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Früh am nächsten Morgen sahen sie einen Trupp Speerträger über den Fluss und das Tal heraufkommen. Das grüne Banner des Elbenkönigs und das blaue Banner der Seestadt wurden ihnen vorangetragen, und sie kamen so nah wie möglich an die Mauer vor dem Tor.

Wieder rief Thorin sie mit lauter Stimme an: »Wer seid ihr, und warum kommt ihr in Kriegsrüstung an Thorin Thrainssohns Tor?« Dieses Mal erhielt er Antwort.

Ein großer Mann trat vor, dunkelhaarig und mit finsterem Gesicht, und rief: »Sei gegrüßt, Thorin! Warum verschanzt du dich wie ein Räuber in seiner Burg? Noch sind wir nicht Feinde. Wir freuen uns, dass ihr noch am Leben seid – wir hatten es nicht erwartet, als wir hierherkamen. Aber da wir uns nun hier begegnen, haben wir über einiges zu reden und zu verhandeln.«

»Wer bist du, und über was willst du verhandeln?«

»Ich bin Bard, und ich habe den Drachen getötet: Nur deshalb konntest du deinen Schatz wiedererlangen. Findest du, dass dich das nichts angeht? Außerdem bin ich der Nachkomme und rechtmäßige Erbe Girions von Thal, und dein Schatz ist mit vielem vermischt, das einst Girions Hallen und seine Städte zierte, wo Smaug es geraubt hat. Ist dies kein Thema, über das wir zu reden hätten? Und weiter: In seinem letzten Kampf hat der Drache die Häuser der Menschen von Esgaroth zerstört, und ich stehe noch im Dienst ihres Bürgermeisters. Ich möchte für ihn sprechen und dich fragen, ob dir Leid und Elend seines Volkes gleichgültig sind! Sie haben euch aus der Not geholfen, und zum Dank habt ihr ihnen bisher nur Verderben gebracht, wenn auch gewiss nicht absichtlich.«

So stolz und grimmig Bard dies auch vorbrachte, es war maßvoll und richtig, und Bilbo dachte, dass Thorin es auch gleich zugeben würde. Dass es ja Bilbo gewesen war, der ganz allein die verwundbare Stelle des Drachen entdeckt hatte, davon sprach natürlich niemand, und Bilbo erwartete es auch nicht anders. Aber er hatte nicht geahnt, wie viel Macht das Gold, auf dem ein Drache lange gelegen hat, über die Herzen der Zwerge gewinnen kann. Viele Stunden hatte Thorin während der letzten Tage in der Schatzkammer verbracht, und die Habgier hatte ihn schwer gepackt. Zwar hatte er hauptsächlich nach dem Arkenstein gesucht, doch fielen ihm auch so manche andere Herrlichkeiten, die dort lagen, ins Auge: Dinge, an die sich alte Erinnerungen an die Leiden und Mühen seines Volkes knüpften.

»Du erhebst deinen schwächsten Anspruch an letzter und wichtigster Stelle«, antwortete Thorin. »Auf den Schatz meines Volkes hat niemand deshalb einen Anspruch, weil Smaug, der uns den Schatz geraubt hat, auch ihm etwas geraubt hat, sei es das Leben oder sein Haus. Da der Schatz dem Drachen nicht gehörte, können auch seine Untaten nicht mit einem Anteil daran vergolten werden. Für die Güter und die Hilfe, die wir aus der Seestadt empfangen haben, werden wir einen anständigen Preis zahlen – zu gegebener Zeit. Doch nichts geben wir her, keinen Pfennig, wenn man uns mit Gewalt droht. Solange ihr mit einem Heer in Waffen vor unserer Tür steht, betrachten wir euch als Feinde und Räuber.

Ich frage mich übrigens, welches Erbteil ihr wohl unserer Sippe überlassen hättet, wenn ihr den Schatz unbewacht und uns tot vorgefunden hättet.«

»Eine berechtigte Frage«, antwortete Bard. »Aber ihr seid nicht tot, und wir sind keine Räuber. Und der Reiche könnte sich wohl der Bedürftigen erbarmen, besonders wenn sie ihm Freundschaft erwiesen haben, als er in Not war. Außerdem hast du zu meinen übrigen Ansprüchen noch nichts erwidert.«

»Ich verhandle nicht mit Bewaffneten vor meinem Tor, wie schon gesagt. Und schon gar nicht mit dem Volk des Elbenkönigs, das ich nicht in guter Erinnerung habe. In diesem Handel haben die Elben nichts zu suchen. Verschwindet jetzt, ehe wir unsere Pfeile fliegen lassen! Und wenn du noch einmal mit mir sprechen willst, dann schicke zuerst das Elbenheer wieder in die Wälder, wo es hingehört, und wenn du dann wiederkommst, leg erst die Waffen ab, bevor du dich unserer Schwelle näherst!«

»Der Elbenkönig ist mein Freund, und er hat den Menschen vom See in ihrer Not Hilfe gewährt, ohne anders als durch Freundschaft dazu verpflichtet zu sein«, antwortete Bard. »Wir wollen dir Zeit lassen, deine Worte zu bereuen. Nimm deinen Verstand zusammen, ehe wir wiederkommen!« Dann wandte er sich ab und ging zurück ins Lager.

Nach wenigen Stunden schon kamen die Bannerträger wieder, und Trompeter traten vor und bliesen eine Fanfare.

»Im Namen der Stadt Esgaroth und im Namen des Waldes«, rief einer, »sprechen wir zu Thorin Thrainssohn Eichenschild, der sich König unter dem Berge nennt, und fordern ihn auf, den erhobenen Ansprüchen stattzugeben, oder er wird zu unserem Feind erklärt. Zumindest ein Zwölftel des Schatzes soll er an Bard, den Drachentöter und Girions Erben, abtreten. Aus diesem Anteil wird Bard selbst zur Hilfe für Esgaroth beisteuern; doch wenn Thorin sich in den Nachbarländern Freundschaft und Achtung bewahren will, wie seine Vorväter sie einst genossen, so sollte er auch für sein Teil etwas zur Unterstützung der Menschen am See beitragen.«

Da griff Thorin nach einem Hornbogen und schoss einen Pfeil auf den Sprecher ab. Er traf seinen Schild. Zitternd blieb der Pfeil darin stecken.

»Wenn das deine Antwort ist«, rief der Sprecher, »so erkläre ich den Berg für belagert! Ihr sollt nicht herauskommen, solange ihr nicht eurerseits Waffenstillstand und Verhandlungen anbietet. Wir werden euch nicht angreifen, sondern euch auf eurem Gold sitzen lassen. Vielleicht könnt ihr es ja essen!«

Nach diesen Worten zogen die Boten sich rasch zurück, und die Zwerge hatten nun Zeit, sich das Für und Wider zu überlegen. Aber Thorin war in so grimmiger Laune, dass die anderen, selbst wenn sie gewollt hätten, nicht wagten, ihm zu widersprechen; doch schienen die meisten Thorins Meinung sogar zu teilen – ausgenommen vielleicht der dicke alte Bombur und Fili und Kili. Bilbo natürlich war mit der Wendung, die die Dinge genommen hatten, überhaupt nicht einverstanden. Er hatte von diesem Berg nun mehr als genug, und darinnen belagert zu werden, war nicht nach seinem Geschmack.

»Diese ganze Höhle stinkt immer noch nach dem Drachen«, knurrte er in sich hinein. »Mir wird ganz übel davon! Und dieses Cram bleibt mir allmählich im Halse stecken.«

XVI

Ein Dieb in der Nacht

Nun schleppten die Tage sich müde dahin. Viele von den Zwergen verbrachten ihre Zeit damit, den Schatz zu sichten und zu sortieren, und dann sprach Thorin über Thrains Arkenstein und forderte sie auf, unermüdlich in allen Winkeln danach zu suchen.

»Denn der Arkenstein meines Vaters«, sagte er, »ist allein mehr wert als ein ganzer Fluss voller Gold, und zu keinem Preis verkäuflich. Diesen Stein aus dem ganzen Schatz nenne ich mein Eigen, und meine Rache wird jeden treffen, der ihn findet und mir vorenthält.«

Als Bilbo das hörte, bekam er es mit der Angst, was wohl passieren würde, wenn sie den Stein bei ihm fänden – eingewickelt in ein Bündel alter Lappen, die ihm als Kopfkissen dienten. Trotzdem sagte er kein Wort davon, denn als die Tage immer bedrückender wurden, waren ihm die ersten Andeutungen eines Plans durch den Kopf gegangen.

So standen die Dinge nun schon seit einiger Zeit, als die Raben Nachricht brachten, dass Dain mit über fünfhundert Zwergen, die von den Eisenbergen im Nordosten heraneilten, nur noch zwei Tagesmärsche von Thal entfernt war.

»Aber sie können den Berg nicht unbemerkt erreichen«, sagte Roac, »und ich befürchte, es wird im Tal zur Schlacht kommen. Dies kann ich nicht gutheißen. Obwohl sie grimmige Burschen sind, werden sie das Heer, das euch belagert, wahrscheinlich nicht überwinden können. Aber selbst wenn sie es könnten, was hättet ihr damit gewonnen? Der Winter und der Schnee folgen ihnen auf dem Fuße. Wie wollt ihr euch ernähren ohne die Freundschaft und das Wohlwollen eurer Nachbarn? Der Schatz könnte leicht euer Tod sein, auch wenn der Drache ihn nicht mehr behütet.«

Aber Thorin blieb unbewegt. »Winter und Schnee werden auch die Menschen und die Elben quälen«, sagte er, »und ihnen den Aufenthalt in der Einöde verleiden. Wenn meine Freunde hinter ihnen stehen und der Winter über ihr Lager hereinbricht, wird mit ihnen vielleicht besser zu verhandeln sein.«