Wieder einmal herrschte Hochstimmung, Begeisterung. Aber der Mann mit der knarrenden Stimme rannte in aller Eile zum Bürgermeister. »Der Drache kommt, oder ich will ein Narr sein!«, rief er. »Brecht die Brücken ab! Zu den Waffen! Zu den Waffen!«
Dann wurden die Alarmtrompeten geblasen und hallten von den felsigen Ufern wider. Der Jubel brach ab, die Freude schlug um in Entsetzen. So kam es, dass der Drache die Stadt nicht ganz unvorbereitet fand.
Binnen kurzem, so schnell flog er, sahen sie ihn als glühenden Funken herangestürmt kommen, immer größer und heller werdend, und es waren nicht die Dümmsten, die auf die Prophezeiungen der alten Lieder nun nicht mehr viel geben wollten. Immerhin, sie hatten ein wenig Zeit. Jedes Gefäß in der Stadt war mit Wasser gefüllt, jeder Krieger war bewaffnet, jeder Pfeil oder Bolzen griffbereit, und die Brücke zum Land war niedergerissen, bevor das Brausen, das man nun nicht mehr überhören konnte, beängstigend laut wurde und der See sich unter dem mächtigen Flügelschlag des Drachen feuerrot kräuselte.
Begleitet von Geschrei, Gejammer und Kommandorufen überflog er die Stadt und schwenkte zur Brücke hin ab – doch da kam er zu spät! Die Brücke lag in Trümmern. Seine Feinde standen auf einer Insel im tiefen Wasser – jedenfalls zu tief und kalt und dunkel für seinen Geschmack. Wäre er hineingetaucht, hätte es eine Dampfwolke gegeben, die das Land ringsum tagelang mit Nebel bedeckte; aber der See war stärker als er und hätte sein Feuer gelöscht, ehe er die Stadt erreichte.
Fauchend drehte er ab und flog wieder über die Stadt hin. Ein dunkler Pfeilhagel stieg auf, knallte und klapperte gegen seine juwelenbesetzten Schuppen, und dann sanken die Schäfte, von seinem Atem entzündet, brennend herab und fielen zischend in den See. Ein Feuerwerk wie in dieser Nacht über der Seestadt habt ihr bestimmt noch nie gesehen. Das Schwirren der Bogensehnen und das Schmettern der Trompeten trieben den Zorn des Drachen bis zu blinder Raserei. Seit ewigen Zeiten schon hatte niemand mehr gewagt, sich ihm zum Kampf zu stellen; und auch heute hätten sie es nicht gewagt, wäre dieser Kerl mit der knarrenden Stimme (er hieß übrigens Bard) nicht gewesen, der wie ein Verrückter herumrannte, die Bogenschützen anfeuerte und den Bürgermeister unter Druck setzte, Befehl zu geben, dass bis zum letzten Pfeil gekämpft werden müsse.
Feuer züngelte aus dem Maul des Drachen. Eine Weile kreiste er hoch in der Luft über der Stadt, wie ein Leuchtfeuer, das den ganzen See erhellte. Die Bäume am Ufer glänzten wie Kupfer und Blut, zu ihren Füßen zuckende tiefschwarze Schatten. Dann stieß der Drache herab, mitten durch das Pfeilgewitter, unbändig in seiner Wut, ohne sich darum zu kümmern, ob er seinen Feinden die schuppigen Seiten zukehrte, einzig darauf bedacht, ihre Stadt in Flammen aufgehen zu lassen.
Feuer sprang auf von Schilfdächern und Balkenenden, als er vorüberzog, kreiste und wiederkam. Aber vorher war alles mit Wasser übergossen worden, und auch jetzt waren hundert Hände bereit, die Eimer dorthin zu reichen, wo auch nur ein Funke sich zeigte. Wieder stieß der Drache herab. Ein Schwanzhieb, und das Dach der großen Halle splitterte und stürzte ein. Unlöschbare Flammen schossen hoch auf in die Nacht. Noch ein Anflug und noch einer, und jedes Mal ging ein Haus in Flammen auf und brach zusammen; und noch immer konnte kein Pfeil den Drachen behelligen oder ihm mehr Schaden tun als der Stich einer Sumpffliege.
Schon sprangen auf allen Seiten Menschen ins Wasser. Auf dem Marktteich wurden Frauen und Kinder in Frachtkähne gedrängt. Waffen wurden weggeworfen. Alles schrie und jammerte, wo vor nicht so langer Zeit noch die alten Lieder über die Zwerge gesungen worden waren, die frohe Zeiten verhießen. Jetzt verfluchte man die Zwerge. Der Bürgermeister selbst machte, dass er zu seinem großen vergoldeten Boot kam, in der Hoffnung, dass es in dem allgemeinen Durcheinander nicht auffallen würde, wenn er sich in Sicherheit brachte. Nicht mehr lange, und die ganze Stadt wäre verlassen und bis auf den Wasserspiegel des Sees niedergebrannt.
Dem Drachen war es recht so. Sollten sie nur alle in die Boote steigen! Dann könnte er in aller Ruhe Jagd auf sie machen oder sie auf dem See verhungern lassen. Gingen sie aber an Land, so wäre er auch darauf vorbereitet. Alle Uferwälder würde er in Brand stecken und alle Felder und Weiden versengen. Erst einmal wollte er jetzt sein Spiel mit dieser Stadt treiben. Schon lange hatte er keinen solchen Spaß mehr gehabt.
Aber noch immer hielt sich ein Trupp Bogenschützen zwischen den brennenden Häusern. Ihr Hauptmann war Bard, der mit der knarrenden Stimme und dem finsteren Gesicht, dem seine Freunde vorgeworfen hatten, er prophezeie immer nur Überschwemmungen und Fischvergiftungen; aber sie kannten seinen Mut und wussten, was der Mann wert war. Er war ein später Nachkomme Girions, des Fürsten von Thal, dessen Weib und Kind einst auf dem Eilend dem Verderben entronnen waren. Mit seinem großen Eibenbogen hatte er jetzt schon alle Pfeile bis auf einen verschossen. Dicht neben ihm loderten die Flammen. Seine Mitstreiter machten sich davon. Er spannte den Bogen zum letzten Mal.
Plötzlich flatterte aus der Dunkelheit etwas heran und setzte sich auf seine Schulter. Er zuckte zusammen – aber es war nur eine alte Drossel. Furchtlos hockte sie sich neben sein Ohr und erzählte ihm Neuigkeiten. Er war selbst überrascht, dass er ihre Sprache verstand, aber er stammte ja aus dem alten Volk von Thal.
»Warte! Warte!«, sagte sie zu ihm. »Der Mond geht auf. Such nach der Mulde auf der linken Brustseite, wenn er anfliegt und über dir wendet!« Und während Bard voll Verwunderung wartete, berichtete sie ihm alles, was sie oben am Einsamen Berg gehört hatte.
Dann zog Bard die Bogensehne bis an sein Ohr durch. Der Drache beschrieb tief über dem Wasser einen Bogen und flog von neuem gegen die Stadt an. Als er näher kam, stieg der Mond über das östliche Ufer und versilberte seine gewaltigen Flügel.
»Pfeil! Du schwarzer Pfeil!«, sagte der Bogenschütze. »Dich hab ich bis zuletzt aufgespart. Du hast nie gefehlt, und immer hab ich dich wiedergefunden. Ich habe dich von meinem Vater, und er hatte ihn aus alten Zeiten. Zeig jetzt, ob du wirklich aus den Schmieden des wahren Königs unter dem Berge kommst! Flieg und triff!«
Tiefer denn je stieß der Drache herab, und als er im Sturzflug wendete, glitzerte sein Bauch im Mondlicht weiß vor funkelnden Juwelen – doch nicht an der einen Stelle. Der große Bogen schwirrte. Der schwarze Pfeil flog von der Sehne, genau auf die Mulde an der linken Brustseite unter dem Ansatz des ausgestreckten Vorderbeins. Er schlug ein und verschwand mit Spitze, Schaft und Feder, so viel Wucht hatte der Schuss. Mit einem Schrei, der Ohren betäubte, Bäume entwurzelte und Steine zersplittern ließ, fuhr Smaug hoch in die Luft hinauf, überschlug sich und stürzte alles zertrümmernd herab.
Mitten auf die Stadt stürzte er. Seine letzten Zuckungen zerhackten die Häuser zu lodernden Scheiten. Der See brach über sie herein. Eine große Dampfwolke stieg auf, weiß in der plötzlichen Finsternis unter dem Mond. Ein Zischen, ein sprudelndes Aufbrausen des Wassers, und dann wurde es still. Und das war Smaugs Ende und Esgaroths Ende. Aber Bards Ende war es nicht.
Der zunehmende Mond stieg höher und höher, und der Wind blies kalt und laut. Er riss den weißen Nebel in krumme Säulen und flatternde Wolken auseinander, trieb ihn nach Westen und verstreute ihn in Fetzen über die Sümpfe vor dem Düsterwald. Nun sah man die vielen Boote als dunkle Tupfen auf der Wasseroberfläche, und der Wind wehte die Stimmen der Menschen von Esgaroth über den See, wie sie um die verlorene Stadt, ihren Besitz und ihre zertrümmerten Häuser klagten. Doch eigentlich konnten sie froh sein, hätten sie es sich recht überlegt, was man allerdings im Augenblick nicht von ihnen erwarten konnte: Drei Viertel der Stadtbewohner waren wenigstens mit dem Leben davongekommen; ihre Wälder, Felder und Weiden, ihr Vieh und die meisten ihrer Boote hatten keinen Schaden genommen. Und der Drache war tot. Was das bedeutete, hatten sie noch gar nicht begriffen.