»Sie hat es ihm heute selbst geschenkt«, sagte Warja, »und heute abend wird sich bei ihnen alles entscheiden.«
»Heute abend!« wiederholte Nina Alexandrowna halblaut wie in Verzweiflung. »Nun, dann ist also nicht mehr daran zu zweifeln, und es bleibt uns nichts mehr zu hoffen: durch die Schenkung des Bildes hat sie sich deutlich genug erklärt ... Hat er es dir denn selbst gezeigt?« fügte sie erstaunt hinzu.
»Sie wissen doch, Mama, daß wir schon seit einem ganzen Monat kaum ein Wort miteinander reden. Ptizyn hat mir alles erzählt, und das Bild lag dort neben dem Tisch auf dem Fußboden; da habe ich es aufgehoben.«
»Fürst«, wandte sich Nina Alexandrowna plötzlich an ihn, »ich wollte Sie fragen (und eben deswegen hatte ich Sie hierher bitten lassen), ob Sie mit meinem Sohn schon länger bekannt sind. Ich meine, er sagte, Sie seien erst heute von anderwärts hier angekommen?«
Der Fürst gab ihr in Kürze über sich Auskunft, indem er die größere Hälfte wegließ. Nina Alexandrowna und Warja hörten aufmerksam zu.
»Wenn ich Sie danach frage«, bemerkte Nina Alexandrowna, »so tue ich es nicht in der Absicht, etwas über Gawrila Ardalionowitsch herauszubekommen; geben Sie sich in dieser Hinsicht keinen irrigen Vorstellungen hin! Wenn er etwas hat, was er mir nicht selbst gestehen mag, so will ich das auch nicht hinter seinem Rücken in Erfahrung bringen. Ich fragte namentlich deswegen, weil Ganja vorhin, als Sie hinausgegangen waren, auf meine Frage nach Ihnen mir antwortete: ›Er weiß alles; man braucht sich vor ihm nicht zu genieren!‹ Was bedeutet das? Das heißt, ich möchte gern wissen, bis zu welchem Grade ...«
Auf einmal traten Ganja und Ptizyn ein. Nina Alexandrowna verstummte sofort. Der Fürst blieb auf seinem Stuhl neben ihr sitzen, während Warwara zur Seite ging. Nastasja Filippownas Bild lag an sehr sichtbarer Stelle auf Nina Alexandrownas Arbeitstisch gerade vor ihr. Als Ganja es erblickte, runzelte er die Stirn, nahm es ärgerlich vom Tisch und warf es auf seinen Schreibtisch, der am andern Ende des Zimmers stand.
»Also heute, Ganja?« fragte Nina Alexandrowna plötzlich.
»Was soll heute sein?« rief Ganja zusammenschreckend und fuhr plötzlich auf den Fürsten los. »Ah, ich verstehe, Sie haben auch hier ... Aber was ist denn das in aller Welt mit Ihnen? Eine Art Krankheit? Sind Sie nicht imstande, den Mund zu halten? Nun dann, bitte, begreifen Sie endlich, Durchlaucht ...«
»Hier trage ich die Schuld, Ganja, und kein andrer«, unterbrach ihn Ptizyn.
Ganja blickte ihn fragend an.
»Es ist ja doch so am besten, Ganja, um so mehr, da von der einen Seite die Sache erledigt ist«, murmelte Ptizyn; dann ging er zur Seite, setzte sich an einen Tisch, zog ein mit Bleistift beschriebenes Blatt Papier aus der Tasche und blickte unverwandt darauf.
Ganja stand mit finsterer Miene da und erwartete mit innerlicher Unruhe eine Familienszene. Sich dem Fürsten gegenüber zu entschuldigen, kam ihm gar nicht in den Sinn.
»Wenn alles erledigt ist, hat Iwan Petrowitsch natürlich recht«, sagte Nina Alexandrowna. »Bitte, mach kein so böses Gesicht, Ganja, und ärgere dich nicht; ich werde nie etwas herauszubekommen suchen, was du nicht von selbst sagen magst, und ich versichere dir, daß ich mich vollständig darein gefügt habe; tu mir den Gefallen und beunruhige dich nicht!«
Sie sagte das, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen und, wie es schien, wirklich ganz ruhig. Ganja war erstaunt, schwieg aber vorsichtigerweise und sah seine Mutter an, in der Erwartung, daß sie sich deutlicher aussprechen werde. Häusliche Szenen hatten ihm schon gar zu viel Verdruß gemacht. Nina Alexandrowna bemerkte diese vorsichtige Zurückhaltung und fügte mit bitterem Lächeln hinzu:
»Du zweifelst immer noch und glaubst mir nicht; beunruhige dich nicht: es wird keine Tränen und keine Bitten mehr geben wie früher, wenigstens nicht von meiner Seite. Alles, was ich wünsche, ist, daß du glücklich sein möchtest, und das weißt du; ich habe mich in mein Schicksal gefunden, und mein Herz wird immer voll Liebe für dich sein, ob wir nun zusammenbleiben oder uns trennen. Selbstverständlich rede ich nur in meinem eigenen Namen; von deiner Schwester kannst du nicht dasselbe verlangen ...«
»Ah, immer wieder sie!« rief Ganja, indem er seiner Schwester einen spöttischen, haßerfüllten Blick zuwarf. »Liebe Mama, ich schöre Ihnen nochmals, worauf ich Ihnen schon früher mein Wort gegeben habe: nie soll jemand wagen, sich gegen Sie zu vergehen, solange ich hier bin, solange ich am Leben bin. Um wen es sich auch handeln mag, ich werde stets darauf bestehen, daß jeder, der unsere Schwelle überschreitet, Ihnen mit der größten Ehrerbietung begegnet ...«
Ganja freute sich so, daß er seine Mutter fast mit versöhnlichen, zärtlichen Blicken ansah.
»Ich habe auch nie etwas für meine eigene Person befürchtet, Ganja; das weißt du. Nicht um meinetwillen habe ich mich diese ganze Zeit über beunruhigt und gequält. Es heißt, heute wird zwischen euch alles erledigt werden? Was wird denn erledigt werden?«
»Sie hat versprochen, heute abend bei sich zu Hause sich darüber zu erklären, ob sie einwilligt oder nicht«, antwortete Ganja.
»Wir haben es fast drei Wochen lang vermieden, davon zu sprechen, und das war auch das beste. Jetzt, da alles erledigt ist, möchte ich mir nur die eine Frage erlauben: wie konnte sie dir ihre Einwilligung geben und dir sogar ihr Bild schenken, wenn du sie nicht liebst? Hast du denn wirklich sie, eine so ... so ...«
»Nun, sagen wir: eine so erfahrene Person ...«
»Ich wollte mich anders ausdrücken. Hast du sie denn wirklich bis zu dem Grade verblenden können?«
Aus dieser Frage klang auf einmal eine große Gereiztheit heraus. Ganja stand eine Weile da und überlegte; dann sagte er mit unverhohlenem Spott:
»Sie haben sich hinreißen lassen, Mama, und sich wieder einmal nicht beherrschen können. In der Art fangen bei uns immer alle Gespräche an und werden dann hitzig. Sie sagten, es werde keine Fragen und keine Vorwürfe geben, und nun haben sie doch schon wieder angefangen! Lassen wir dergleichen lieber weg; wirklich, lassen wir es weg; auch Sie haben es ja wenigstens beabsichtigt ... Ich werde Sie nie und um keinen Preis verlassen; ein andrer würde vor einer solchen Schwester allermindestens davonlaufen – da, sehen Sie nur, wie sie mich eben anblickt! Hören wir davon auf! Ich freute mich schon so ... Und woher wissen Sie, daß ich Nastasja Filippowna täusche? Und was Warja anlangt, so kann sie tun, was sie will; basta! Na, nun aber genug hiervon.«
Ganja war bei jedem Wort hitziger geworden und ging nun unruhig im Zimmer umher. Solche Gespräche nahmen immer eine derartige Wendung, daß sie bei allen Familienmitgliedern einen wunden Punkt berührten.
»Ich habe gesagt, wenn sie hier einzieht, ziehe ich von hier fort, und ich werde ebenfalls Wort halten«, erklärte Warja.
»Aus Eigensinn!« rief Ganja. »Aus Eigensinn willst du auch nicht heiraten! Warum fauchst du mich so an? Ich mache mir aus Ihnen nicht das geringste, Warwara Ardalionowna; wenn es Ihnen beliebt, mögen Sie Ihre Absicht sofort zur Ausführung bringen. Ich bin Ihrer schon recht überdrüssig. Wie! Sie entschließen sich endlich, uns allein zu lassen, Fürst?« schrie er den Fürsten an, als er sah, daß dieser sich von seinem Platz erhob.
Aus Ganjas Stimme konnte man schon jenen Grad von Gereiztheit heraushören, bei dem der Mensch beinah Freude über seine eigene Gereiztheit empfindet und sich diesem Gefühl ohne jeden weiteren Versuch der Selbstbeherrschung überläßt, ordentlich mit wachsendem Genuß, mag nun daraus entstehen, was da will. Der Fürst, schon in der Tür, drehte sich um, um etwas zu erwidern; aber als er an dem krankhaft erregten Gesichtsausdruck seines Beleidigers sah, daß hier nur noch der letzte Tropfen fehlte, der das Gefäß zum Überlaufen bringt, da wandte er sich wieder um und ging schweigend hinaus. Einige Sekunden darauf hörte er an den Stimmen, die aus dem Wohnzimmer heraustönten, daß das Gespräch nach seinem Weggang noch lärmender und rücksichtsloser geworden war.