Kaum hatte sich das Fenster geschlossen, überprüfte Geary erneut den Status seiner Flotte, nur um nicht wieder über den Verlust der Merlon nachdenken zu müssen. Bedauerlicherweise war die Dauntless nicht das einzige Schiff mit einem Bestand an Brennstoffzellen, der sich um die dreißig Prozent bewegte.
Da ihm für den Augenblick die Hände gebunden waren, rief er kurz entschlossen die Incredible. Ein Fenster öffnete sich und zeigte das Gesicht von Commander Parr. »Wie sieht es aus, Commander?«
»Könnte schlimmer sein«, erwiderte Parr und lächelte kurz, während er sich auf Geary konzentrierte. »So viele Syndiks hätten Sie uns nicht übrig lassen müssen, Sir.«
»Tut mir leid. Ich habe die aktuellen Daten der Incredible gesehen, aber ich würde gern Ihre persönliche Einschätzung hören. Können Sie Ihr Schiff bald wieder einsatzbereit haben?«
Parr zögerte. »Wie viel Zeit haben wir denn?«
»Vielleicht ein paar Tage. Mehr kann ich Ihnen nicht geben, und das auch nur, weil wir die Kriegsgefangenen vom dritten Planeten abholen wollen.«
Commander Parr schaute sich um, als könnte der Blick auf diesen kleinen Bereich seines Schiffs ihm die Antwort liefern. »Ich würde es gern versuchen, Sir.«
»Zwei Tage, Commander.«
»Ich glaube, das schaffen wir, Sir.« Auf Gearys fragenden Blick hin korrigierte er sich: »Ich weiß, dass wir das schaffen, Sir.«
»Okay, Commander. Geben Sie Bescheid, wenn ich in irgendeiner Weise behilflich sein kann.«
»Die Titan nähert sich uns bereits, Sir. Sie wird der Incredible und der Resolution helfen.«
Geary lächelte ihn aufmunternd an. »Sie könnten sich keine bessere Hilfe wünschen. Commander Lommand von der Titan ist ein guter Offizier. Er wird alles tun, was in seiner Macht steht. Ich freue mich schon darauf, die Incredible in zwei Tagen wieder einsatzbereit zu sehen.«
Nachdem das Gespräch beendet war, ließ Geary sich nach hinten sinken und rieb sich die Stirn.
Desjani sah ihn mitfühlend an. »Wird die Incredible es schaffen?«
»Wenn ich das wüsste. Sie verdient trotzdem eine Chance. Wann wird die Intrepid gesprengt?« Wie bereits befürchtet, hatte dieser Schlachtkreuzer so massive strukturelle Schäden erlitten, dass es nicht möglich war, ihn wieder so weit herzurichten, dass er mit der Flotte das System verlassen konnte. Also würde der Antrieb überhitzt werden, damit das Schiff durch die Explosion in so kleine Stücke gerissen wurde, dass auch die Syndiks damit nichts mehr anfangen konnten.
Desjani gab die Frage an ihren Maschinen-Wachhabenden weiter, der sofort antwortete: »Morgen, Captain. Irgendwann spät an diesem Tag. Man ist davon überzeugt, bis dahin alles von Bord geschafft zu haben, was sich zu bergen lohnt. Die beiden größten Trümmerteile der Courageous werden noch heute Abend gesprengt.«
»Sollten wir Duellos informieren?«, wollte Desjani wissen.
Er dachte kurz über ihre Frage nach. »Haben Sie schon mal ein Schiff verloren?«
»Einen Zerstörer bei Xaqui, einen Schlachtkreuzer bei Vasil, einen weiteren Zerstörer bei Gotha, einen Schweren Kreuzer bei Fingal …«
»Waren Sie jedes Mal der befehlshabende Offizier?«
»Nur auf dem zweiten Zerstörer und dem Schweren Kreuzer, der dem Kreuzer bei Fingal folgte.«
Geary sah Desjani lange an. Sie hatte mit ihm ein wenig über ihre Gefechtserfahrung gesprochen, aber dabei war nie die Rede davon gewesen, was mit den Schiffen passiert war, auf denen sie gedient hatte. »Tut mir leid. Sie haben darüber noch nie viel geredet.«
»Nein«, gab sie zu. »Habe ich nicht. Wir kennen beide den Grund. Und das beantwortet auch meine Frage wegen Duellos und der Courageous, nicht wahr?«
»Ja. Die Courageous war sein Schiff. Er soll entscheiden, ob er ihre letzten Augenblicke miterleben will oder nicht.«
»Dann werde ich Cresida informieren.«
»Danke. Und falls Sie mal darüber reden wollen …«, fügte er hinzu.
»Danke für das Angebot. Das gilt übrigens auch umgekehrt.«
»Ich werde es nicht vergessen.« Er veränderte den Maßstab seines Displays, um das gesamte Sternensystem überblicken zu können. Immer noch waren Handelsschiffe der Syndiks auf der Flucht, um nach einem Ort zu suchen, an dem sie einigermaßen sicher waren. Es schien keine fest im Orbit um den Stern Heradao kreisenden Einrichtungen zu geben, allerdings rechnete er damit, beim dritten Planeten sehr wohl auf so etwas zu stoßen. Wie Desjani erwähnt hatte, war die Formation der kleinen Syndik-Flotte aufgelöst worden. Die Schiffe waren in verschiedene Richtungen unterwegs, aber keiner der Vektoren führte auch nur in die ungefähre Nähe der Allianz-Flotte.
An den Sprungpunkten hielten noch immer Syndik-Jäger Wache, aber die stellten erstens keine Gefahr dar, und zweitens würde es ohnehin nicht gelingen, sie zu fassen zu bekommen. Geary lehnte sich zurück und zwang sich zur Ruhe. Jetzt lag das schwerste Stück Arbeit hinter ihnen. Aber … vielleicht war es noch nicht vorüber, was Heradao anging. Was hätten die Syndiks hier zurücklassen können, um die Heimkehr der Allianz-Flotte zu verhindern? Nein, das Schlimmste würde es sein, noch mehr Erinnerungen an explodierende Kriegsschiffe zu blockieren.
Der einzige noch verbleibende Kontakt mit dem Feind, den die Flotte zu erledigen hatte, war das, was sie tun mussten, um die Kriegsgefangenen aus dem Arbeitslager auf dem dritten Planeten zu befreien. Die Sensoren der Flotte hatten bestätigt, dass das Lager noch existierte und dass dort wohl immer noch einige tausend Angehörige der Allianz festgehalten wurden. Ihre Befreiung würde Unterhandlungen und sicher auch die eine oder andere Drohung erforderlich machen, aber das hatten sie schon einmal mitgemacht. »Madam Co-Präsidentin«, wandte er sich an Rione. »Könnten Sie mit den Syndiks Kontakt aufnehmen und herausfinden, wie schwierig es sein wird, die Kriegsgefangenen vom dritten Planeten zu holen? Greifen Sie zu allen notwendigen Drohungen, und Sie können ihnen auch gern versprechen, dass wir ihren Planeten nicht bombardieren, wenn sie sich brav aufführen.«
Rione gab dem Komm-Wachhabenden ein Zeichen. »Stellen Sie bitte eine Verbindung zum Syndik-Kommandonetz her. Sobald die Verbindung steht, lasse ich ihnen eine erste Nachricht zukommen.« Dann lehnte sie sich zurück und wartete, dass sie mit den Syndik-Behörden in diesem System verbunden wurde.
Und wartete … und wartete.
Schließlich mischte sich Desjani ein. Auch wenn sie Rione nicht leiden konnte, würde es ein schlechtes Licht auf ihr Schiff werfen, wenn ein Mitglied der Allianz-Regierung nicht die angemessene Unterstützung erhielt. »Wieso dauert das so lange? Warum haben Sie noch keine Verbindung hergestellt, damit die Co-Präsidentin ihre Mitteilung übertragen kann?«
»Captain, das Syndik-Netz, das wir seit der Ankunft in diesem System überwacht haben, scheint nicht mehr richtig zu funktionieren.« Der Komm-Wachhabende machte eine verdutzte Miene. »Es existiert noch, aber wir beobachten hier sehr seltsame Aktivitäten.«
»Seltsame Aktivitäten?«, forschte Desjani nach.
»Ja, Captain. Das Ganze ist irgendwie im Fluss, darum lässt es sich so schwer bestimmen. Das ist fast so, als ob …« Der Komm-Wachhabende kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Wir haben soeben eine Nachricht erhalten, die an uns gerichtet ist. Jemand, der sich als der Regierungsrat von Heradao bezeichnet, hat uns vom dritten Planeten eine Nachricht geschickt. Man besteht darauf, mit Captain Geary zu reden.«
Geary hielt eine Hand vor seine Augen, weil er sich im Moment nicht mit einem Syndik-CEO auf irgendein Wortgefecht einlassen wollte. »Sagen Sie ihnen, dass Captain Geary im Augenblick nicht der Sinn nach reden steht.« Der dritte Planet war derzeit noch etwas mehr als zweieinhalb Lichtstunden entfernt, und Unterhaltungen, bei denen man nach fünf Stunden eine Antwort auf seine Frage erhielt, hatten noch nie zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gezählt.