»Sir, der Regierungsrat Freies Heradao bittet um eine Waffenruhe.«
»Freies Heradao? War das nicht vorhin noch der Regierungsrat von Heradao?«
»Ähm … ja, Sir. Sie senden auf der gleichen Frequenz mit der gleichen Kennung.«
Geary sah zu Rione. »Irgendeine Idee, was diese Namensänderung bedeuten könnte?«
»Vermutlich nicht viel«, meinte sie frustriert. »Vielleicht haben sie sich mit einer anderen Gruppe zusammengeschlossen und von ihr das ›frei‹ übernommen. Oder sie finden, so klingt es besser. Oder es gab eine Veränderung in der Führungsriege. Auf jeden Fall würde ich nicht davon ausgehen, dass die Namensänderung für uns von Bedeutung ist.«
»Sie haben schon mit ihnen gesprochen. Sind sie es wert, sich noch mal mit ihnen zu unterhalten?«
»Nein.«
Überrascht zog Desjani eine Augenbraue hoch. »Eine kurze, klare Antwort von einem Politiker?«, sagte sie so leise, dass Rione sie nicht hören konnte. »Die lebenden Sterne haben uns ein Wunder geschickt.«
»Danke, Captain Desjani«, raunte Geary ihr zu. »Madam Co-Präsidentin, lassen Sie den Regierungsrat Freies Heradao bitte wissen, dass wir auf jede Bedrohung reagieren werden, die sich gegen unsere Schiffe oder gegen unser Personal auf der Planetenoberfläche richtet, wozu auch jegliche Streitkräfte gehören, die sich dem Arbeitslager nähern. Wenn sie von derartigen Bedrohungen absehen, werden wir nicht schießen.«
»Sir, wir haben hier noch ein Problem.« Colonel Carabali blickte missmutig drein, was ein Hinweis darauf war, dass es sich um etwas Ernstes handeln musste. »Meine Leute, die den westlichen Bereich des Lagers beobachten, empfangen Hinweise darauf, dass sich Spezialkräfte der Syndiks in Tarnkleidung dem Lager nähern, um an meinen Marines vorbei ins Innere vorzudringen. Die Signale sind flüchtig und nur minimal, aber wir schätzen, dass wir es hier mit einem Trupp dieser Spezialkräfte zu tun haben.«
»Welche Art von Bedrohung stellen sie dar? Sollen sie das Gelände auskundschaften?«
»Nach ihrem Missionsprofil zu urteilen und mit Blick auf das, was unsere Geräte feststellen konnten, ist es denkbar, dass sie Hupnums mit sich führen.«
Hupnums?«, wiederholte Geary verwundert das Wort, das wie der Name irgendeiner Märchenfigur klang.
»Humanportable nukleare Munition«, erklärte Carabali.
Kein Wunder, dass sie so missmutig dreinschaute. Geary überprüfte den Zeitplan. »Colonel, so wie es aussieht, sind Sie dicht davor, den Planeten verlassen zu können. Selbst wenn diese Spezialeinheit durchkommen sollte, müssen sie erst mal einen Zeitzünder stellen, damit sie selbst sich in Sicherheit bringen können, bevor diese Sprengladungen hochgehen. Warum sollten wir es nicht schaffen, lange vor den Detonationen das Feld zu räumen?«
Carabali schüttelte ernst den Kopf. »Sir, ich bin an Hupnums der Allianz ausgebildet worden, und jeder in meiner Gruppe, sogar die Ausbilder, war davon überzeugt, dass dieser Zeitzünder nur eine Attrappe ist. Sehen Sie, wenn ein Ziel es wert ist, eine Nuklearbombe hineinzuschmuggeln, dann wäre doch das Risiko viel zu groß, dass der Zeitzünder versagt oder der Feind die Bombe noch entschärfen kann und sie in seine Gewalt bringt.«
»Soll das heißen, Sie sind davon ausgegangen, dass die Bombe in dem Moment hochgeht, in dem Sie sie scharf machen?«
»Oder unmittelbar danach. Ja, Sir. Ich denke, die Syndiks neigen sogar noch etwas stärker zu einer solchen Logik. Wir müssen daher davon ausgehen, dass diese Waffen gezündet werden, sobald sie scharf sind.«
Damit war Gearys Zeitplan mit einem Schlag hinfällig geworden. »Was empfehlen Sie, Colonel?«
»Ich habe zwei Shuttles auf dem Rückflug kurz umgeleitet, damit sie zwei Persische Esel an Bord nehmen können. Mit denen …«
»Persische Esel, Colonel?«
Carabali sah ihn erstaunt an, weil er mit dem Begriff nichts anfangen konnte. »Gruppensimulatoren vom Typ 24.«
»Und wozu sind die gut?«
»Die … die simulieren große Personengruppen. Jeder Persische Esel arbeitet mit verschiedenen aktiven Maßnahmen, um die Illusion zu erzeugen, dass sich an einer bestimmten Stelle etliche Personen aufhalten. Seismische Stampfer erzeugen Bodenvibrationen, die einer in Bewegung befindlichen Menschenmenge entsprechen. Infrarotkäfer erzeugen entsprechende Wärmesignaturen, andere sorgen für eine Geräuschkulisse. Transmitter simulieren Nachrichtenübertragungen und Sensoraktivitäten, wie sie zu einer militärischen Streitmacht passen und so weiter. Jemand, der aus großer Entfernung mit nichtvisuellen Sensoren arbeitet, wird glauben, dass sich in dem betreffenden Gebiet zahlreiche Personen aufhalten.«
Jetzt verstand er. »Sie wollen diese Spezialeinheit glauben machen, dass die Evakuierung noch lange nicht abgeschlossen ist, und wenn sie schließlich zuschlagen wollen, haben Sie den Planeten bereits verlassen.«
»Richtig, Sir. Aber ich muss ein paar Leute zurücklassen, die das Gelände abtasten, und wenn der Moment gekommen ist, in dem alle anderen starten können, wird diese Spezialeinheit nicht mehr weit entfernt sein. Wir können ihr Vorrücken verlangsamen, aber wir können sie nicht stoppen.« Auf Gearys Display tauchte Carabalis taktischer Plan auf. »Ich platziere die Esel hier und hier, damit den Syndiks aus der Richtung, aus der sie kommen, der Weg versperrt ist. Hier, hier und hier werde ich mehrere Züge meiner Marines aufstellen müssen.« Grobe Linien, die sich aus Marines-Symbolen zusammensetzten, leuchteten auf. »Gleich nachdem das letzte Evakuierungsshuttle gestartet ist, werden drei meiner Shuttles am Rand des Landebereichs aufsetzen. In dem Moment müssen diese letzten drei Züge loslaufen wie die Weltmeister, um zu den Shuttles zu gelangen. Die Esel werden so programmiert, dass sie sich gleich darauf selbst zerstören.«
Geary betrachtete den Plan und nickte bedächtig. »Bleibt diesen letzten Shuttles noch genug Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen, falls die Syndiks merken, was da läuft, und ihre Bomben sofort zünden?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Vermutlich nicht, aber einen besseren Weg sehe ich nicht.«
»Warten Sie kurz, Colonel.« Er wandte sich zu Desjani um und erklärte ihr die Situation. »Was meinen Sie? Können wir irgendwas gegen feindliche Truppen mit Nuklearbomben unternehmen, die unseren Evakuierten dicht auf den Fersen sind?«
Desjani dachte angestrengt nach, dann sah sie Geary an. »Ich wüsste da etwas, das wir versuchen könnten. Ich war da noch Junioroffizier, aber soweit ich mich erinnern kann, hat es im Calais-System funktioniert. Die Situation war ganz ähnlich, der Feind war den letzten Shuttles dicht auf den Fersen.«
»Und was haben Sie gemacht?«
Sie verzog den Mund zu einem humorlosen Lächeln. »Wir haben ein massives Bombardement begonnen, das genau auf die Flugbahnen der Shuttles abgestimmt war und das in dem Moment auf der Oberfläche aufschlug, als die Shuttles ausreichend an Höhe gewonnen hatten, um aus dem Gefahrengebiet zu entkommen.«
»Sie machen Scherze, oder? Sie haben so eine Masse an Steinen durch den gleichen Luftraum geschickt, den Ihre Shuttles durchqueren mussten? Was haben denn die Shuttlepiloten dazu gesagt?«
»Die haben sich natürlich schrecklich aufgeregt. Die Evakuierten waren auch nicht davon begeistert. Aber wir können genauso vorgehen wie damals, indem wir das Bombardierungsmuster und die vorgesehenen Flugbahnen aller Projektile an die Autopiloten der Shuttles senden. Theoretisch kann der Autopilot einen Weg zwischen den Steinen hindurch berechnen und die Atmosphäre verlassen, noch bevor die ersten Geschosse einschlagen und eine kilometerhohe Staubwolke aufsteigen lassen.«
Er dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass es ihm nicht gefiel. Allerdings … »Bei Calais hat das funktioniert, sagen Sie?«
»Ja, Sir. Jedenfalls größtenteils. Nicht jeder Stein bleibt beim Eintauchen in die Atmosphäre exakt auf der vorausberechneten Flugbahn. Aber bei Calais mussten wir viel mehr Shuttles zwischen den Geschossen hindurchmanövrieren als hier.«