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Der Flug endete im letzten Moment, bevor seine Arme nachgaben. Mit einem Seufzer ließ er Doris Knöchel los und fiel auf die rauhe Plattform eines Adlerhorstes. Ohne ein Wort zu sagen blieb er liegen, und in seinen Gedanken mischte sich das Staunen über die unerwartete Rettung aus dem Feuer mit der Angst, von diesem schmalen Fleckchen in die schattige Tiefe zu beiden Seiten zu stürzen. Inzwischen war ihm schon sehr mulmig im Kopf von all diesen grässlichen Abenteuern in den letzten drei Tagen, in denen es so gut wie nichts zu essen gegeben hatte, und plötzlich hörte er sich laut sagen: »Jetzt weiß ich, wie einem Stück Speck zumute sein muss, wenn es vor dem Braten mit der Gabel aus der Pfanne gepickt und wieder in die Speisekammer gebracht wird.«

»Nein, du weißt es nicht!«, hörte er Dori antworten. »Denn der Speck weiß, dass er früher oder später doch wieder in der Pfanne landet; während wir hoffen können, dass es uns nicht so ergeht. Außerdem haben Adler Klauen und keine Gabeln.«

»O nein! Und sie sind ja auch keine Orks – von den Gabeln und Pfannen ganz abgesehen«, sagte Bilbo, während er sich aufsetzte und ängstlich zu dem Adler hinschaute, der sich ganz in der Nähe niedergelassen hatte. Er wunderte sich selbst über den Unsinn, den er eben geredet hatte, und hoffte, dass der Adler nicht beleidigt wäre. Einem Adler sollte man nie dumm kommen, wenn man nur so groß ist wie ein Hobbit und bei Nacht in seinem Horst sitzt.

Aber der Adler wetzte nur seinen Schnabel an einem Stein, putzte sein Gefieder und kümmerte sich nicht um das Gerede des Hobbits.

Bald kam ein anderer Adler geflogen. »Der Fürst ersucht dich, die Gefangenen zur Großen Platte zu bringen«, rief er und flog wieder davon. Der erste Adler nahm Dori in die Klauen und flog mit ihm in die Nacht hinaus; Bilbo blieb ganz allein. Er war eben noch imstande, darüber nachzudenken, was der Bote wohl mit den »Gefangenen« gemeint hatte, und fing schon an sich vorzustellen, wie einem Kaninchen zumute wäre, wenn es zur Abendmahlzeit zerstückelt wird, als er selbst an die Reihe kam.

Der Adler kehrte wieder, nahm ihn mit seinen Klauen beim Mantelkragen und rauschte los. Dieses Mal flog er nicht weit. Gleich wurde Bilbo, der vor Angst zitterte, auf einer breiten Felsplatte an der Flanke eines Berges abgelegt. Von weiter oben führte kein Weg hier herunter, es sei denn, man konnte fliegen; und auch nach unten gab es keinen Weg, es sei denn den Sprung von einer Klippe. Alle andern waren schon da und saßen mit dem Rücken zur Bergwand. Auch der Fürst der Adler war da und redete mit Gandalf.

Anscheinend sollte Bilbo also doch nicht verspeist werden. Der Zauberer und der Adlerfürst kannten sich offenbar schon oder standen sogar auf freundschaftlichem Fuß. Ja, Gandalf, der schon oft im Gebirge gewesen war, hatte den Adlern einmal einen Dienst erwiesen und ihren Fürsten von einer Pfeilwunde geheilt. Es war also klar, dass »Gefangene« nur die »vor den Orks geretteten Gefangenen« bedeutet hatte und nicht Gefangene der Adler. Als Bilbo dem Zauberer zuhörte, begriff er, dass sie nun drauf und dran waren, aus diesen entsetzlichen Bergen wahrhaftig zu entkommen. Er besprach mit dem großen Adler, wie sie die Zwerge, ihn selbst und Bilbo ein gutes Stück weit tragen und sie an einer günstigen Stelle ihres Wegs über die Ebenen absetzen könnten.

Der Fürst der Adler mochte sie nicht irgendwohin bringen, wo Menschen in der Nähe wären. »Sie würden mit ihren großen Eibenholzbogen auf uns schießen«, sagte er, »weil sie glauben, dass wir es auf ihre Schafe abgesehen haben. Und zu anderer Zeit könnten sie damit recht haben. Nein! Wir freuen uns, dass wir den Orks das Spiel verderben und dir unseren Dank abstatten konnten, aber für Zwerge mögen wir uns nicht in Gefahr begeben und uns bis in die südlichen Ebenen vorwagen.«

»Schön«, sagte Gandalf, »dann bringe uns, wohin du willst, und so weit du willst. Wir sind dir auf jeden Fall zu Dank verpflichtet. Aber im Augenblick sterben wir vor Hunger.«

»Ich bin schon so gut wie tot«, sagte Bilbo mit so schwacher Stimme, dass ihn niemand hörte.

»Dem können wir wohl abhelfen«, sagte der Fürst der Adler.

Später hättet ihr ein helles Feuer auf der Felsplatte sehen können und die Gestalten der Zwerge ringsherum, wie sie Fleisch über die Glut hielten und einen würzigen Bratenduft aufsteigen ließen. Die Adler hatten trockene Zweige als Brennholz geholt und ein paar Kaninchen, Hasen und ein kleines Schaf heraufgebracht. Die Zubereitung besorgten die Zwerge. Bilbo war zu kaputt, um zu helfen; außerdem verstand er auch nicht viel davon, wie man einem Kaninchen das Fell abzieht oder Fleisch zerlegt, denn er bekam gewöhnlich alles von seinem Metzger topffertig geliefert. Auch Gandalf legte sich untätig hin, nachdem er das Seine dazu getan hatte, das Feuer in Gang zu bringen, denn Oin und Gloin hatten ihre Zunderbüchsen verloren. (Die Zwerge benutzen bis heute noch keine Streichhölzer.)

So endeten ihre Abenteuer im Nebelgebirge. Bald hatte Bilbo wieder ein sattes, wohliges Gefühl im Magen. Er merkte, dass er zufrieden einschlafen würde, obwohl ihm Butterbrot eigentlich lieber gewesen wäre als das an Stöcken gebratene Fleisch. Zusammengerollt auf dem harten Felsboden schlief er besser, als er in seinem Federbett in der heimischen Höhle je geschlafen hatte. Aber die ganze Nacht träumte er von zu Hause und wanderte im Schlaf durch all seine Zimmer, auf der Suche nach etwas, das er nicht fand und von dem er auch nicht wusste, wie es aussah.

VII

Ein seltsames Quartier

Am nächsten Morgen erwachte Bilbo, als ihm die ersten Sonnenstrahlen in die Augen fielen. Er sprang auf, wollte auf die Uhr sehen und den Teekessel aufsetzen – und merkte, dass er nicht daheim war. Er setzte sich hin und dachte sehnsüchtig an Waschlappen und Zahnbürste. Beides musste er entbehren, ebenso wie er statt Tee, Toast und gebratenem Speck zum Frühstück nur kaltes Lamm- und Kaninchenfleisch bekam. Und gleich danach musste er sich zum Aufbruch ins nächste Abenteuer bereitmachen.

Dieses Mal durfte er einem Adler auf den Rücken steigen und sich zwischen seinen Flügeln festhalten. Die Luft brauste über ihn hinweg, und er machte die Augen zu. Die Zwerge riefen Abschiedsgrüße und versprachen, den Fürsten der Adler für seine Dienste zu bezahlen, wenn sie je dazu imstande sein sollten; und schon stiegen die fünfzehn großen Vögel von der Bergflanke auf. Die Sonne stand noch tief über dem östlichen Rand der Welt. Der Morgen war kühl, Nebel lagen in den Tälern und Niederungen und kräuselten sich hier und da um die Gipfel und Felszacken der Berge. Bilbo machte ein Auge auf und sah, dass die Adler schon hoch am Himmel schwebten. Tief unten lag die Welt, und hinter ihnen verblassten die Berge in der Ferne. Er machte die Augen wieder zu und klammerte sich noch fester an.

»Kneif mich nicht!«, sagte der Adler. »Du brauchst keine Angst zu haben wie ein Kaninchen, auch wenn du wie eines aussiehst. Es ist ein schöner Morgen ohne viel Wind. Was wäre da besser als fliegen?«

»Ein warmes Bad und danach ein spätes Frühstück auf dem Rasen«, hätte Bilbo gern geantwortet, aber er sagte lieber nichts und lockerte seinen Griff ein klein wenig.

Nach einer ganzen Weile mussten die Adler, trotz der großen Höhe, in der sie flogen, die Stelle ausgemacht haben, der sie zustrebten, denn sie begannen in weiten Bögen abwärts zu kreisen. Dies dauerte einige Zeit, und zuletzt machte der Hobbit wieder die Augen auf. Der Erdboden war nun schon viel näher. Er sah Bäume, anscheinend Eichen und Ulmen, dazwischen ausgedehnte Wiesen und einen Fluss, der mitten hindurch strömte. Aber steil aufragend lag mitten im Flusslauf, der sich um ihn zerteilte, ein großer Felsen, fast ein steinerner Berg, wie ein äußerster Vorposten des fernen Gebirges oder ein gewaltiger Brocken, den ein Riese unter den Riesen meilenweit in die Ebene hinausgeschleudert hatte.

Auf die Kuppe dieses Felsens gingen die Adler nun rasch einer nach dem andern nieder, und dort setzten sie ihre Passagiere ab.