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Bei all seinen Qualen hatte nur noch der Neid gefehlt, der nun auf einmal sein Herz schmerzhaft packte.

»Das weiß ich Ihnen allerdings nicht zu erklären«, antwortete der Fürst.

Ganja warf ihm einen grimmigen Blick zu.

»Da hat sie Sie wohl ins Eßzimmer gerufen, um Ihnen ihr Vertrauen zu schenken? Denn daß sie Ihnen etwas schenken wolle, hatte sie ja vorher gesagt.«

»Ich kann es nicht anders auffassen als in dieser Weise.«

»Aber zum Teufel, wodurch haben Sie denn das verdient? Was haben Sie denn so Dankenswertes dort getan? Wodurch haben Sie so gefallen? Hören Sie einmal«, sagte er hastig (in seinem Geist war zur Zeit alles gleichsam bunt durcheinandergeworfen und befand sich in ärgster Unordnung, so daß er mit seinen Gedanken nicht zurechtkommen konnte), »hören Sie einmal, können Sie sich nicht wenigstens einigermaßen erinnern und der Reihe nach erzählen, wovon Sie dort eigentlich gesprochen haben, alle Ihre Worte, von Anfang an? Haben Sie irgend etwas Eigenartiges geäußert, besinnen Sie sich nicht?«

»Oh ja, sehr wohl«, antwortete der Fürst. »Gleich am Anfang, als ich hereingekommen und mit den Damen bekannt geworden war, sprachen wir über die Schweiz.«

»Ach, hol die Schweiz der Teufel!«

»Dann über die Todesstrafe.«

»Über die Todesstrafe?«

»Ja, das Gespräch führte uns darauf ... Dann erzählte ich ihnen, wie ich dort vier Jahre gelebt habe, und eine Geschichte von einem armen Bauernmädchen ...«

»Ach, zum Teufel mit dem armen Bauernmädchen! Weiter!« drängte Ganja ungeduldig.

»Dann, wie Schneider mir seine Ansicht über meinen Charakter aussprach und mich nötigte ...«

»Hol Ihren Schneider der Henker; was scheren mich seine Ansichten! Weiter!«

»Dann fing ich bei irgendeinem Anlaß an, von Gesichtern zu sprechen, das heißt von dem Ausdruck der Gesichter, und sagte, Aglaja Iwanowna sei fast ebenso schön wie Nastasja Filippowna. Und da kam ich denn auch auf das Bild zu sprechen ...«

»Aber Sie haben nichts von dem mitgeteilt, Sie haben doch nichts von dem mitgeteilt, was Sie vorher im Arbeitszimmer gehört hatten? Nein? Nein?«

»Ich wiederhole Ihnen, daß ich es nicht getan habe.«

»Aber woher dann, zum Teufel ... Ha! Hat Aglaja den Brief etwa der Alten gezeigt?«

»Was das betrifft, kann ich Ihnen bestimmt garantieren, daß sie ihn ihr nicht gezeigt hat. Ich war die ganz Zeit dabei; sie hatte auch gar keine Zeit dazu.«

»Aber vielleicht haben Sie selbst etwas nicht bemerkt ... Oh, dieser ver-r-dammte Idiot!« schrie er auf einmal ganz außer sich, »er kann nicht einmal etwas erzählen!«

Ganja, der nun einmal ins Schimpfen hineingeraten war und keinen Widerstand fand, verlor allmählich alle Selbstbeherrschung, wie das bei manchen Menschen immer so geht. Es fehlte nicht viel, und er hätte vielleicht zu spucken begonnen, so wütend war er. Aber eben infolge dieser Wut war er auch wie blind; sonst hätte er längst bemerken müssen, daß dieser »Idiot«, den er so verächtlich behandelte, manche Dinge sehr schnell und genau durchschaute und außerordentlich klar darzustellen wußte. Aber auf einmal begab sich etwas Unerwartetes.

»Ich muß Ihnen bemerken, Gawrila Ardalionowitsch«, sagte der Fürst plötzlich, »daß ich zwar früher in der Tat so krank war, daß ich wirklich fast einem Idioten glich; aber jetzt bin ich schon längst wiederhergestellt, und daher ist es mir einigermaßen unangenehm, wenn man mich, mir ins Gesicht, einen Idioten nennt. Allerdings kann man Ihre Mißerfolge als Entschuldigung für Sie geltend machen; aber Sie haben mich in Ihrem Ärger schon zweimal mit Schimpfnamen belegt. Das mißfällt mir sehr, namentlich auch, da Sie es so ohne weiteres gleich beim Beginn unserer Bekanntschaft tun; und da wir uns jetzt gerade an einer Straßenkreuzung befinden, so ist es wohl das beste, wenn wir uns trennen: gehen Sie rechts nach Ihrer Wohnung, und ich werde nach links gehen. Ich bin im Besitz von fünfundzwanzig Rubeln und werde wohl irgendein Hotel garni finden.«

Ganja wurde höchst verlegen und errötete sogar vor Scham darüber, daß ihm sein Fehler so unerwartet vorgehalten wurde.

»Verzeihen Sie, Fürst!« rief er eifrig, indem er seinen scheltenden Ton schnell mit einem äußerst höflichen vertauschte, »ich bitte Sie inständig, verzeihen Sie mir! Sie sehen, in welcher entsetzlichen Lage ich mich befinde! Sie wissen noch fast nichts darüber; aber wenn Sie alles wüßten, würden Sie mich gewiß wenigstens einigermaßen entschuldigen, wiewohl selbstverständlich mein Verhalten unentschuldbar ist ...«

»Oh, ich beanspruche gar nicht so lange Entschuldigungen«, beeilte sich der Fürst zu erwidern. »Ich begreife ja, daß Ihnen Ihre Lage sehr unangenehm ist und Sie deswegen schimpfen. Nun, dann wollen wir nach Ihrer Wohnung gehen. Ich tue es nun mit Vergnügen ...«

»Nein, so darf ich ihn jetzt nicht davonlassen«, sagte sich Ganja im stillen, während er unterwegs dem Fürsten grimmige Blicke zuwarf. »Dieser schlaue Patron hat mir alle meine Geheimnisse entlockt und nun auf einmal die Maske abgeworfen ... Das hat etwas zu bedeuten. Nun, wir wollen sehen! Es wird sich alles entscheiden, alles, alles! Noch heute!«

Sie standen schon gerade vor dem Haus.

Fußnoten

1 Das geht wohl auf 1. Sam. 13, 14 zurück (A.d.Ü.)

VIII

Ganjas Wohnung befand sich im dritten Stock, zu dem man auf einer sehr sauberen, hellen, breiten Treppe hinaufstieg, und bestand aus sechs oder sieben Stuben und Stübchen, die zwar nur ganz gewöhnlicher Art waren, aber doch jedenfalls nicht recht im Einklang standen mit dem Portemonnaie eines Beamten, der Familie hatte, auch wenn er zweitausend Rubel Gehalt bezog. Bei der Wohnung war jedoch die Aufnahme von Untermietern mit Beköstigung und Bedienung in Aussicht genommen, und sie war von Ganja und seiner Familie erst vor zwei Monaten gemietet worden; und zwar war dies zu Ganjas eigenem größten Mißvergnügen geschehen, auf die inständigen Bitten seiner Mutter Nina Alexandrowna und seiner Schwester Warwara Ardalionowna hin, die den Wunsch hatten, sich für ihrem Teil nützlich zu machen und die Einnahmen der Familie wenigstens um eine Kleinigkeit zu vermehren. Ganja ärgerte sich darüber und nannte das Halten von Untermietern eine Unanständigkeit; er schämte sich dessen gewissermaßen in der Gesellschaft, in der er als ein junger, eleganter Mann mit einer bedeutenden Zukunft sich zu bewegen pflegte. Dieser Druck der Verhältnisse und diese ganze widerwärtige Beengtheit bereiteten ihm tiefe seelische Schmerzen. Seit einiger Zeit regte er sich über jede Kleinigkeit maßlos und viel mehr, als sie wert war, auf, und wenn er sich dazu verstand, vorläufig noch nachzugeben und zu dulden, so tat er dies nur deshalb, weil er bereits entschlossen war, dies alles in nächster Zeit umzuändern und umzugestalten. Indessen stellten ihm gerade diese Umgestaltung, gerade der Ausweg, den er vor sich hatte, eine nicht leichte Aufgabe, eine Aufgabe, deren bevorstehende Lösung mühsamer und qualvoller zu werden drohte als alles Vorhergegangene.

Die Wohnung wurde von einem Korridor durchschnitten, der gleich beim Vorzimmer begann. Auf der einen Seite des Korridors befanden sich die drei Zimmer, die zum Vermieten an »gut empfohlene« Untermieter bestimmt waren; außerdem lag auf derselben Seite des Korridors, ganz am Ende, bei der Küche, ein viertes Zimmerchen, enger als alle übrigen, in welchem das Oberhaupt der Familie, der General a.D. Iwolgin, selbst wohnte; er schlief dort auf einem breiten Sofa und war verpflichtet, wenn er die Wohnung verließ und wiederkam, seinen Weg durch die Küche und über die Hintertreppe zu nehmen. In demselben Zimmerchen wohnte auch Gawrila Ardalionowitschs fünfzehnjähriger Bruder, der Gymnasiast Kolja1; auch er mußte sich in diesem engen Raum behelfen, mußte hier seine Schulaufgaben erledigen und auf einem andern sehr alten, schmalen, kurzen Sofa und einem zerrissenen Laken schlafen; vor allen Dingen aber mußte er den Vater versorgen und beaufsichtigen; denn der Aufsicht wurde dieser von Tag zu Tag mehr bedürftig. Dem Fürsten wurde das mittlere der drei Zimmer angewiesen; in dem ersten Zimmer, rechts davon, wohnte Ferdyschtschenko, und das dritte, links, stand noch leer. Aber Ganja führte den Fürsten zunächst nach der von der Familie eingenommenen Wohnungshälfte. Diese Hälfte bestand aus einem Wohnzimmer, das sich, so oft es nötig war, in ein Eßzimmer verwandelte, ferner aus einem Salon, der jedoch Salon nur vormittags war und sich am Abend in Ganjas Arbeitszimmer und in sein Schlafzimmer verwandelte, und endlich aus einem dritten, engen und stets geschlossen gehaltenen Zimmer: dies war Nina Alexandrownas und Warwara Ardalionownas Schlafzimmer. Mit einem Wort: alles in dieser Wohnung war beengt und zusammengedrängt; Ganja knirschte im stillen nur so mit den Zähnen; obgleich er gegen seine Mutter respektvoll war und zu sein wünschte, so konnte man doch beim ersten Blick, den man in dieses Familienleben tat, bemerken, daß er hier einen argen Despotismus ausübte.