Adler sind keine freundlichen Vögel. Manche sind feige und grausam. Aber die Adler vom alten Stamm aus dem nördlichen Gebirge waren die größten von allen Vögeln; und sie waren stolz, stark und edelmütig. Vor den Orks hatten sie weder Angst noch Achtung. Wenn sie sich überhaupt um sie kümmerten (was selten genug war, denn solche Kreaturen fraßen sie nicht), dann stießen sie auf sie herab, dass die Halunken kreischend in ihre Höhlen flüchten mussten und die Greueltaten, mit denen sie gerade beschäftigt waren, nicht zu Ende führen konnten. Die Orks hassten die Adler und fürchteten sie, konnten sie aber nicht aus dem Gebirge vertreiben, denn ihre Horste waren in unerreichbaren Höhen.
Heute Nacht war der Fürst der Adler neugierig zu erfahren, was da unten vorging. Darum rief er viele andere Adler herbei, und sie stiegen von ihren Bergen auf und gingen langsam kreisend und kreisend immer tiefer auf den Versammlungsplatz der Wölfe und ihren Treffpunkt mit den Orks nieder.
Und da kamen sie wie gerufen! Grässlich war es inzwischen dort zugegangen. Die Wölfe, die brennend in den Wald geflohen waren, hatten ihn an mehreren Stellen in Brand gesteckt. Es war Hochsommer, und auf der Ostseite des Gebirges war in letzter Zeit wenig Regen gefallen. Vergilbter Farn, abgebrochene Äste, die dicke Schicht der Kiefernnadeln am Boden und hier und da ein abgestorbener Baum standen bald in Flammen. Rings um die Lichtung der Warge loderten Feuer auf. Trotzdem blieben die Wölfe, die unter den Bäumen Wache hielten, auf ihren Posten. Rasend und mit Wutgeheul sprangen sie um die Stämme, beschimpften die Zwerge mit den schlimmsten Wörtern ihrer barbarischen Sprache, während die Zungen ihnen weit aus den Mäulern hingen und die Augen rot und wild glühten wie die Flammen.
Dann kamen plötzlich mit Gebrüll die Orks angerannt. Sie glaubten, eine Schlacht mit den Waldmenschen sei im Gange; aber schnell erfuhren sie, was wirklich los war. Manche mussten sich vor Lachen erst mal hinsetzen; andere schwenkten die Speere und schlugen mit den Schäften an die Schilde. Orks fürchten sich nicht vor dem Feuer, und schnell hatten sie sich etwas ausgedacht, das sie sehr lustig fanden.
Manche trieben alle Wölfe zu einer Herde zusammen. Andere schichteten Farn und Unterholz um die belagerten Bäume auf. Wieder andere liefen herum und stampften und trampelten die Brände aus – bis auf diejenigen, die den Bäumen, auf denen die Zwerge saßen, am nächsten waren. Diese speisten sie im Gegenteil mit Laub, Farn und trockenen Ästen. Bald hatten sie einen Rauch- und Flammenring um die Zwerge geschlossen und gaben acht, dass er sich nicht nach außen erweiterte. Nach innen aber wurde der Ring immer enger, bis die Flammen zu den Scheiterhaufen unter den Bäumen hinzüngelten. Rauch stieg Bilbo in die Augen, er spürte die Hitze der Flammen, und durch die Schwaden hindurch konnte er die Orks um sie wild herum tanzen sehen wie um ein Sommersonnenwendfeuer. Außerhalb des Rings der tanzenden Krieger mit ihren Speeren und Äxten standen die Wölfe, lauernd, in respektvollem Abstand.
Er hörte, wie die Orks ein misstönendes Lied anstimmten:
Dann riefen sie: »Nun fliegt doch, Vögelchen! Versucht’s mal! Kommt doch runter, oder ihr werdet in euren Nestern gebraten! Oder singt endlich! Warum wollt ihr nicht singen?«
»Verschwindet, ihr Lausbuben!«, rief Gandalf zur Antwort hinunter. »Vogelnester könnt ihr ein andermal ausnehmen. Und Bengels, die mit dem Feuer spielen, kriegen eins auf die Finger!« Er sagte das, um sie zu reizen und um ihnen zu zeigen, dass er keine Angst vor ihnen hatte – aber natürlich hatte er Angst, Zauberei hin, Zauberei her. Aber sie kümmerten sich nicht drum und sangen weiter:
Und bei diesem Juhuuuuu! sprangen die Flammen unter Gandalfs Baum. Gleich darauf griffen sie zu den anderen hinüber. Die Rinde fing Feuer, die untersten Äste knackten.
Gandalf kletterte bis in die Krone des Baumes. Sein Stab strahlte plötzlich ein Gewitter leuchtender Farben aus, als er sich bereit machte, von hoch oben mitten zwischen die Speere der Orks zu springen. Das wäre sein Ende gewesen, obwohl er gewiss viele von ihnen getötet hätte, wenn er wie Blitz und Donner auf sie herabfuhr. Aber er sprang nicht.
Denn in diesem Augenblick schwebte der Fürst der Adler von oben herab, packte ihn mit seinen Klauen, und sie verschwanden.
Die Orks brüllten auf vor Wut und Verblüffung. Der Fürst der Adler, mit dem Gandalf inzwischen gesprochen hatte, stieß einen lauten Befehlsruf aus. Und die großen Vögel, die bei ihm waren, machten kehrt und kamen wieder herabgeschwebt wie riesige schwarze Schatten. Die Wölfe winselten und knirschten mit den Zähnen; die Orks kreischten und stampften mit den Füßen auf vor Entrüstung und durchlöcherten die Luft mit ihren schweren Spießen. Die Adler senkten sich auf sie herab; der dunkle Schwall ihrer Flügelschläge warf die Orks zu Boden oder fegte sie weit davon; ihre Klauen zerfetzten den Feinden die Gesichter. Andere Adler flogen zu den Baumwipfeln und fassten die Zwerge, die nun so weit hinaufgeklettert waren, wie sie es nur irgend wagen konnten.
Unser armer kleiner Bilbo wäre beinah zurückgeblieben. Er bekam gerade noch Doris Beine zu fassen, des Letzten von allen, die davongetragen wurden; und zusammen flogen sie auf, hoch über Feuer und Lärm, Bilbo nur an seinen Armen hängend, die beinahe rissen.
Tief unter ihnen rannten nun die Orks und die Wölfe kreuz und quer durch die Wälder. Einige Adler kreisten noch über dem Schlachtfeld oder stießen herab. Die Flammen um die Bäume schossen plötzlich bis über die höchsten Zweige empor. Prasselnd loderten die Bäume auf, in einem Gestöber von Qualm und Funken. Bilbo war eben noch rechtzeitig entkommen.
Bald wurde der Feuerschein schwächer, ein rotes Flackern auf dem schwarzen Grund; sie waren nun hoch in der Luft und stiegen in mächtigen Kreisbahnen immer noch höher. Nie vergaß Bilbo diesen Flug, bei dem er an Doris Knöchel geklammert in der Luft hing. »Meine Arme, meine Arme!«, stöhnte er, und Dori ächzte: »Meine Beine, meine Beine!«
Solcher Höhen hätte es nicht bedurft, um Bilbo schwindlig zu machen. Gewöhnlich wurde ihm schon mulmig, wenn er nur über den Rand einer ganz harmlosen Klippe blickte; und Leitern hatte er noch nie gemocht, von Bäumen gar nicht zu reden (denn er hatte ja auch noch nie mit Wölfen zu tun gehabt). Ihr könnt euch vorstellen, wie ihm der Kopf schwamm, als er zwischen seinen baumelnden Zehen hindurch auf die dunklen Lande blickte, die nun weit hingestreckt unter ihm lagen, hier und da mit einem Schimmer von Mondlicht auf einem Felshang oder auf einem Bach in der Ebene.
Die fahlen Berggipfel kamen immer näher, mondbeschienene Felszacken, die aus tiefem Schatten aufragten. Es mochte zwar Sommer sein, aber ihm kam es sehr kalt vor. Er machte die Augen zu und fragte sich, ob er sich noch länger festhalten könnte. Dann stellte er sich vor, was wäre, wenn nicht. Ihm war übel.