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»Und glaubst du’s jetzt?«, sagte der Drache, ein bisschen geschmeichelt, obwohl er seinerseits Bilbo kein Wort glaubte.

»Alle Lieder und Sagen bleiben weit hinter der Wirklichkeit zurück, o Smaug, du ehrwürdigste und entsetzlichste aller Katastrophen«, antwortete Bilbo.

»Für einen Dieb und Lügner hast du gute Manieren«, sagte der Drache. »Meinen Namen scheinst du zu kennen, aber ich kann mich nicht entsinnen, dich schon einmal gerochen zu haben. Wer bist du, und wo kommst du her, wenn ich das fragen darf?«

»Fragen darfst du! Ich komme von Unterm Bühl, und mein Weg hat mich auch untern Berg und übern Berg geführt. Und durch die Lüfte auch. Ich bin der wandelnde Unsichtbare.«

»Das dünkt mich glaubhaft«, sagte Smaug, »doch ist dies wohl kaum dein gewöhnlicher Name?«

»Ich bin der Rätsellöser, der Netzzerhauer, die Stechfliege. Ich wurde wegen der Glückszahl genommen.«

»Allerliebst, diese Titel!«, spöttelte der Drache. »Aber die Glückszahl fällt nicht immer.«

»Ich bin, der seine Freunde lebendig begräbt, sie ersäuft und lebendig wieder aus dem Wasser zieht. Ich komme aus dem Ende eines Beutels, wurde aber in keinen Beutel gesteckt.«

»Ach was, das kann ich nun nicht mehr glauben!«, wehrte der Drache ab.

»Ich bin der Bärenfreund und der Adlergast. Ich bin der Ringfinder und Glücksbringer, und ich bin der Fassreiter«, fuhr Bilbo fort, der an seiner Rätselrede Spaß zu finden begann.

»Schon besser!«, sagte Smaug. »Aber lass die Phantasie nur nicht mit dir durchgehn!«

Das ist natürlich die Art, wie ihr mit Drachen reden müsst, wenn ihr euren wirklichen Namen nicht verraten (was nicht ratsam ist), sie aber auch nicht durch die glatte Weigerung, ihn zu nennen, erzürnen wollt (was erst recht nicht ratsam ist). Rätselreden und der schöne Zeitvertreib im Bemühen, sie zu verstehen, sind für jeden Drachen von unwiderstehlichem Reiz. Vieles, was er eben gehört hatte, verstand Smaug überhaupt nicht (obwohl ihr es sicher verstehen werdet, denn ihr wisst ja über die Abenteuer Bescheid, auf die Bilbo dabei anspielte), aber er glaubte, genug verstanden zu haben, und tief in seiner schwarzen Seele musste er grinsen.

»Hab ich mir’s doch gestern Abend schon gedacht«, sagte er sich lächelnd, »Seemenschen – irgendein hinterlistiger dummer Streich dieser elenden Fassverhökerer vom See, das ist es, oder ich will eine Eidechse sein! Denen habe ich schon lange keinen Besuch mehr gemacht, aber das soll sich ändern!«

»Vortrefflich, o Fassreiter!«, sagte er laut. »Fass könnte dein Pony vielleicht geheißen haben oder vielleicht auch nicht, aber fett genug war es. Mag sein, dass du unsichtbar wandelst, aber du bist nicht den ganzen Weg zu Fuß gewandelt. Interessiert es dich, dass ich letzte Nacht sechs Ponys verspeist habe? Und die andern hole ich mir in nächster Zeit auch noch. Zum Dank für die ausgezeichnete Mahlzeit will ich dir einen guten Rat geben: Lass dich nicht mit Zwergen ein, wenn du’s vermeiden kannst!«

»Mit Zwergen?«, sagte Bilbo in gespieltem Erstaunen.

»Erzähl mir nichts!«, sagte Smaug. »Ich kenne doch den Geruch und Geschmack von Zwergen – nichts kenn ich besser! Mach mir nicht weis, wenn ich so ein Pony verzehre, wüsste ich nicht, wer drauf geritten ist! Du wirst ein schlimmes Ende nehmen, o Dieb und Fassreiter, wenn du dich mit solchen Freunden zusammentust. Jetzt wandle meinetwegen zurück und sag ihnen das von mir!« Aber er verriet Bilbo nicht, dass da noch ein anderer Geruch war, aus dem er überhaupt nicht klug wurde, der Hobbitgeruch: Den kannte er noch gar nicht, und das irritierte ihn gewaltig.

»Ich nehme an, für den Pokal letzte Nacht hast du einen guten Preis bekommen?«, redete er weiter. »Sag schon, stimmt’s? Überhaupt nichts! Na, das sieht ihnen ähnlich. Und dabei nehm ich doch an, die liegen irgendwo da draußen gemütlich in ihrem Versteck, und die gefährliche Arbeit überlassen sie dir: Sachen mitgehn lassen, wenn ich mal nicht aufpasse – und alles für die? Einen fairen Anteil sollst du kriegen? Glaub doch das nicht! Wenn du mit dem Leben davonkommst, kannst du froh sein.«

Bilbo war allmählich gar nicht mehr wohl in seiner Haut. Immer wenn Smaugs schweifender Blick, der in den Schatten nach ihm suchte, durch ihn hindurchblitzte, zitterte er, und ein unerklärliches Verlangen packte ihn, hinauszurennen, sich Smaug zu zeigen und ihm die reine Wahrheit zu sagen. Er war in höchster Gefahr, unter den Bann des Drachen zu fallen. Aber er nahm allen Mut zusammen und antwortete:

»Nicht alles weißt du, o großmächtiger Smaug! Wir sind nicht allein des Goldes wegen gekommen.«

»Haha! Du gibst also zu, dass ihr mehrere seid«, lachte Smaug. »Sag doch gleich ›wir vierzehn‹, und lass uns nicht länger raten, Herr Glückszahl! Es freut mich natürlich zu hören, dass euch noch andere Geschäfte als die mein Gold betreffenden in unsere Gegend führen. In diesem Fall mag es ja sein, dass ihr eure Zeit nicht ganz und gar verschwendet.

Ich weiß nicht, ob dir schon aufgegangen ist, dass du mit dem Gold, selbst wenn du es Stück für Stück stehlen könntest – was so etwa hundert Jahre dauern würde –, nicht sehr weit kämest? Was nützt es dir hier auf den Berghängen? Was nützt es dir im Walde? Meine Güte! Hast du dir nie überlegt, wo in euren Abmachungen der Haken sitzt? Ein Vierzehntel, nehm ich an, oder so ähnlich, so waren doch die Bedingungen, eh? Aber wie steht’s mit der Lieferung? Mit dem Transport? Zölle und bewaffneter Geleitschutz?« Smaug lachte laut. Sein böses Herz kannte alle Tücken, und er wusste, dass solche Vermutungen selten weit fehlgehen; allerdings glaubte er, dass hinter diesem Unternehmen die Menschen vom See steckten und dass der größte Teil der Beute in der Seestadt bleiben sollte, die in seiner Jugend Esgaroth geheißen hatte.

Ihr werdet es kaum glauben, aber der arme Bilbo war ernstlich verwirrt. Bisher hatte sich all sein Tun und Trachten auf das Ziel beschränkt, zum Einsamen Berg zu gelangen und dort den Eingang zu finden. Wie der Schatz fortgeschafft werden sollte und wie ein ihm etwa zufallender Anteil bis nach Beutelsend unter dem Bühl zu transportieren wäre, darüber hatte er sich noch nie den Kopf zerbrochen.

Ein böser Verdacht wollte nun in ihm aufkommen: Hatten die Zwerge diese in der Tat wichtige Frage auch einfach übersehen, oder lachten sie sich über ihn schon die ganze Zeit ins Fäustchen? So können Drachenworte auf den Unerfahrenen einwirken! Bilbo hätte auf der Hut sein sollen, gewiss – aber Smaug war auch eine Persönlichkeit von bezwingender Kraft.

»An das Gold«, sagte Bilbo, einfach um seinen Freunden die Treue zu halten und um nicht klein beigeben zu müssen, »haben wir nur nebenher gedacht, wie ich dir schon sagte. Die Absicht, in der wir gekommen sind, über die Berge und unter den Bergen, mit Wind und Wellen, ist Rache. Dir ist doch sicher klar, o Smaug, du unermesslich Reicher, dass dein Erfolg dir manche bitteren Feinde gemacht hat?«

Da lachte Smaug, dass die Wände wackelten und Bilbo fast zu Boden geworfen wurde, während die Zwerge weit oben im Tunnel sich zusammendrängten und dachten, der Hobbit habe ein jähes und schreckliches Ende gefunden.

»Rache!«, schnob er, und das Licht aus seinen Augen erhellte die Halle vom Boden bis zur Decke wie ein scharlachroter Blitz. »Rache! Der König unter dem Berge ist tot, und wo wäre jemand von seiner Sippschaft, der auch nur den Versuch wagen würde, ihn zu rächen? Girion, der Fürst von Thal, ist tot, und unter seinem Volk hab ich mich sattgefressen wie der Wolf unter den Schafen, und wo sind die Söhne seiner Söhne, die sich getrauen, mir zu nahe zu kommen? Die alten Krieger hab ich zur Strecke gebracht, und ihresgleichen gibt es heut auf der ganzen Welt nicht mehr. Damals war ich noch jung und schmächtig. Heute bin ich alt und stark, stark, stark, du Dieb, der im Schatten wandelt!«, prahlte er. »Mein Panzer ist wie zehn Schilde, meine Zähne sind Schwerter, meine Klauen Speere, mein Schwanz schlägt ein wie der Blitz, meine Flügel sind ein Hurrikan, und mein Atem bringt den Tod!«