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»Ganz richtig!«, sagte Balin. »Und ich denke, ich weiß auch, wohin. Wir sollten zu dem alten Ausguckposten auf dem südwestlichen Zipfel des Bergs gehen.«

»Wie weit ist das?«, fragte der Hobbit.

»Fünf Stunden zu Fuß, würde ich meinen. Es wird ein unbequemer Marsch. Die Straße, die vom Tor am linken Flussufer entlangführte, scheint überall aufgebrochen zu sein. Aber sieh mal da unten: Der Fluss biegt vor der zerstörten Stadt scharf nach Osten ab, und an der Stelle war früher eine Brücke, über die man zu einer steilen Treppe kam, das rechte Ufer hinauf und dann auf eine Straße zum Rabenberg. Dort gibt es oder gab es einen Weg, der von der Straße abzweigt und zum Ausguck hinaufführt. Eine anstrengende Kletterpartie, selbst wenn die alten Stufen noch da sind.«

»Liebe Güte!«, stöhnte der Hobbit. »Noch mehr laufen und noch mehr Treppen steigen, und alles ohne Frühstück! Ich möchte wissen, wie viele Frühstücke und andere Mahlzeiten wir in diesem Dreckloch, wo es nicht mal eine Uhr gibt, versäumt haben.«

Tatsächlich waren zwei Nächte und der Tag zwischen ihnen vergangen (doch nicht ganz ohne Essen), seit der Drache die magische Tür zertrümmert hatte, aber Bilbo hatte das Zeitgefühl verloren und hätte nicht sagen können, ob es nun eine Nacht oder eine ganze Woche lang Nacht gewesen war.

»Lass gut sein!«, sagte Thorin munter – seine Lebensgeister waren wieder im Erwachen, und er rasselte mit den Edelsteinen in seinen Taschen. »Nenne meinen Palast nicht ein Dreckloch! Warte nur ab, bis er gesäubert und neu hergerichtet ist!«

»Dazu müsste Smaug erst mal tot sein«, sagte Bilbo verdrossen. »Aber wo der jetzt nur steckt? Ich gäbe ein gutes Frühstück dafür, wenn ich es wüsste. Hoffentlich sitzt er nicht oben auf dem Berg und blickt auf uns herab.«

Die Vorstellung war den Zwergen sehr unbehaglich, und sie sahen rasch ein, dass Bilbo und Balin recht hatten.

»Wir müssen machen, dass wir von hier verschwinden«, sagte Dori. »Mir ist, als ob er mir über die Schulter blickt.«

»Kalt und öde ist es hier«, sagte Bombur. »Wasser gibt es zwar, aber etwas Essbares ist nicht in Sicht. Ein Drache müsste doch verhungern in solch einer Gegend.«

»Los, komm, komm schon!«, riefen die andern. »Nehmen wir Balins Weg!«

Unter der Felswand zur Rechten gab es keinen Weg, also stapften sie zwischen den Steinen auf der linken Seite des Flusses entlang, und die wüste Einöde wirkte selbst auf Thorin schnell wieder ernüchternd. Die Brücke, von der Balin gesprochen hatte, war längst eingestürzt, und die meisten ihrer Steine lagen nun wie Felsbrocken im flachen, rauschenden Wasser; aber sie wateten ohne viel Mühe hinüber, fanden die alte Treppe und stiegen die hohe Uferböschung hinauf. Nach einem kurzen Stück Weges trafen sie auf die alte Straße, und nicht lange, so kamen sie zu einer tiefen, zwischen Felsen verborgenen Schlucht. Dort rasteten sie eine Weile und holten das Frühstück nach – mit dem, was sie hatten, nämlich in der Hauptsache Cram und Wasser. (Wenn ihr wissen wollt, was Cram ist, kann ich nur sagen, dass ich das Rezept auch nicht kenne; aber es ist eine Art Zwieback, unbegrenzt haltbar, angeblich sehr nahrhaft und mit Sicherheit keine Leckerei; für den Gaumen reizlos, aber nützlich, um die Kauwerkzeuge in Übung zu halten. Es wurde von den Menschen am See für lange Reisen gebacken.)

Dann gingen sie weiter. Die Straße bog nun nach Westen ab und entfernte sich vom Fluss, und die breite Schulter des nach Süden verlaufenden Berggrats rückte immer näher. Endlich erreichten sie den Bergpfad. Er stieg steil an, und sie schlurften langsam einer hinter dem andern her, bis sie am späten Nachmittag oben auf dem Kamm waren und die winterliche Sonne im Westen niedergehen sahen.

Sie kamen zu einer flachen Stelle, die nach drei Seiten offen lag, nach Norden aber von einer Felswand begrenzt wurde, in die eine Öffnung, ähnlich einer Tür, hineinführte. Von der Tür aus hatte man einen weiten Ausblick nach Osten, Süden und Westen.

»Hier unterhielten wir in der alten Zeit eine ständige Wache«, sagte Balin, »und die Tür dort führt in eine in den Felsen gehauene Kammer, in der die Wachen untergebracht waren. Um den Berg herum gab es mehrere Wachtposten wie diesen. Doch in der Zeit unseres Wohlstands schienen Wachen kaum nötig zu sein, und die Posten machten es sich wohl allzu gemütlich – sonst wären wir vielleicht früher gewarnt worden, als der Drache kam, und alles hätte anders ausgehen können. Immerhin haben wir jetzt hier ein Obdach und ein Versteck und können vieles sehen, ohne gesehen zu werden.«

»Nützt nicht viel, wenn wir gesehen wurden, als wir hierher kamen«, sagte Dori, der immer wieder zum Berggipfel hochblickte, als erwartete er, Smaug dort wie einen Vogel auf einem Kirchturm sitzen zu sehen.

»Darauf müssen wir’s ankommen lassen«, sagte Thorin. »Weiter können wir heute nicht mehr gehen.«

»Hört, hört!«, rief Bilbo und ließ sich zu Boden fallen.

In der Felsenkammer wäre für hundert Mann Platz gewesen, und tiefer drinnen, weiter ab von der kalten Außenwand, war ein kleiner Nebenraum. Er war völlig verlassen; selbst wilde Tiere schienen in all den Jahren unter Smaugs Herrschaft nicht hier hereingekommen zu sein. Dort legten sie ihre Traglasten ab, und manche von ihnen ließen sich sofort zu Boden fallen und schliefen; aber die anderen setzten sich nah an die Außentür und berieten über ihre Pläne. In allen ihren Gesprächen kamen sie immer wieder auf eine Frage zurück: Wo war Smaug? Sie schauten nach Westen, und da war nichts zu sehen, im Osten ebenfalls nichts und auch im Süden kein Anzeichen von einem Drachen, aber dort hatten sich große Vogelschwärme gesammelt. Zu ihnen blickten sie hin und fragten sich, was sie zu bedeuten hätten, aber als die ersten kalten Sterne am Himmel standen, waren sie der Antwort noch nicht näher gekommen.

XIV

Feuer und Wasser

Wenn ihr nun ebenso wie die Zwerge wissen wollt, was aus Smaug geworden war, müssen wir zu dem Abend zwei Tage vorher zurückkehren, als er die Geheimtür zertrümmerte und wutentbrannt davonflog.

In Esgaroth, der Seestadt, waren die meisten Menschen in ihren Häusern, denn aus dem dunklen Osten wehte ein kalter Wind, aber einige wenige, die gern die ersten Sterne des Abends in den glatten Stellen auf der Wasserfläche des Sees gespiegelt sahen, liefen noch auf den Kais umher. Von der Stadt aus war der Blick auf den Einsamen Berg zumeist verdeckt von den niedrigen Hügeln am andern Ende des Sees, zwischen denen der Eilend von Norden herabfloss. Nur der hohe Gipfel war bei klarem Wetter zu sehen, und dort schaute man selten hin, denn dies war selbst im Morgenlicht ein Anblick, der nichts Gutes verhieß. Nun war er verschwunden, ausgelöscht von der Dunkelheit.

Plötzlich kam er flackernd in Sicht: Ein Aufglühen, das gleich wieder verblasste, ließ ihn einen Moment hervortreten.

»Seht nur!«, sagte einer. »Die Lichter wieder! Letzte Nacht haben die Wachmänner sie auch gesehen. Von Mitternacht bis zum Morgen sind sie immer wieder aufgeflammt und verblasst. Irgendwas tut sich da oben.«

»Vielleicht schmiedet der König unter dem Berge dort Gold«, sagte ein anderer. »Ist lange genug her, dass er nach Norden gefahren ist. Wird auch Zeit, dass die alten Lieder mal wahr werden.«

»Was für ein König?«, sagte einer mit einer knarrenden Stimme. »Viel eher ist es das Feuer des Drachen, der die Gegend verwüstet. Der ist der einzige König unter dem Berge, den wir kennen.«

»Sie sehen aber auch immer schwarz!«, sagten die anderen. »Ob Sie nun Überschwemmungen voraussagen oder Fischvergiftungen. Lassen Sie sich doch mal was Netteres einfallen!«

Dann tauchte plötzlich ein heller Lichtschein weiter unten in den Hügeln auf, und das nördliche Ende des Sees färbte sich golden. »Der König unter dem Berge!«, riefen die Leute. »Sein Reichtum strahlt wie die Sonne! Die Quellen speien Silber und Gold! Der Fluss kommt golden vom Berg herab!« Überall gingen Fenster auf, und von allen Seiten hörte man Fußgetrappel.