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»Schnur oder gar nichts!«, kreischte Gollum – was nicht ganz fair war, denn er gab zwei Antworten statt einer.

»Beides falsch!«, rief Bilbo sehr erleichtert, sprang sogleich auf, stellte sich mit dem Rücken gegen die nächste Wand und streckte sein kleines Schwert vor. Natürlich wusste er, dass das Rätselspiel heilig und ungemein altehrwürdig war, so sehr, dass sogar die übelsten Kreaturen sich scheuten, dabei zu mogeln. Aber dass dieser glibbrige Kerl ein Versprechen hielte, wenn es ihm unbequem wäre, darauf wollte er sich lieber nicht verlassen. Dem wäre jeder Vorwand recht, um sich herauszuwinden. Und schließlich war ja Bilbos letzte Frage auch kein echtes Rätsel gemäß den alten Regeln gewesen.

Aber immerhin griff Gollum ihn nicht sogleich an. Er konnte das Schwert in Bilbos Hand sehen. Er saß still da, bebend und vor sich hin flüsternd. Endlich mochte Bilbo nicht länger warten.

»Und nun?«, sagte er. »Was ist mit Ihrem Versprechen? Ich möchte weiter. Sie müssen mir den Weg zeigen.«

»Haben wir das gesagt, mein Schatz? Dem frechen kleinen Beutlin den Weg nach draußen zeigen, jaja! Aber wassss hat er in seinen Tassschen, eh? Keine Schnur, mein Schatzzz, aber auch nicht nichtsss. O nein! Gollum!«

»Das soll Sie nicht kümmern«, sagte Bilbo. »Versprochen ist versprochen.«

»Unverschämt ist er, mein Schatz«, zischte Gollum, »ungeduldig. Aber er wird warten müssen, ja, muss er. Wir können nicht so eilig in die Gänge hinauf. Wir müssen erst ein paar Dinge holen, ja, Dinge, die uns nützlich sein können.«

»Na, dann aber schnell!«, sagte Bilbo, eher erleichtert bei dem Gedanken, Gollum loszuwerden. Er glaubte, er suche nur eine Ausrede, um zu verschwinden und nicht wiederzukommen. Wovon redete dieser Gollum? Was für nützliche Dinge konnte er draußen auf dem dunklen See verwahren? Aber Bilbo irrte sich. Gollum gedachte wiederzukommen. Er war nun wütend und hungrig. Und er war ein übler, elender Bursche und wusste genau, was er wollte.

Nicht weit vom Ufer lag seine Insel, von der Bilbo nichts wusste, und in seinem Versteck dort verwahrte er unter manchem armseligen Krimskrams ein wunderschönes Ding – etwas sehr Schönes und sehr Wunderbares. Er besaß einen Ring, einen goldenen Ring, einen Ring, der ein Schatz war.

»Mein Geburtstagsgeschenk!«, flüsterte er im Selbstgespräch, wie schon so oft in diesen endlosen dunklen Jahren. »Das können wir jetzt gebrauchen, ja, wir können’s gebrauchen!«

Er konnte es gebrauchen, weil es ein Ring der Macht war: Wenn man ihn sich auf den Finger steckte, wurde man unsichtbar. Nur im vollen Sonnenlicht war man zu erkennen, aber nur am Schatten, und auch der blieb blass und undeutlich.

»Mein Geburtstagsgeschenk! An meinem Geburtstag ist er an mich gekommen, mein Schatz!« So hatte er es sich selbst immer wieder versichert. Aber wer weiß, wie Gollum in den alten Zeiten, als solche Ringe noch zu haben waren, zu diesem Geschenk gekommen war? Selbst der Meister, der die Ringe beherrschte, hätte es wohl nicht sagen können. Zuerst hatte Gollum den Ring am Finger getragen, bis es ihn ermüdete; dann verwahrte er ihn in einem Beutel, den er auf der bloßen Haut trug, bis sie wundgescheuert war; und jetzt versteckte er ihn meistens in einem Felsloch auf seiner Insel. Oft fuhr er zur Insel zurück, um nach ihm zu sehen. Und manchmal steckte er ihn noch immer auf, wenn er es nicht mehr ertragen konnte, von ihm getrennt zu sein, oder wenn er sehr, sehr hungrig war und die Fische satt hatte. Dann schlich er durch die dunklen Gänge und suchte nach einem allein herumstreunenden Ork. Manchmal wagte er sich sogar an Stellen vor, wo Fackeln brannten, von deren Licht ihm die Augen tränten und schmerzten; denn er wusste sich in Sicherheit. Ja, in vollkommener Sicherheit: Niemand würde ihn sehen, niemand würde ihn bemerken, ehe er nicht die Finger an seiner Gurgel hatte. Erst vor wenigen Stunden hatte er den Ring aufgesteckt und sich einen kleinen Orkbuben geschnappt. Was hatte der gequiekt! Ein paar Knochen zum Abnagen waren von ihm noch übrig, aber jetzt verlangte es Gollum nach zarterem Fleisch.

»Ganz sicher, ja!«, flüsterte er sich zu. »Er wird uns nicht sehn, nicht wahr, mein Schatz? Nein, der sieht uns nicht, und sein dummes kleines Schwert nützt ihm gar nichts!«

Das also ging ihm durch sein tückisches Köpfchen, als er sich plötzlich von Bilbo davonmachte, wieder in sein Boot platschte und in die Dunkelheit fuhr. Bilbo dachte, er würde nichts mehr von ihm hören. Trotzdem wartete er eine Weile, denn er hatte keine Ahnung, wie er den Ausgang allein finden sollte.

Plötzlich hörte er einen gellenden Schrei. Es lief ihm kalt den Rücken herunter. Gollum fluchte und jammerte irgendwo dort im Dunkeln, nicht sehr weit weg, so wie es sich anhörte. Er war auf seiner Insel, scharrte hier und da herum, suchte und wühlte vergebens.

»Wo issst er? Wo issst er?«, hörte Bilbo ihn schreien. »Er ist nicht da, mein Schatzzz, er fehlt, er fehlt! Verflucht und verhagelt, mein Schatz ist weg!«

»Was ist los?«, rief Bilbo. »Was fehlt Ihnen denn?«

»Er soll uns nicht fragen!«, kreischte Gollum. »Geht ihn nichts an, nein, gollum! Er fehlt uns, gollum, gollum, gollum!«

»Mir fehlt auch einiges«, rief Bilbo. »Vor allem, dass Sie sich an Ihr Versprechen erinnern und mich hier rausbringen. Denn ich habe die Wette gewonnen. Also machen Sie schon! Kommen Sie und bringen Sie mich raus, und dann können Sie ja weitersuchen!« So erbarmungswürdig Gollum auch klagte, Bilbo konnte nicht viel Mitleid empfinden, und er hatte das Gefühl, dass ein Ding, dem Gollum so nachtrauerte, schwerlich etwas Gutes sein würde. »Kommen Sie endlich!«, brüllte er.

»Nein, noch nicht!«, sagte Gollum. »Mein Schatz, wir müssen ihn erst suchen, er fehlt uns, gollum!«

»Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie die Antwort auf meine letzte Frage nicht erraten und mir ein Versprechen gegeben haben?«, sagte Bilbo.

»Nicht erraten?«, sagte Gollum. Dann kam aus der Dunkelheit plötzlich ein scharfes Zischen. »Wasss hat er in seinen Tassschen? Sag uns! Dasss muss er uns erst sagen.«

Soviel Bilbo wusste, gab es keinen bestimmten Grund, warum er es ihm nicht sagen sollte. Gollum war schneller als er mit einem einzigen Gedankensprung zu der Lösung gekommen; kein Wunder, denn Gollum hatte eine Ewigkeit lang über dieser einen Sache gebrütet, immer in der Befürchtung, dass sie ihm gestohlen werden könnte. Aber Bilbo ärgerte der Aufschub. Schließlich hatte er doch die Wette gewonnen, auf halbwegs faire Art und mit hohem Einsatz. »Antworten sind zu erraten, nicht zu geben«, sagte er.

»Aber es war keine faire Frage«, sagte Gollum. »Kein Rätsel, mein Schatz, ach was!«

»Na, wenn wir nun zu den gewöhnlichen Fragen kommen, so hatte ich zuerst eine gestellt«, antwortete Bilbo. »Was fehlt Ihnen? Sagen Sie’s mir.«

»Was hat er in seinen Taschen?« Das Zischen wurde immer lauter und schärfer, und als er in die Richtung blickte, aus der es kam, sah Bilbo zu seinem Schrecken zwei kleine leuchtende Punkte auf sich gerichtet. Mit dem zunehmenden Verdacht glühten Gollums Augen in einem fahlen Flammenschein auf.

»Was fehlt Ihnen?«, wiederholte Bilbo.

Aber nun war aus dem Licht in Gollums Augen eine grüne Glut geworden, und die kam rasch näher. Gollum saß wieder in seinem Boot und paddelte wie wild zum dunklen Ufer zurück; und vor Kummer und Argwohn war er so wütend, dass kein Schwert der Welt ihn mehr schreckte.

Bilbo konnte nicht erraten, was den armen Kerl so aufbrachte, aber er begriff, dass es zur Sache ging und dass Gollum ihn auf jeden Fall umbringen wollte. Eben noch rechtzeitig machte er kehrt und rannte blindlings, mit der linken Hand die Wand entlangstreifend, den dunklen Gang hinauf, durch den er gekommen war.

»Was hat er in seinen Taschen?«, zischte es hinter ihm her, und gleich darauf hörte er das Platschen, mit dem Gollum aus dem Boot sprang. »Was hab ich denn da, möcht ich selber wissen!«, sagte er sich, während er keuchend dahinstolperte. Er steckte die linke Hand in die Tasche. Der Ring fühlte sich sehr kalt an, als er ihm plötzlich auf den tastenden Zeigefinger glitt.