»Aber … Sir, sie sagen, sie haben eine neue Regierung ins Leben gerufen, und sie wollen mit Ihnen über den Status dieses Sternensystems verhandeln.«
Er nahm die Hand runter, drehte sich um und sah verwundert den Wachhabenden an. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, kam ihm Rione zuvor: »Diese Leute haben sich nicht als die Syndik-Befehlshaber in diesem System vorgestellt?«
»Nein, Madam Co-Präsidentin, sondern als der Regierungsrat von Heradao. So wurde auch die Übertragung identifiziert.«
»Und es gibt immer noch Übertragungen, die von den Syndik-Behörden im System kommen?«
»Ähm … ja, Ma’am.« Der Wachhabende schüttelte verständnislos den Kopf. »Das System hat soeben eine weitere neue Nachricht identifiziert, diesmal von … Sie stammt vom Freien Planeten von Heradao Vier, wer immer das nun sein mag. Captain Desjani, das Kommando- und Kontrollnetz der Syndiks scheint in Stücke gerissen zu werden. So etwas habe ich noch nie gesehen. Das ist ja …«
Rione hatte sich zu dem Wachhabenden gestellt und sah sich die Anzeigen und Muster auf dem Komm-Display an. »Das ist so, als würde jeder versuchen, einen Teil für sich zu beanspruchen und aus dem Kommandonetz herauszubrechen.« Sie sah Geary an. »So etwas habe ich schon einmal gesehen. Dieses Sternensystem versinkt in einem Bürgerkrieg.«
»Wo wollen Sie denn so etwas schon einmal gesehen haben?«, fragte Desjani so entsetzt, dass sie entgegen ihrer Gewohnheit Rione direkt ansprach.
»Bei Geradin. Im Allianz-Gebiet«, ergänzte Rione ruhig. »Ich war nicht dabei, aber die Aufzeichnungen wurden dem Senat der Allianz überlassen, und ich habe mich mit ihnen beschäftigt.«
»Geradin?«, warf Geary ein. »Wo ist das?«
»Geradin ist ein abgelegenes System. Geringe Bevölkerung, ziemlich isolierte Lage. Und das noch mehr, seit das Hypernet eingerichtet wurde, was sie aber nicht davon abhielt, ihre Besten zum Allianz-Militär zu schicken.« Rione verzog angewidert den Mund. »Das veranlasste diejenigen, die nicht zu den Besten gehörten, schließlich dazu, Ärger zu machen. Ein versuchter heimlicher Staatsstreich verwandelte sich in einen offenen Machtkampf und in der Folge zum Zusammenbruch der Autorität.« Sie wandte sich an Desjani: »Ich weiß, dass Sie noch nie davon gehört haben. Aus Sicherheitsgründen. Es wäre nicht gut, wenn die Menschen in der Allianz davon erfahren würden, was sich sogar in einem so kleinen System wie Geradin ereignen kann.«
»Der Zusammenbruch der Autorität«, murmelte Geary und musterte sein eigenes Display. »Gibt es Hinweise darauf, dass es zu Kämpfen unter den Syndiks gekommen ist?« Als niemand antwortete, betätigte er eine Taste. »Lieutenant Iger. Wir haben hier Hinweise darauf, dass die Behörden in diesem System zusammenbrechen oder dass ihre Autorität infrage gestellt wird. Ich benötige schnellstens eine Einschätzung und Berichte darüber, was auf jedem dieser Planeten los ist.«
»Jawohl, Sir. Wir arbeiten daran.«
Geary nahm sich die Informationen vor, die ihm sein Display anzeigte. Erfreut stellte er fest, dass weitere Rettungskapseln mit Allianz-Personal geborgen worden waren. Rings um die Allianz-Rettungskapseln wimmelte es von Kapseln der Syndiks, die auf der Suche nach einer Zuflucht waren. Er fragte sich, auf welche Seite sich die Überlebenden der Syndik-Flotte wohl schlagen würden. Würden sie sich hinter die Regierung stellen, deren Macht ins Wanken geraten war? Oder würden sie sich einer der beiden Rebellengruppen anschließen? Oder würden sie sogar versuchen, die Rebellion zu unterdrücken, bis Verstärkung eintraf, die den Aufstand mit einem gezielten Bombardement niederschlagen würde?
»Sehr viele Kriegsschiffe besitzen die Syndiks nicht mehr«, sagte Geary zu sich selbst.
Desjani stutzte, dann nickte sie, als sie verstand, was er meinte. »Nicht mehr viele, die die Peitsche schwingen können. Wir haben eine Spur aus zerstörten Syndik-Schiffen hinterlassen, die zurückreicht bis in ihr Heimatsystem.«
»Richtig. Und offenbar sind wir nicht die Einzigen, denen das bewusst geworden ist.« Erneut betätigte er seine Kontrollen. »Lieutenant Iger, haben Sie schon was für mich?«
Ein Fenster öffnete sich, in dem Igers völlig perplexe Miene auftauchte. »Sir, die Situation ist chaotisch.«
Geary wartete einen Moment, dann meinte er todernst: »Vielen Dank, Lieutenant. Darauf wäre ich ohne die Unterstützung meines Geheimdienstes nie gekommen.«
Iger lief vor Verlegenheit rot an. »Tut mir leid, Sir. Wir können Ihnen im Moment kein klareres Bild liefern, weil es das nicht gibt. Alles scheint zusammengebrochen zu sein. So wie ein Stoff, bei dem sich alle Maschen gleichzeitig lösen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Bevölkerung auf dem vierten Planeten in den letzten Jahrzehnten angewachsen ist, weil Dissidenten dorthin umgesiedelt sind, die mit der Regierung unzufrieden waren. Wir haben keine Ahnung, wer momentan an der Macht ist oder wer wie viel zu sagen hat. Vermutlich weiß das niemand, nicht einmal die verschiedenen Gruppierungen, die um die Kontrolle über Teile des Sternensystems streiten.«
»Es finden Kämpfe statt?«
»Ja, Sir. Wir haben Explosionen identifizieren können, Fahrzeugbewegungen, Signalverkehr und andere Hinweise darauf, dass auf dem dritten und vierten Planeten gekämpft wird. Wir wissen nicht, ob die Kämpfe heftiger werden. Da sich alles andere in unterirdischen Städten und auf Orbitalstationen abspielt, können wir nicht sagen, ob es dort auch zu Unruhen gekommen ist.« Iger hielt inne, schaute zur Seite, nickte knapp und wandte sich wieder an Geary. »Soeben haben wir eine massive Druckwelle auf einer der Syndik-Orbitalanlagen des dritten Planeten feststellen können, was dafür spricht, dass es dort auch zu Auseinandersetzungen kommt.«
Desjani hatte zugehört und zuckte nun mit den Schultern. »Nicht unser Problem, Sir. Wir sind keine Besatzungsstreitmacht, die mit mehreren hunderttausend Mann starken Bodentruppen hergekommen ist.«
»Das wohl nicht«, pflichtete Geary ihr bei, bis er bemerkte, dass Iger nervös den Kopf schüttelte. »Ja, Lieutenant?«
»Das Arbeitslager, Sir. Das mit den Kriegsgefangenen auf dem dritten Planeten.«
Das hatte er einen Moment lang tatsächlich völlig vergessen, weil der Zusammenbruch der Syndik-Autorität seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte. »Das ist allerdings unser Problem.«
Iger las offensichtlich aktuelle Daten mit, da er berichten konnte: »Es gibt Hinweise auf Kämpfe vor dem Arbeitslager, aber im Lager selbst finden sich keine Anzeichen für irgendwelche Unruhen. Am ehesten ist wohl davon auszugehen, dass die Wachen sich irgendwo verbarrikadiert haben, um sich selbst zu schützen.«
»Wird das Lager von irgendwem angegriffen, Lieutenant?«
»Es finden sich keine entsprechenden Hinweise dafür, Sir. Allerdings ist es auch noch recht früh.«
»Was ist mit der Möglichkeit eines nuklearen Bombardements aus dem Orbit?«, wollte Rione wissen. »Wir wissen, dass die Orbitalstationen in anderen Systemen mit Atombomben ausgestattet waren, um die Bevölkerung in Schach zu halten.«
»Wir können nicht sagen, ob sie hier über diese Möglichkeit verfügen, Madam Co-Präsidentin«, antwortete Iger. »Eingesetzt hat man sie bislang jedenfalls nicht.«
»Dann haben sie vielleicht keine.«
»Möglich, Ma’am. Oder es fehlt ihnen an einem geeigneten Ziel. Oder sie haben vorübergehend die Kontrolle über die Bomben verloren, weil das Kommando- und Kontrollnetz im Zerfall begriffen ist. Oder sie warten ab, dass sich die verschiedenen Rebellengruppen gegenseitig zerfleischen, ehe die Syndiks den großen Hammer hervorholen und zuschlagen.«