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Dort warteten seine Gehilfen wie verabredet auf der Station des Gendarmen. Ihre Aussagen sorgten dafür, dass die Räuber ins Gefängnis geworfen wurden.

Henri wollte so lange am Ort bleiben, bis der Dienst habende Polizist, der am Ortsende einer auffallend gut ausgestatteten Wache vorstand, die Räuber in die Zellen verfrachtet, sie verhört und geschlagen und ein Protokoll aufgesetzt hatte. Erst wenn der zuständige Vogt beim nächsten Gerichtstag ihr Urteil verkündet hatte, und das konnte nur lebenslange Galeerenhaft bedeuten, konnte Henri beruhigt abreisen. Bis es so weit war, würde er notgedrungen in Tremblay warten.

Noch am selben Abend zahlte Henri de Roslin seine Gehilfen aus und entließ sie.

Er überlegte, ob er alles richtig gemacht hatte. War das Versteck sicher? Für die nächste Zeit ganz gewiss. Und irgendwann würde er ohnehin zurückkehren, um das Geld zu holen. Denn es musste alsbald dazu verwendet werden, den König zu stürzen und das Land vor dem Untergang zu bewahren.

Den Antrieb dafür spürte Henri in sich ganz deutlich. Der König muss sterben und der Papst ebenso, dachte er nüchtern, in diesem Augenblick ohne Hassgefühle. Die Absicht war nicht einfach zu verwirklichen und brauchte Zeit, das war ihm klar.

3 

April 1314, Tage des Anselm

Die gelben Mauern der Stadt türmten sich so hoch auf, als wollten sie die Wolken berühren.

Henri zügelte sein Pferd und dachte nach, für einen Moment mutlos. Er war allein. Und sie waren Tausende, bewaffnet mit Furcht erregenden Piken, Äxten und Schwertern. Und sie wurden außerdem geschützt von meterdicken Mauern, Zugbrücken, Fallstricken und Gesetzen. Und für alle Fälle besaßen sie ihre Kerker, abgrundtiefe, feuchte Höllen, in die kein Lichtschein fiel und aus denen kein Schrei drang.

Wie sollte er in seine Nähe kommen, wie sollte er es schaffen, den Papst zu töten?

Die Flamme seines Hasses loderte ungemindert weiter, aber er durfte sich davon nicht verzehren lassen, sondern kühlen Kopf behalten. Ein falscher Schritt, und alles war zu Ende. So erlebte er es bereits seit vielen Jahren.

Henri de Roslin zahlte in Villeneuveles-Avignon an der alten Brücke über die Rhone, die bereits von den Römern erbaut worden war und jetzt St. Benezet hieß, den üblichen Zoll fremder Kaufleute. Der ummauerte Vorhof in Richtung Stadt, unterhalb der erzbischöflichen Burg, wurde ihm von mürrischen Soldaten freigegeben, und er blickte unwillkürlich zu dem Bergfried der Burg St. André auf, an dem die Steinmetze seltsame Zeichen hinterlassen hatten. Der Turm wurde nur Donjon Philipps des Schönen genannt, denn dieser hatte ihn als Aufsicht und Brückenkopf der päpstlichen Stadt gegenübergestellt. Sicher, dachte Henri, entgeht den Spähern dort oben keine einzige Bewegung, und jeder unerwünschte Fremde auf der Brücke kann mit einem Pfeilhagel bedacht werden. Dann gab er dem Pferd die Zügel frei und ritt durch eines der mächtigen Tore in die Stadt der Burgen und damit in die bedrohlichen Mauern seiner Feinde ein.

Er hatte ein Gelübde auf den Papst abgelegt, das ihn band. Niemals konnte er vergessen, wie er ergeben vor Clemens dem Fünften gekniet hatte. Er vertraute ihm und verehrte ihn! Damals wusste er noch nicht, wozu dieser Papst fähig war. Und heute spürte er dieses Gelübde wie einen Schmerz in seinem Inneren, es war eine Fessel, die ihm ins Blut schnitt.

Nachdem Henri sein Pferd zur tiefer liegenden Stadt, deren Häuser ihm durch die seltsame Dachbedeckung mit flachen Hausteinen, Zinnen und Senkscharten auffiel, gelenkt hatte, tauchte er im Gewirr der Ansiedlung unter. Während er durch die holprigen, von Abfall überzogenen Gassen des ältesten Stadtteils und über neue, prächtige Plätze ritt, fielen ihm die ungewöhnlich zahlreichen Bankkontore auf, die italienisch klingende Namen besaßen. Und dann bemerkte er auch die Bauplätze.

Überall ragten Holzkräne und Gerüste auf, Fundamente waren ausgehoben. Steinmetze waren mit Eisenmeißeln an der Arbeit, aus großen Blöcken verwendbare Stücke herauszuhauen. Eine ausladende Schmiede befand sich etwas abseits. Fuhrwerke mit Schwellen, Bleiplatten und Röhren karrten herum. Schon beim Hineinreiten war ihm ein riesiger Bauplatz auf einem breit vorgeschobenen, zum Fluss hin abfallenden Felsen aufgefallen. Von einem Bäcker, der ihm an einem Stand ein frisches Dinkelbrot verkaufte, erfuhr er, dass ein neuer Papstpalast erbaut werden sollte. Bisher stand davon nur ein zwanzig Fuß hoher Glockenturm, der Turm de Trouillas. Auch an seinen Mauern sah Henri seltsame Zeichen, die wie geheime Botschaften wirkten. Die Bauhütten hinterließen ihre Spuren.

Es sollte ein mächtiger Palast mit großen Sälen, unzähligen Gemächern, Versammlungsräumen für Körperschaften der Kirche und des Staates und mehreren Kirchen und Kapellen werden. Wollten denn die Päpste, die Rom mit Hilfe des Königs schmählich verlassen hatten, für immer in Avignon bleiben? Henri hätte am liebsten laut ausgerufen: »Vergebliche Liebesmüh! Dieser Papst wird die Pracht nicht mehr sehen können!« Aber er dankte dem Bäcker nur, zahlte und atmete tief den Duft des frischen Brotes ein.

Es sind die einfachen Dinge, die unser Herz wirklich beglücken, dachte er. Der Geruch des Brotes, eine Vogelstimme am Morgen, der Blick aus den Augen einer schönen Frau. Nicht Macht und Prunk. Aber davon haben die hohen Herren keine Ahnung.

Henri de Roslin suchte sich eine Unterkunft. Sie musste geeignet sein, ihn notfalls auch für längere Zeit aufzunehmen. Er fand eine gut möblierte Herberge mit einem schönen Blick über die Windungen der Rhone. Zur anderen Seite hin konnte er von seinem Dachfenster aus über die neueren Fahrwege zur Kirche Unsere Liebfrauen bis zum alten Palast der Dominikaner schauen, in dem Papst Clemens residierte. Sogar ein winziges Stück des ausgedehnten päpstlichen Gartens öffnete sich seinem Blick.

Henri wusste natürlich, er konnte Clemens nicht mit Blicken bannen, er musste seine körperliche Gegenwart suchen, um ihn töten zu können. Henri stellte sich vor, wie er das Schwert zog und den Verräter erstach. Er würde auf sein verräterisches, sein im tiefsten Sinne unchristliches Herz zielen.

Bei dieser Vorstellung schüttelte er sich. Er hoffte, Clemens bei der Ausführung dieser Tat nicht anfassen zu müssen, es hätte ihn geekelt.

Henri verstaute seinen flachen Geldbeutel in einem abschließbaren Kommodenschrank. Dann holte er sein Reittier von der Straße und stellte es im Stall eines konvertierten Muslimen unter, der ihm einen guten Preis nannte.

Als er am Abend durch Avignon ging, fielen ihm farbenprächtige Festlichkeiten auf. Überall zogen Verkleidete durch die gerade gesäuberten Straßen. Am Domplatz tanzten barfüßige Gestalten mit grotesken Masken auf den Schultern in blauen Federkostümen, aus denen rote Bänder wie Flammen zu schlagen schienen, zur schrillen Musik der Pfeifen. Henri versuchte sich zu erinnern, welcher Tag war. Der Tag des Anselm. Es war kein besonderer Namenstag, aber vielleicht machten die Bewohner der Stadt Avignon, in deren Mauern der Herr über Leben und Tod der Templer regierte, jeden Tag zu einem besonderen Tag.

Vielleicht taten sie es, um sich zu erfreuen. Vielleicht, um zu vergessen.

Henri ging ziellos umher. Der Abend war mild. Die Brise verscheuchte den ständig gegenwärtigen Geruch nach Aborten und Sickergruben. Er genoss es, unerkannt zu sein und einfach nur schauen zu können. Morgen würde er damit beginnen, den Mordplan zu schmieden. An diesem einen Abend wollte er versuchen, das Leben in seiner einfachsten Form zu genießen. Er wusste ja nicht, wie lange er es noch konnte.

Henri de Roslin ließ sich am Rande eines kleinen, sauberen Kirchplatzes gebratene Fleischstücke schmecken, die von einem jungen Lamm stammten, dazu trank er einen Becher dünnes, gewürztes Bier. Er beobachtete Kinder, die mit Hunden herumtollten, und eine Gruppe von Musikanten, die in Richtung der Stadtmauer zogen. Dann bemerkte er, dass immer mehr Menschen in diese Richtung gingen. Als er sich ausgiebig gestärkt hatte, schlug er ebenfalls diesen Weg ein.