»Nur eine Fledermaus, und dann ist mir die Fackel runtergefallen, nichts Schlimmes!«, sagte er. Trotz ihrer Erleichterung hätten sie ihn am liebsten beschimpft, weil er sie ohne Grund erschreckt hatte; was sie aber gesagt hätten, wenn er in diesem Augenblick auf den Arkenstein zu sprechen gekommen wäre, weiß ich nicht. Schon der flüchtige Anblick der Schätze, an denen sie eben in Eile vorübergegangen waren, hatte das Feuer in ihren Herzen neu angefacht; und wenn sich das Herz eines Zwerges, und sei er noch so ehrenwert, einmal an Gold und Juwelen entzündet hat, wird er plötzlich waghalsig und vielleicht sogar tollköpfig.
Jedenfalls ließen die Zwerge sich nun nicht länger bitten, sondern sie alle brannten darauf, sich in der Halle umzusehen, solange dazu Gelegenheit war. Sie glaubten nur zu gern, dass von Smaug einstweilen nichts zu befürchten sei. Jeder nahm sich nun eine brennende Fackel, und als sie die Schätze zuerst auf der einen Seite, dann auf der andern bestaunten, da war nicht nur ihre Furcht, sondern auch alle Vorsicht vergessen. Sie redeten laut und riefen einer den andern herbei, wenn sie eine der alten Kostbarkeiten von dem großen Haufen oder von der Wand nahmen, sie ins Licht hielten, betasteten und liebkosten.
Fili und Kili waren in nahezu übermütiger Laune, und weil an der Wand noch viele goldene Harfen hingen, mit silbernen Saiten bespannt, nahmen sie zwei herunter und spielten. Es waren Zauberharfen, und der Drache (der ziemlich unmusikalisch war) hatte sie nie angerührt; darum waren sie nicht verstimmt. Die dunkle Halle erfüllte sich mit einer Melodie, die hier lange nicht erklungen war. Aber die meisten der Zwerge dachten praktischer: Sie sammelten Edelsteine auf und stopften sich die Taschen voll; was sie nicht mehr tragen konnten, ließen sie sich mit einem Seufzer durch die Finger gleiten. Unter diesen war nicht zuletzt Thorin; doch dabei durchsuchte er die Halle von einer Seite zur andern nach etwas, das er nicht finden konnte. Es war der Arkenstein; aber davon sagte er einstweilen zu niemandem ein Wort.
Nun nahmen die Zwerge Panzer und Waffen von den Wänden und rüsteten sich. Wahrhaft wie ein König sah Thorin aus, im goldverzierten Kettenhemd, eine Axt mit silbernem Griff am Gürtel, der mit scharlachroten Steinen besetzt war.
»Meisterdieb!«, rief er. »Hier ist eine erste Anzahlung auf dein Honorar. Zieh deinen alten Mantel aus und leg das hier an!«
Damit half er dem Hobbit in ein kleines Kettenhemd hinein, das vor langer Zeit für einen jungen Elbenprinzen geschmiedet worden war. Es war aus dem Silberstahl, den die Elben mithril nennen, und dazu gehörte ein mit Perlen und Kristallen besetzter Gürtel. Auf den Kopf setzte er ihm einen Helm aus geprägtem Leder, mit Stahlreifen unterlegt und am Rand mit weißen Edelsteinen besetzt.
»Darin fühlt man sich ganz stattlich«, dachte Bilbo; »aber vermutlich sieht es eher komisch aus. Was würden sie zu Hause unter dem Bühl über mich lachen! Trotzdem sähe ich mich gern mal so im Spiegel.«
Immerhin behielt der Hobbit den Kopf von der Behexung durch den Schatz freier als die Zwerge. Während sie gar nicht wieder aufhören wollten, ihre Schätze zu sichten, wurde er es bald müde und setzte sich auf den Boden. Er begann unruhig zu grübeln, was dies wohl für ein Ende nehmen werde. »Ich gäbe etliche dieser kostbaren Becher«, dachte er, »für einen tiefen Zug aus Beorns hölzernen Metkrügen.«
»Thorin!«, rief er laut. »Was nun? Gerüstet sind wir jetzt, aber was hätten Rüstungen je gegen Smaug den Entsetzlichen getaugt? Dieser Schatz ist noch nicht zurückgewonnen. Was wir jetzt brauchen, ist nicht Gold, sondern ein Fluchtweg; und wir haben unser Glück schon zu lange auf die Probe gestellt.«
»Wahr gesprochen!«, antwortete Thorin, bemüht, wieder zu Verstand zu kommen. »Gehn wir! Ich kann euch führen. In tausend Jahren werde ich die Wege in diesem Palast nicht vergessen.« Dann rief er die anderen, und sie sammelten sich. Die Fackeln über ihre Köpfe hochhaltend, gingen sie durch die breiten Torbögen, nicht ohne manch einen sehnsüchtigen Blick zurück.
Über die schimmernden Panzerhemden hatten sie wieder die alten Mäntel gezogen, über die blanken Helme die zerlumpten Kapuzen, und einer nach dem andern gingen sie hinter Thorin her, eine Reihe schwacher Lichter in der Dunkelheit, oft anhaltend und ängstlich lauschend, ob irgendein Geräusch die Rückkehr des Drachen anzeigte.
Obwohl der alte Zierrat längst vermodert oder zertrümmert und alles von dem aus- und eingehenden Ungeheuer besudelt und verpestet war, kannte Thorin jeden Gang und wusste, wohin jede Abzweigung führte. Sie stiegen eine lange Treppe hinauf, wandten sich in eine andere Richtung, breite, hallende Flure entlang, machten noch einmal kehrt und stiegen wieder treppauf, immer weiter treppauf. Es waren breite, glatte Treppen, ins Naturgestein gehauen, immer höher und höher hinauf; und sie trafen nichts Lebendiges an, bis auf ein paar flatternde Schatten in den Ecken, die beim Nahen ihrer im Luftzug flackernden Lichter die Flucht ergriffen.
Allerdings waren die Treppenstufen nicht für Hobbitbeine bemessen, und Bilbo fühlte sich schon am Ende seiner Kräfte, als das Deckengewölbe mit einem Sprung in die Höhe entwich, so hoch, dass der Schein ihrer Fackeln nicht bis hinauf reichte. Durch eine Öffnung hoch oben sah man einen weißen Lichtschimmer hereinfallen, und die Luft schien frischer zu sein. Vor ihnen kam ein trübes Licht durch große Türen herein, die verbogen und halb verbrannt in den Angeln hingen.
»Dies ist Thrors große Halle«, sagte Thorin, »der Fest- und Ratssaal. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Vordertor.«
Sie gingen durch den verwüsteten Saal. Tische moderten vor sich hin, Stühle und Bänke lagen umgekippt, verkohlt und verfault; auf dem Boden Schädel und Knochen zwischen Krügen, Bechern und zerbrochenen Trinkhörnern, und über allem Staub. Als sie durch die Türen auf der andern Seite wieder hinausgingen, hörten sie Wasser rauschen, und das graue Licht wurde plötzlich hell.
»Dort ist die Quelle des Eilend«, sagte Thorin. »Von hier fließt er zum Tor. Gehn wir ihm nach!«
Aus einer dunklen Öffnung in einer Felswand sprang ein schäumendes Wasser hervor und floss strudelnd durch eine schmale Rinne, glatt und tief eingegraben mit der Kunst der alten Baumeister. Daran entlang führte eine mit Steinen gepflasterte Straße, breit genug, dass viele Männer nebeneinander gehn konnten. Schnell liefen sie darauf um eine weit ausschwingende Kurve – und kamen plötzlich ins volle Tageslicht hinaus. Vor ihnen erhob sich ein mächtiger Torbogen, an dessen Innenwänden, so verwittert, zerbröselt und geschwärzt sie auch waren, noch Reste von alten Steinmetzarbeiten zu erkennen waren. Blass schien die Sonne zwischen dem Berggrat herab, und einige goldene Strahlen fielen auf das Pflaster am Tor.
Ein Knäuel von Fledermäusen, durch ihre rauchenden Fackeln aus dem Schlaf geschreckt, flatterte über sie hinweg. Als sie weiterliefen, glitten ihre Füße auf den glatten Steinen aus, die vom Körper des Drachen abgewetzt und schleimig waren. Vor ihnen stürzte das Wasser nach draußen und floss schäumend ins Tal hinab. Sie warfen die blassen Fackeln zu Boden, blieben stehen und blickten mit zusammengekniffenen Augen umher. Sie standen am Vordertor und sahen auf Thal hinab.
»Na ja!«, sagte Bilbo. »Ich hätte nie gedacht, dass ich aus dieser Tür einmal hinausschauen würde. Und ich hätte auch nie gedacht, dass ich mich einmal so freuen könnte, die Sonne wiederzusehen und den Wind im Gesicht zu spüren. Aber, brrr! das ist ja ein kalter Wind!«
So war es. Von Osten wehte eine scharfe Brise, Vorbotin des Winters. Sie fegte über die Berggrate und wirbelte ins Tal hinab, pfiff durch die Felsen. Nach dem langen Aufenthalt in der stickigen Tiefe der Drachenhöhlen bibberten sie nun sogar in der Sonne.
Bilbo merkte auf einmal, dass er nicht nur müde, sondern auch sehr hungrig war. »Es scheint spät am Vormittag zu sein«, sagte er, »und folglich wäre eigentlich Zeit für ein Frühstück – wenn es etwas zu frühstücken gibt. Aber ich glaube nicht, dass Smaugs Vordertürschwelle der sicherste Platz dafür ist. Gehen wir irgendwohin, wo wir eine Weile still sitzen können!«