In traurigen Scharen versammelten sie sich auf dem westlichen Ufer, sie standen zitternd im kalten Wind, und ihre Vorwürfe und Zornesäußerungen richteten sich zuerst gegen den Bürgermeister, der sich so früh aus der Stadt davongemacht hatte, während manche noch bereit waren, sie zu verteidigen.
»Von Geschäften versteht er ja etwas – besonders von seinen eigenen«, murmelten manche, »aber wenn es ernst wird, taugt er nichts.« Und voll Bewunderung sprachen sie über Bard und seinen letzten gewaltigen Bogenschuss. »Wenn er doch nur nicht umgekommen wäre!«, sagten sie alle. »Wir würden ihn zum König krönen. Bard, der Drachentöter aus Girions Geschlecht! Ach, wie schade, dass er hin ist!«
Und während sie noch so redeten, trat ein großer Kerl aus den Schatten hervor. Wasser troff an ihm herab, das schwarze Haar hing ihm nass über Gesicht und Schultern, und seine Augen leuchteten gefährlich.
»Bard ist nicht hin!«, rief er. »Er ist ins Wasser gesprungen, als der Feind tot war. Ich bin es, Bard aus Girions Geschlecht; ich bin der Drachentöter.«
»König Bard, König Bard!«, brüllten die Leute; aber der Bürgermeister klapperte und knirschte mit den Zähnen, bis sie ihn anhörten.
»Girion war der Fürst von Thal, nicht König von Esgaroth«, sagte er. »In der Seestadt haben wir unsere Regierung immer gewählt, und zwar unter den alten und weisen Männern. Herrscher, die bloß Krieg führen können, haben wir nie geduldet. Lasst den ›König Bard‹ doch in sein Königreich heimkehren – Thal ist dank seiner Tapferkeit ja nun frei, und nichts hindert ihn an der Rückkehr. Und wer will, soll mit ihm gehen, wenn ihm die kalten Steine im Schatten des Berges lieber sind als die grünen Ufer des Sees. Wer gescheit ist, bleibt hier, wo wir die Stadt hoffentlich bald neu aufgebaut haben, und lebt dann wieder in Frieden und Wohlstand.«
»Wir wollen König Bard!«, riefen die in der Nähe Stehenden. »Die alten Herren und die Geldscheffler haben wir satt!« Und die etwas weiter entfernt Stehenden stimmten lauthals mit ein: »Es lebe der Bogenschütze! Nieder mit den Geldsäcken!«, hallte es weit am Ufer entlang.
»Ich bin der Letzte, der den Bogenschützen Bard geringschätzen würde«, sagte der Bürgermeister, behutsam einlenkend, denn Bard stand nun dicht neben ihm. »Er hat sich heute Nacht einen hervorragenden Platz auf der Liste der Wohltäter unserer Stadt verdient, und viele unvergängliche Lieder sollen ihn feiern. Warum aber, o Volk von Esgaroth« – und hier erhob der Bürgermeister sich auf die Zehenspitzen, und seine Stimme wurde sehr laut und deutlich – »warum gebt ihr mir an allem die Schuld? Welchen Fehler hab ich gemacht, dass ihr mich absetzen wollt? Wer hat denn den Drachen aus seinem Schlaf aufgestört, möchte ich wissen? Wer hat reiche Gaben und großzügige Unterstützung von uns empfangen und uns weisgemacht, die alten Lieder könnten wahr werden? Wer hat unser gutes Herz und unsere Wundergläubigkeit ausgenützt? Und welcherlei Gold haben sie uns zum Lohn den Fluss herabgeschickt? Drachenfeuer und Verderben! Von wem müssen wir daher die Erstattung unserer Schäden und Hilfe für unsere Witwen und Waisen fordern?«
Wie ihr seht, war der Mann nicht umsonst Bürgermeister geworden. Seine Worte bewirkten, dass die Leute ihren Wunsch nach einem neuen König für den Augenblick mehr oder weniger vergaßen; und dafür richtete sich ihre Erbitterung gegen Thorin & Co. Derbe und heftige Worte von vielen Seiten wurden gegen sie laut; und manche, die vor kurzem noch begeistert die alten Lieder angestimmt hatten, hörte man nun schimpfen und zetern, die Zwerge hätten ihnen den Drachen mit Vorbedacht auf den Hals gehetzt.
»Ihr Dummköpfe!«, sagte Bard. »Warum wütet ihr mit Worten gegen diese Ungücklichen? Sicherlich sind sie im Feuer umgekommen, ehe der Drache uns angriff.« Dann, noch während er sprach, kam ihm der Gedanke an den fabelhaften Schatz, der nun ohne Hüter oder Besitzer unter dem Berg lag, und er schwieg plötzlich still. Er dachte auch an die Worte des Bürgermeisters und an das wiedererstandene Thal, das eine Stadt voller goldener Glocken werden konnte, fände er nur die Menschen, die es mit ihm neu aufbauten.
Aber schließlich nahm er doch noch einmal das Wort: »Jetzt ist keine Zeit für böse Worte, Bürgermeister, auch nicht für gewichtige Erörterungen, wie in Zukunft alles anders werden muss. Wir haben viel zu tun. Ich stehe immer noch in Ihrem Dienst – allerdings kann es sein, dass ich mir später noch mal überlege, was Sie gesagt haben, und mit allen, die mir folgen wollen, nach Norden gehe.«
Dann ging er fort, um in den Lagern Ordnung zu schaffen und bei der Pflege der Kranken und Verwundeten zu helfen. Der Bürgermeister blickte ihm finster nach und rührte sich nicht vom Fleck. Er setzte sich auf den Boden, bedachte vieles und sagte wenig, außer um Leute herbeizurufen, damit sie ihm ein Feuer anzündeten und etwas zu essen brachten.
Wohin Bard auch kam, sprachen die Leute von dem riesigen Schatz, der nun unbewacht war. Daraus wollten sie für alles, was sie erlitten hatten, entschädigt werden – und nicht nur das, denn es sollte auch noch einiges an Überschuss bleiben, von dem man sich herrliche Sachen aus dem Süden kaufen könnte. Solche Gedanken munterten die Leute mächtig auf, und das war gut so, denn ihre Lage war übel und die Nacht eisig kalt. Notdürftige Unterkünfte konnten nur für wenige errichtet werden (der Bürgermeister bekam eine), und Nahrung war knapp (selbst der Bürgermeister wurde nicht satt). Viele, die bei der Zerstörung der Stadt unverletzt entkommen waren, starben später an den Folgen der Nässe und Kälte in dieser Nacht oder vor Kummer über das, was sie erlebt hatten; und auch in den nächsten Tagen litten viele an Hunger und Krankheiten.
Einstweilen trat Bard an die Spitze und regelte alles, wie er es für richtig hielt, doch immer im Namen des Bürgermeisters. Er hatte große Mühe, unter den Leuten Ordnung zu halten und Vorbereitungen zu ihrer Unterbringung und Versorgung zu treffen. Wahrscheinlich wären die meisten Menschen in dem Winter, der nun immer näher rückte, umgekommen, hätte man sie sich selbst überlassen. Aber bald kam Hilfe, denn Bard hatte sofort Eilboten den Waldfluss hinaufgeschickt und den Elbenkönig um Beistand gebeten. Unterwegs begegneten die Boten einem ganzen Heer der Waldelben, das schon auf dem Marsch war, obwohl seit dem Tod des Drachen erst drei Tage vergangen waren.
Der Elbenkönig hatte die Neuigkeit von seinen eigenen Kundschaftern und von den Vögeln erfahren, die mit seinem Volk befreundet waren und die schon viel von dem, was geschehen war, wussten. An den Grenzen der von dem Drachen verwüsteten Einöde war nämlich alles, was Flügel hatte, in Bewegung geraten. Die Luft war voller kreisender Vogelschwärme, und ihre schnellen Boten flogen in alle Himmelsrichtungen. Überall an den Säumen des Düsterwalds piepste, flötete und zwitscherte es. Bis weit über den Wald hinaus verbreitete sich die Nachricht: »Smaug ist tot.« Das Laub raschelte; neugierige Ohren wurden gespitzt. Noch bevor der Elbenkönig mit seinem Heer aufbrach, war die Nachricht nach Westen bis zu den Kiefernwäldern des Nebelgebirges gelangt; Beorn in seinem Blockhaus hatte sie gehört, und die Orks berieten darüber in ihren Höhlen.
»Ich fürchte, dies wird das Letzte gewesen sein, was wir von Thorin Eichenschild hören«, sagte der Elbenkönig. »Er hätte doch lieber mein Gast bleiben sollen. Trotzdem, es bläst ein böser Wind«, fügte er hinzu, »der niemandem Gutes bringt.« Auch er wusste von Thrors sagenhaften Schätzen. Und so kam es, dass Bards Abgesandte ihn mit vielen Speerträgern und Bogenschützen schon auf dem Marsch fanden; und die Krähen sammelten sich über ihnen in dichten Schwärmen, denn sie glaubten, dass der Krieg wieder aufflammen werde, den es in dieser Gegend schon lange nicht mehr gegeben hatte.
Doch auf Bards Ersuchen hin änderte der König seinen Plan, denn er war Herr über ein gutmütiges, hilfsbereites Volk. Er marschierte nicht, wie es zuerst seine Absicht gewesen war, geradewegs zum Einsamen Berg, sondern in aller Eile flussabwärts zum Langen See. Boote und Flöße hatte er nicht genug für sein Heer, darum mussten seine Krieger den viel längeren und beschwerlicheren Weg zu Fuß nehmen; aber was er an Vorräten entbehren konnte, schickte er zu Wasser voraus. Zum Glück sind Elben leichtfüßig, und obwohl sie zu dieser Zeit mit den Sümpfen und dem tückischen Land zwischen dem Wald und dem See nicht allzu gut vertraut waren, kamen sie schnell voran. Nur fünf Tage nach dem Tod des Drachen erreichten sie das Ufer und sahen die Trümmer der Stadt. Sie wurden herzlich empfangen, wie man sich denken kann, und die Menschen und ihr Bürgermeister waren bereit, dem Elbenkönig seine Hilfe mit jeder Abmachung, die er sich für die Zukunft nur wünschen konnte, zu vergelten.