. Die Kerzen, dachte Clerfayt; wieder einmal! Das kam davon, wenn man beim Fahren nicht ans Fahren dachte! Er ließ den Wagen das letzte Stück der Steigung ausgekuppelt hinabrollen, bis er auf der ebenen Straße hielt, und öffnete die Motorhaube.

Es waren, wie immer, die Kerzen des zweiten und vierten Zylinders, die verölt waren. Er schraubte sie heraus, putzte sie, setzte sie aufs neue ein und ließ die Maschine wieder an. Der Motor funktionierte jetzt, und Clerfayt schob mit der Hand den Gashebel ein paar Mal hin und her, um das überflüssige Öl aus den Zylindern zu entfernen. Als er sich aufrichtete, sah er, daß die Pferde eines Schlittens, der von der anderen Seite kam, durch das plötzliche Heulen des Motors scheu geworden waren. Sie stiegen auf und rissen den Schlitten quer auf den Wagen zu. Er lief ihnen entgegen, griff das linke Pferd am Kopfgeschirr und ließ sich schleppen.

Nach ein paar Sprüngen blieben die Tiere stehen. Sie zitterten, und der Dampf ihres Atems wehte um ihre Köpfe. Ihre erschreckten, irren Augen wirkten, als gehörten sie vorzeitlichen Kreaturen. Clerfayt ließ die Riemen vorsichtig los. Die Pferde blieben stehen, schnaubend und mit den Schellen klirrend. Er sah, daß es keine gewöhnlichen Schlittengäule waren.

Ein großer Mann, der eine randlose Kappe aus schwarzem Pelz trug, stand im Schlitten auf und redete beruhigend auf die Tiere ein. Neben ihm saß eine junge Frau, die sich an den Lehnen ihres Sitzes festhielt. Sie hatte ein braunes Gesicht und sehr helle Augen.

»Es tut mir leid, daß ich Sie erschreckt habe«, sagte Clerfayt. »Ich habe nicht daran gedacht, daß Pferde hier nicht an Autos gewöhnt sind.«

Der Mann beschäftigte sich noch eine Weile weiter mit den Tieren; dann ließ er die Zügel locker und wandte sich halb um. »Nicht an Autos, die solchen Lärm machen«, erklärte er abweisend. »Immerhin, ich hätte den Schlitten schon halten können. Vielen Dank, daß Sie uns retten wollten.«

Clerfayt blickte auf. Er sah in ein hochmütiges Gesicht, in dem eine Spur von Spott glimmte, als mache der Mann sich höflich darüber lustig, daß er unnötig den Helden hatte spielen wollen. Es war lange her, daß ihm jemand auf den ersten Blick derart missfallen hatte.

»Ich wollte nicht Sie retten«, erwiderte er trocken.

»Nur meinen Wagen vor Ihren Schlittenkufen.«

»Ich hoffe, Sie haben sich dabei nicht unnötig beschmutzt.«

Der Mann wandte sich wieder den Pferden zu. Clerfayt sah die Frau an. Wohl deshalb, dachte er. Will selbst der Held bleiben. »Nein, ich habe mich nicht beschmutzt«, erwiderte er langsam. »Dazu gehört schon etwas mehr.«

* * *

Das Sanatorium Bella Vista lag auf einer kleinen Anhöhe über dem Dorfe. Clerfayt parkte den Wagen auf einem flachen Platz neben dem Eingang, auf dem ein paar Schlitten standen. Er stellte den Motor ab und legte eine Decke über die Haube, um ihn warmzuhalten. »Clerfayt!« rief jemand vom Eingang her.

Er drehte sich um und sah zu seinem Erstaunen Hollmann auf sich zu gelaufen kommen. Er hatte geglaubt, er läge zu Bett.

»Clerfayt!« rief Hollmann. »Bist du es wirklich?«

»So wirklich, wie man es sein kann. Und du! Du läufst herum? Ich dachte, du lägest im Bett.«

Hollmann lachte. »Das ist hier altmodisch.« Er klopfte Clerfayt auf den Rücken und starrte auf den Wagen. »Ich glaubte, von unten Giuseppes Gebrüll zu hören und dachte schon, es wäre eine Halluzination. Dann sah ich euch die Steigung heraufkommen. So eine Überraschung! Wo kommst du her?«

»Aus Monte Carlo.«

»So etwas!« Hollmann konnte sich nicht beruhigen. »Und mit Giuseppe, dem alten Löwen! Ich dachte schon, ihr hättet mich vergessen!«

Er tätschelte die Karosserie des Wagens. Er hatte ein halbes Dutzend Rennen in ihm mitgefahren. Er hatte in ihm auch seine erste schwere Blutung gehabt. »Es ist doch noch Giuseppe, was? Nicht schon ein jüngerer Bruder?«

»Es ist Giuseppe. Aber er fährt keine Rennen mehr. Ich habe ihn von der Fabrik gekauft. Er ist jetzt im Ruhestand.«

»So wie ich.«

Clerfayt sah auf. »Du bist nicht im Ruhestand. Du bist auf Urlaub.«

»Ein Jahr! Das ist kein Urlaub mehr. Aber komm herein! Wir müssen das Wiedersehn feiern! Was trinkst du jetzt? Immer noch Wodka?«

Clerfayt nickte. »Gibt es bei euch denn Wodka?«

»Für Gäste gibt es hier alles. Dies ist ein modernes Sanatorium.«

»Das scheint so. Es sieht aus wie ein Hotel.«

»Das gehört zur Behandlung. Moderne Therapie. Wir sind Kurgäste; nicht mehr Patienten. Die Worte Krankheit und Tod sind tabu. Man ignoriert sie. Angewandte Psychologie. Sehr praktisch für die Moral; aber man stirbt trotzdem. Was hast du in Monte Carlo gemacht? Das Rallye mitgefahren?«

»Ja. Liest du keine Sportnachrichten mehr?«

Hollmann war einen Moment verlegen. »Anfangs habe ich es getan. Dann nicht mehr. Idiotisch, was?«

»Nein, vernünftig. Lies sie, wenn du wieder fährst.«

»Ja«, sagte Hollmann. »Wenn ich wieder fahre. Und wenn ich in der Lotterie das Große Los gewinne. Mit wem hast du das Rallye gefahren?«

»Mit Torriani.«

Sie gingen dem Eingang zu. Die Hänge waren rot von der untergehenden Sonne. Skiläufer schossen wie schwarze Kommas durch den Glanz. »Schön hier«, sagte Clerfayt.

»Ja, ein schönes Gefängnis.«

Clerfayt erwiderte nichts. Er kannte andere Gefängnisse. »Fährst du jetzt immer mit Torriani?« fragte Hollmann.

»Nein. Mal mit dem einen, mal mit dem anderen. Ich warte auf dich.«

Es war nicht wahr. Clerfayt fuhr seit einem halben Jahr die Sportwagen-Rennen mit Torriani. Aber da Hollmann keine Sportnachrichten mehr las, war es eine bequeme Lüge.

Sie wirkte auf Hollmann wie Wein. Ein feiner Streifen von Schweißtropfen bildete sich plötzlich auf seiner Stirn. »Hast du etwas im Rallye gemacht?« fragte er.

»Nichts. Wir waren zu spät.«

»Von wo seid ihr gefahren?«

»Von Wien. Es war eine Kateridee. Jede Sowjetpatrouille hat uns aufgehalten. Glaubten alle, wir wollten Stalin entführen oder hätten Dynamit geladen. Ich wollte auch gar nicht gewinnen, nur den neuen Wagen ausprobieren. Straßen haben die da in der Russischen Zone! Wie aus der Eiszeit!«

Hollmann lachte. »Das war Giuseppes Rache! Wo bist du vorher gefahren?«

Clerfayt hob die Hand. »Lass uns etwas trinken. Und tu mir einen Gefallen: Lass uns die ersten Tage hier meinetwegen über alles reden, nur nicht über Rennen und Automobile!«

»Aber Clerfayt! Worüber sonst?«

»Nur für ein paar Tage.«

»Was ist los? Ist etwas passiert?«

»Nichts. Ich bin müde. Möchte mich ausruhen und einmal ein paar Tage nichts von diesem verdammten Unfug hören, Menschen auf zu schnellen Maschinen herumrasen zu lassen. Das verstehst du doch.«

»Natürlich«, sagte Hollmann. »Aber was ist los? Was ist passiert?«

»Nichts«, erwiderte Clerfayt ungeduldig. »Ich bin nur abergläubisch, wie jeder andere. Mein Kontrakt läuft ab und ist noch nicht erneuert. Ich will nichts berufen. Das ist alles.«

»Clerfayt«, sagte Hollmann, »wer ist gestürzt?«