Lieutenant Yuon schaute Casque mit gequälter Miene an. »Esel sind Tiere.«
»Oh, Captain, ich höre gerade, Esel sind …«
»Danke, das weiß ich.« Desjani machte einen skeptischen Eindruck, als sie nachhakte. »Wie alt ist diese Geschichte genau, Lieutenant Casque? Was bedeutet ›antik‹?«
»Captain, die Quelle ist gekennzeichnet als ›antikes Buch – Erde‹. Älter geht es also nicht. Ich schätze, die Marines haben in diesem Buch darüber gelesen.«
»Hervorragende Annahme, Lieutenant.« An Geary gerichtet beschrieb sie eine Geste, die so viel wie »Wer hätte das gedacht?«, bedeuten sollte. »Da ist Ihre Antwort, Sir. Die Marines haben von dieser alten Geschichte gehört. Vielleicht haben sie sich damit beschäftigt, weil es der erste dokumentierte Fall eines Täuschungsmanövers in einem Krieg war. Nein, das dürfte die Sache mit dem hölzernen Pferd gewesen sein, von der ich mal gelesen habe. Egal, auf jeden Fall ist es eine sehr alte Geschichte.«
»Die sogar noch älter ist als ich«, gab Geary zurück. »Jedenfalls bin ich mir ziemlich sicher, dass sich diese Dinge ereignet haben, noch bevor ich mich zur Flotte gemeldet habe.« Niemals hätte er es für möglich gehalten, darüber Witze zu machen, wie lange seine Zeit zurücklag. In Anbetracht der Hektik rund um die Rettung der Kriegsgefangenen war es ihm aber mit einem Mal gar nicht mehr wichtig, sich über Dinge aufzuregen, an denen er ohnehin nichts ändern konnte.
»Sir«, meldete der Ablauf-Wachhabende. »Alle Shuttles sind zu ihren Schiffen zurückgekehrt.«
»Bestens.« Geary erteilte den Befehl an die Flotte, sich in Bewegung zu setzen und dorthin zurückzukehren, wo die reparierten Kriegsschiffe, die Hilfsschiffe und die Eskorten auf sie warteten. Sobald die Flotte wieder komplett war, konnte sie sich auf den Weg zum Sprungpunkt nach Padronis machen. »Mir kommt da gerade ein Gedanke. Uns war bekannt, welche Verluste wir den Syndiks in der letzten Zeit beschert haben. Aber woher wussten die Rebellen in diesem System davon? Sie haben sich in dem Moment gegen die Syndiks erhoben, als wir die gegnerische Flotte hier bei Heradao geschlagen hatten.«
Rione antwortete in nachdenklichem Tonfalclass="underline" »Unter den Bürgern der Syndikatwelten müssen schon längst Gerüchte kursieren, wie es um die Flotte der Syndiks bestellt ist. Das wahre Ausmaß der Verluste kann aber nur den Senioroffizieren und den CEOs bekannt sein. Das wiederum bedeutet, dass einige aus diesem Kreis Teil jener Kräfte sein müssen, die versuchen, Heradao der Kontrolle durch die Syndiks zu entreißen. Es gärt also unter der Oberfläche.«
»Dann könnte sich so etwas in vielen Systemen wiederholen, wenn sich die Neuigkeit herumspricht«, folgerte Geary.
»Vielleicht. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Syndiks durchaus noch in der Lage sind, in einzelnen Sternensystemen die Kontrolle auszuüben. Ein Zusammenbruch der Syndikatwelten wird lange Zeit in Anspruch nehmen, ehe er sich von System zu System vorgearbeitet hat.«
»Lange Zeit? Zu schade«, murmelte Desjani und sah auf ihr Display. »Die Shuttles, die einige der befreiten Kriegsgefangenen zur Dauntless gebracht haben, sind jetzt bereit, ihre Passagiere aussteigen zu lassen.«
Sofort sprang Geary auf. »Gehen wir hin und heißen sie an Bord willkommen.«
»Ja«, stimmte Rione ihm zu. »Sofern der befehlshabende Offizier der Dauntless nichts gegen meine Anwesenheit einzuwenden hat.«
»Selbstverständlich nicht, Madam Co-Präsidentin«, entgegnete Desjani ohne eine Gefühlsregung in ihrer Stimme.
Sie erreichten den Shuttlehangar, als der erste Vogel die Luke öffnete und die ehemaligen Gefangenen die Rampe herunterkamen. Sie stellten sich ein Stück vom Shuttle entfernt auf und sahen sich freudig und immer noch ein wenig ungläubig um. In ihren zerlumpten alten Uniformen und in der abgetragenen Zivilkleidung erinnerten sie verblüffend an die Gefangenen, die die Flotte lange zuvor im Sutrah-System befreit hatte. Selbst die Atmosphäre und die Gefühle waren genau wie bei Sutrah.
»Ich nehme an, man kann noch so viele Gefangene befreien, aber man verspürt immer diesen wohligen Schauer«, murmelte Desjani und sprach aus, was Geary durch den Kopf ging.
In diesem Moment rief ein Mann laut über das Deck: »Vic? Vic Rione?« Ein großer, dürrer Mann mit den Abzeichen eines Commanders auf seinem alten Mantel schaute in ihre Richtung und riss dabei die Augen ungläubig auf.
Victoria Rione musterte den Mann nachdenklich, dann stockte ihr kurz der Atem. Schnell hatte sie sich wieder im Griff und erwiderte: »Kai! Kai Fensin!«
Sie lief ihm entgegen, während er sich aus der Gruppe löste und auf sie zulief. Einige der Matrosen, die die Befreiten zur Krankenstation führen sollten, machten Anstalten, den Mann aufzuhalten, aber Rione gab ihnen ein Zeichen, dass sie sich keine Sorgen machen mussten. »Vic?«, wiederholte Fensin, als er vor ihr stand. »Wann bist du zur Flotte gegangen? Du bist ja keinen Tag älter geworden.«
»Vic?«, raunte Desjani gerade laut genug, dass Geary sie hören konnte.
»Immer schön lächeln«, gab er zurück, dann folgte er Rione.
Die schüttelte gerade den Kopf und machte einen verlegenen Eindruck. »Ich fühle mich aber viel älter, und ich bin nicht zur Flotte gegangen, Kai. Darf ich dir den Flottenbefehlshaber vorstellen, Captain Geary?«
»Geary.« Commander Fensin lächelte ihn ungläubig an. »Auf dem Weg hierher hat man uns gesagt, wer diese Flotte befehligt. Wer sonst hätte mit der Flotte herkommen sollen, um uns zu befreien?« Plötzlich schien er zu erschrecken, dann nahm Fensin Haltung an. »Es ist mir eine Ehre, Sir, eine große Ehre.«
»Rühren, Commander«, befahl Geary. »Entspannen Sie sich. Sie werden noch früh genug wieder strammstehen müssen.«
»Ja, Sir«, pflichtete Fensin ihm bei. »Ich habe einmal mit einem anderen Geary gedient. Michael Geary. Ein Großneffe von Ihnen. Wir waren beide als Junioroffiziere an Bord der Vanquish.«
Geary merkte, wie sein Lächeln erstarrte. Fensin entging das nicht, besorgt fragte er: »Verzeihen Sie. Ist er tot?«
»Möglicherweise.« Er fragte sich, wie sich wohl jetzt gerade seine Stimme anhörte. »Sein Schiff wurde im Heimatsystem der Syndiks zerstört, als er der Flotte Rückendeckung gab, damit sie entkommen konnte.«
»Er hat einen Geary hingelegt?«, platzte Fensin heraus. »Ausgerechnet er? Ich meine …« Fensin erschrak über seine verbalen Fehltritte.
»Ich verstehe schon«, sagte Geary beschwichtigend. »Er hielt nicht viel von Black Jack, nachdem er in dessen Schatten hatte aufwachsen müssen. Aber gegen Ende schien er mich besser zu verstehen, als er sich in der gleichen Situation befand wie ich.« Es wurde Zeit, das Thema zu wechseln und über etwas hoffentlich Angenehmeres zu reden. »Woher kennen Sie Co-Präsidentin Rione?«
»Co-Präsidentin?« Fensin sah Rione erstaunt an.
Sie nickte knapp. »Co-Präsidentin der Callas-Republik. Und damit auch Mitglied des Senats der Allianz. Ich ging in die Politik, um der Allianz zu dienen, nachdem Paol …« Sie hielt inne und zwinkerte ein paar Mal. »Man hatte mir gesagt, er sei tot, aber vor Kurzem habe ich herausgefunden, dass er noch lebte, als man ihn gefangennahm. Weißt du irgendetwas?«
Kai Fensin kniff sekundenlang die Augen zu. »Ich war auf dem gleichen Schiff wie Vics Ehemann«, erklärte er an Geary gerichtet. »Entschuldigung, ich meine natürlich Co-Präsidentin Riones …«
»Für dich bin und bleibe ich Vic, Kai. Also: Weißt du etwas?«
»Kurz nach unserer Gefangennahme wurden wir getrennt«, fuhr er leise fort. »Paol war schwerverletzt. Jemand hatte mir gesagt, er sei auf dem Schiff umgekommen, deshalb war ich sehr erstaunt, als ich sah, dass er doch noch lebte. Dann brachten die Syndiks die Schwerverletzten weg, angeblich um sie zu behandeln. Aber …« Er verzog den Mund. »Du weißt ja, was manchmal mit Gefangenen geschieht.«