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Schnell gab ihnen Bilbo die Erklärung. Dann verstummten sie alle. Der Hobbit stellte sich an den grauen Stein, und die Zwerge standen daneben und beobachteten den Vorgang mit vor Ungeduld wackelnden Bärten. Tiefer und tiefer sank die Sonne, und mit ihr sanken die Hoffnungen. Sie sank in einen Gürtel geröteter Wolken ein und verschwand. Die Zwerge stöhnten auf, aber Bilbo blieb fast regungslos stehen. Der schmächtige Mond berührte den Horizont. Es war Abend. Dann plötzlich, als ihre Hoffnung fast geschwunden war, stieß ein roter Sonnenstrahl wie ein spitzer Finger durch einen Riss in der Wolke. Ein Lichtschein drang durch die Öffnung in die Nische herein und fiel auf die glatte Felswand. Die alte Drossel, die auf einem Platz hoch über ihnen saß und mit blitzenden Knopfaugen zugesehen hatte, den Kopf auf die Seite gelegt, stieß einen kollernden Laut aus. Ein lautes Knacken war zu hören. Ein Steinplättchen splitterte von der Wand und fiel herab. Etwa drei Fuß über dem Boden war plötzlich ein Loch zu sehen.

Rasch, zitternd vor Angst, dass die Gelegenheit ungenutzt verstreichen könnte, stürmten die Zwerge zu der Felswand und stemmten sich dagegen – vergeblich.

»Der Schlüssel! Der Schlüssel!«, rief Bilbo. »Wo ist Thorin?«

Thorin eilte herbei.

»Der Schlüssel!«, brüllte Bilbo. »Der Schlüssel, der zu der Karte gehört! Probier ihn, solange noch Zeit ist!«

Thorin trat heran und nahm den Schlüssel von der Kette um seinen Hals. Er steckte ihn in das Loch. Er passte und ließ sich umdrehen. Schnapp! Der Lichtschein erlosch, die Sonne ging unter, der Mond war verschwunden, und die Nacht überzog den Himmel.

Nun stemmten sie sich alle zusammen gegen die Felswand, und langsam gab ein Stück davon nach. Lange, gerade Spalte wurden sichtbar und erweiterten sich: Eine Tür, fünf Fuß hoch und drei Fuß breit, zeichnete sich ab und schwenkte langsam und lautlos nach innen. Es war, als ob Dunkelheit wie ein Dunst aus dem Loch in der Bergwand strömte, und eine tiefe Dunkelheit, in der nichts zu sehen war, lag vor ihren Augen, ein gähnender Schlund, der abwärts in den Berg hineinführte.

XII

Aus gutunterrichteter Quelle

Lange standen die Zwerge vor der Tür und diskutierten, bis schließlich Thorin das Wort nahm:

»Nun kommt der Augenblick, wo unser hochgeschätzter Herr Bilbo Beutlin, der sich schon auf unserer ganzen langen Reise als ein vortrefflicher Mitarbeiter erwiesen hat, ein Hobbit von einem Mut und einer Findigkeit, die zu seiner Körpergröße in gar keinem Verhältnis stehen, und obendrein, wenn ich das so sagen darf, mit einer unverschämten Portion Glück gesegnet – nun kommt der Augenblick, wo er die Dienstleistung erbringen kann, um derentwillen er in unsere Gesellschaft aufgenommen wurde; nun kommt für ihn der Augenblick, sich sein Honorar zu verdienen.«

Ihr wisst ja schon, wie Thorin sich bei bedeutenden Anlässen ausdrückte, darum will ich es damit genug sein lassen, obwohl er noch eine ganze Weile so weiterredete. Ein bedeutender Anlass war es gewiss, aber Bilbo verlor die Geduld. Inzwischen kannte er Thorin gut genug, um zu wissen, worauf er hinauswollte.

»Wenn du sagen willst, dass es nun an mir ist, als Erster in den geheimen Gang einzusteigen, o Thorin Thrainssohn Eichenschild, möge dein Bart immer länger wachsen«, sagte er gereizt, »so sage es gleich und ohne Umschweife! Ich könnte mich weigern. Ich habe euch schon zweimal aus der Patsche geholfen, wie es wohl kaum in unserem Vertrag vorgesehen war, und glaube daher ein Honorar jetzt schon verdient zu haben. Aber aller guten Dinge sind drei, wie mein Vater immer sagte, und irgendwie muss ich dir den Gefallen wohl tun. Vielleicht verlasse ich mich inzwischen auch mehr auf mein Glück als in alten Zeiten«, damit meinte er das letzte Frühjahr, bevor er seine Höhle verlassen hatte, doch das schien nun Jahrhunderte her zu sein, »aber egal, ich denke, ich geh gleich mal runter und schau nach, wie es da aussieht. Dann haben wir’s hinter uns. Wer kommt nun mit?«

Er hatte nicht erwartet, dass sie alle im Chor »ich« riefen, darum wurde er nicht enttäuscht. Fili und Kili schauten verlegen drein und traten von einem Fuß auf den andern; die Übrigen taten nicht mal zum Schein so, als wollten sie sich anbieten – ausgenommen der alte Balin, der Ausguckmann, der den Hobbit ins Herz geschlossen hatte. Er sagte, er wolle wenigstens ein Stück weit mitgehen, damit er wenn nötig Hilfe herbeirufen könnte.

Zugunsten der Zwerge kann man nur so viel sagen, dass sie Bilbo für seine Dienste anständig zu bezahlen gedachten: Sie hatten ihn für eine vertrackte Sonderaufgabe mitgenommen, und nun sollte der arme kleine Kerl gefälligst tun, wozu er da war! Käme er dabei in Schwierigkeiten, würden sie sich redlich bemühen, ihm zu helfen, wie zu Anfang ihrer Abenteuer schon bei den Trollen, als sie noch gar keinen besonderen Grund hatten, ihm dankbar zu sein. Es ist nun mal so: Zwerge sind keine Helden; sie sind Geschäftsleute mit einer sehr hohen Meinung vom Wert des Geldes. Manche von ihnen sind Gauner, Schufte und Verräter; andere, und zu diesen gehörten Thorin & Co., sind grundanständige Leute, wenn man nicht zu viel von ihnen verlangt.

Hinter ihm traten die Sterne eben an den fahlen Himmel, der undurchdringlich schwarz war, als der Hobbit verstohlen durch die verzauberte Tür ins Innere des Berges trat. Es ging sich dort viel leichter als erwartet. Dies war kein Orkstollen und keine Waldelbenhöhle mit roh behauenen Wänden. Es war ein von Zwergen angelegter Durchgang, von Zwergen auf dem Gipfel ihres Könnens und ihres Reichtums: Schnurgerade und ohne jede Unebenheit am Boden oder an den Wänden führte er mit leichtem, gleichbleibendem Gefälle direkt zu einem fernen Ziel in der schwarzen Tiefe.

Nach einer Weile wünschte Balin dem Hobbit viel Glück und blieb stehen, wo er eben noch einen blassen Schimmer von der Tür sehen und, dank einer Laune des Echos im Tunnel, die murmelnden und flüsternden Stimmen der andern hören konnte, die draußen dicht davorstanden. Bilbo steckte seinen Ring auf und schlich, durch das Echo gewarnt, noch lautloser als selbst unter Hobbits üblich immer weiter und weiter in die Dunkelheit hinab. Er bebte vor Angst, aber seine Miene war finster entschlossen. Es war schon ein ganz anderer Hobbit aus ihm geworden, seit er vor langer Zeit ohne Taschentuch aus Beutelsend weggelaufen war. Seit ewigen Zeiten hatte er nun schon kein Taschentuch mehr. Er lockerte seinen Dolch in der Scheide, schnallte sich den Gürtel fester und ging weiter.

»Jetzt mach dich auf einiges gefasst, mein lieber Bilbo Beutlin!«, sagte er sich. »Da hast du dich auf etwas Schönes eingelassen, an dem Abend, als die Zwerge zu Besuch kamen, und jetzt musst du sehn, wie du dich aus der Affäre ziehst. Es kann dich teuer zu stehen kommen. Liebe Güte, was war und was bin ich für ein Trottel!«, sagte derjenige in ihm, der ganz und gar kein Tuk war. »Für Drachenhorte hab ich überhaupt keine Verwendung! Meinetwegen könnte der ganze Krempel für immer hier liegen bleiben, wenn ich jetzt nur aufwachte und merkte, dass dieser verwünschte Tunnel nur die Diele in meiner eigenen Höhle ist!«

Er wachte nicht auf, sondern ging immer weiter, bis von der Tür hinter ihm auch nicht mehr der kleinste Schimmer zu sehen war. Er war nun ganz allein. Bald kam es ihm vor, als ob es warm wurde. »Ob das eine Art Glut ist, da unten vor mir?«, dachte er.

Ja, dort glühte etwas. Als er weiterging, wuchs und wuchs es. Kein Zweifel, ein roter Lichtschein wurde stärker und stärker, und auch die Hitze im Tunnel war nun nicht mehr zu leugnen. Dampfkringel stiegen auf und wehten an ihm vorüber; er begann zu schwitzen. Ein Geräusch füllte allmählich seine Ohren aus, eine Art Brodeln wie aus einem riesigen Kochtopf auf dem Feuer, vermischt mit einem Knarren, das wie das Schnurren eines Riesenkaters klang. Das Ganze schwoll an zu dem unverkennbaren gurgelnden Schnarchen eines gewaltigen Tieres, das in der roten Glut dort unten schlief.