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»Dieb, Dieb, Dieb! Beutlin! Wir hassen ihn auf immerdar!«

Dann war es still. Aber auch die Stille kam Bilbo bedrohlich vor. »Wenn Orks so nahe sind, dass er sie riechen konnte«, dachte er, »dann werden sie sein Geschrei und Gefluche gehört haben. Aufgepasst jetzt, oder dieser Gang führt dich in wer weiß was hinein!«

Der Durchgang war niedrig, mit grob behauenen Wänden. Aber für den Hobbit war er nicht allzu schwer zu passieren, abgesehen von den zackigen Steinen am Boden, an denen er sich noch einigemal die Zehen stieß. »Ein bisschen niedrig für Orks, wenigstens für die großen«, dachte Bilbo, aber er wusste nicht, dass auch die großen, die Orks aus dem Gebirge, mit hohem Tempo tief gebückt rennen können, die Hände fast auf dem Boden.

Bald begann der Gang, der zuerst abgefallen war, wieder anzusteigen, eine Zeitlang sachte, dann steil. Bilbos Schritte wurden langsamer. Aber endlich hörte die Steigung auf. Der Gang führte um eine Ecke und dann wieder abwärts, und dort, am Fuß einer kurzen Senkung, sah er einen Lichtschimmer, der um die nächste Ecke gesickert kam – kein rotes Licht wie von einem Feuer oder von Laternen, sondern blasses, wie an einem trüben Tag unter freiem Himmel. Da begann Bilbo zu rennen.

So schnell die Beine ihn trugen, flitzte er um die letzte Ecke und kam plötzlich auf eine offene Fläche hinaus, wo er das Licht nach all der Zeit im Dunkeln blendend hell fand. Tatsächlich war es nur ein Streifen Sonnenlicht, der durch einen Torweg hereinschien, dessen großes steinernes Tor offenstand.

Bilbo blinzelte, dann sah er die Orks: Orks in voller Rüstung mit gezogenen Schwertern, die innen am Tor saßen und die Augen weit aufsperrten, um es zu bewachen. Sie bewachten auch den Durchgang, der zum Tor hinführte. Sie waren alarmiert, in Bereitschaft, auf alles gefasst.

Sie sahen ihn, bevor er sie sah. Ja, sie sahen ihn. Ob es nun Zufall war oder eine letzte Tücke des Rings, bevor er sich einen neuen Herrn erwählte, jedenfalls hatte er ihn nicht am Finger. Mit Freudengebrüll gingen die Orks auf ihn los.

Ein Schauer der Angst und Verlassenheit, wie ein Nachhall von Gollums Elend, überlief Bilbo. Er dachte nicht einmal daran, sein Schwert zu ziehen, und steckte die Hände in die Taschen. Und da war der Ring noch, in der linken Hosentasche, und glitt ihm auf den Finger. Die Orks blieben mit einem Ruck stehen. Sie sahen keine Spur von ihm. Er war verschwunden. Sie brüllten doppelt so laut wie zuvor, aber nicht mehr so frohgemut.

»Wo ist er hin?«, riefen sie.

»Zurück in den Durchgang!«, brüllten einige.

»Hier lang!«, schrien manche. »Da lang!«, schrien andere.

»Aufs Tor aufpassen!«, donnerte der Hauptmann.

Pfeifen schrillten, Panzer schepperten, Schwerter rasselten, Orks schimpften und meckerten, rannten hin und her, fielen übereinander und wurden sehr wütend. Es war ein wildes Gebrüll und Gedränge.

Bilbo hatte in seiner Angst noch genug Verstand, um zu begreifen, was passierte, und sich hinter ein großes Fass mit Wasser für die Wachtposten zu flüchten, wo er aus dem Weg und einigermaßen sicher war, nicht angerempelt, totgetrampelt oder festgehalten zu werden.

»Ich muss zum Tor, ich muss zum Tor!«, sagte er sich immerzu, aber es dauerte lange, bis er einen Versuch riskieren konnte. Es wurde ein gefährliches Blindekuhspiel. Der Raum war voller herumrennender Orks. Der Hobbit musste mal dahin, mal dorthin ausweichen, wurde dann doch von einem umgerannt, der sich wunderte, an was er da angestoßen war, krabbelte auf allen vieren weiter, schlüpfte dem Hauptmann knapp zwischen den Beinen durch, stand auf und rannte zum Tor.

Es stand immer noch einen Spalt weit offen, aber einer der Posten hatte es fast zugeschoben. Bilbo, so sehr er sich anstrengte, bekam es nicht weiter auf. Er versuchte sich durch den Spalt zu zwängen. Er quetschte sich hinein, wand sich – und blieb stecken. Eine Klemme, buchstäblich: Seine Knöpfe hatten sich zwischen Torflügel und Torpfosten festgekeilt. Er konnte ins Freie hinaussehen: Ein paar Stufen führten in ein enges Tal zwischen hohen Bergen hinab; die Sonne kam gerade hinter einer Wolke vor und schien hell auf die Außenseite des Tores. Aber er kam nicht durch.

Plötzlich rief von innen einer der Orks: »Da ist ein Schatten am Tor. Draußen ist irgendwas!«

Bilbo klopfte das Herz bis zum Hals hinauf. Er gab sich einen verzweifelten Ruck. Die Knöpfe flogen in alle Richtungen davon. Er war durch, mit zerrissenem Mantel und zerrissener Jacke, sprang wie eine Gemse die Stufen hinab, während die verdutzten Orks an der Schwelle noch seine hübschen Messingknöpfe auflasen.

Natürlich kamen sie dann gleich hinter ihm her, brüllten und johlten und jagten zwischen den Bäumen herum. Aber das Sonnenlicht tut ihnen nicht gut; es macht ihnen die Knie weich und die Köpfe benommen. Sie konnten Bilbo nicht finden, denn er hatte den Ring am Finger, huschte schnell und geräuschlos von einem Baumschatten zum andern, um das Sonnenlicht zu vermeiden; und bald zogen sie sich fluchend wieder auf ihre Wachtposten am Tor zurück. Bilbo war entkommen.

VI

Aus der Pfanne ins Feuer

Den Orks war er entkommen, aber er wusste nicht, wo er war. Er hatte keine Kapuze und keine Knöpfe mehr, kein Pony, nichts zu essen, sein Mantel hing in Fetzen, und seine Freunde waren weg. Bilbo marschierte drauflos, immer weiter, bis die Sonne nach Westen zu sinken begann – hinter die Berge. Die Schatten der Gipfel fielen auf seinen Weg, und er blickte zu ihnen zurück. Dann blickte er voraus und sah nur noch Bergkämme und Hänge, die zu den Tieflanden und Ebenen hin abfielen, von denen er hier und da ein Stück zwischen den Bäumen erkennen konnte.

»Meine Güte!«, sagte er sich. »Anscheinend bin ich schon auf der andern Seite des Nebelgebirges, fast am Rand des Landes dahinter. Wo Gandalf und die Zwerge jetzt bloß sein mögen? Ich kann nur hoffen, dass sie nicht mehr dort hinten in der Gewalt der Orks sind.«

Immer noch ging er weiter, bis ans Ende des kleinen Hochtals, über den Rand hinaus und die angrenzenden Hänge hinunter; aber die ganze Zeit machte ihm ein sehr unangenehmer Gedanke zu schaffen. Er fragte sich, ob er nicht jetzt, da er den Zauberring hatte, in die grässlichen Stollen zurückkehren und nach seinen Freunden suchen müsse. Eben hatte er sich zu dem Entschluss durchgerungen, dass es wohl oder übel seine Pflicht sei, umzukehren – ganz erbärmlich war ihm dabei zumute –, da hörte er Stimmen.

Er blieb stehen und horchte. Es hörte sich nicht nach Orks an, darum kroch er behutsam näher. Er befand sich auf einem steinigen, sich abwärts schlängelnden Pfad, zur Linken eine Felswand, auf der andern Seite sanft abfallender Boden mit einigen kleinen, von Büschen und niedrigen Bäumen überhangenen Mulden. In einer dieser Mulden redeten Leute unter den Büschen.

Er schlich noch näher heran, und plötzlich schaute zwischen zwei Felsblöcken ein Kopf mit einer roten Kapuze hervor: Es war Balin auf Ausguck. Bilbo hätte am liebsten vor Freude gejubelt und in die Hände geklatscht, ließ es aber sein. Aus Furcht vor unerwarteten und unerfreulichen Begegnungen hatte er noch immer den Ring aufgesteckt, und nun sah er, dass Balin ihn direkt anblickte, ohne ihn zu bemerken.

»Überraschen wir sie mal ein bisschen«, dachte er, als er in die Büsche am Rand der Mulde hineinkroch. Gandalf stritt mit den Zwergen. Sie besprachen alles, was in den Stollen passiert war, überlegten und debattierten, was sie nun machen sollten. Die Zwerge murrten, und Gandalf sagte, sie könnten unmöglich die Reise fortsetzen und Bilbo Beutlin in den Händen der Orks lassen, ohne jeden Versuch, herauszufinden, ob er tot oder lebendig sei, und ohne jeden Versuch, ihn zu retten.