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Etwas war im Gange. Er begriff es, als er jetzt die Menschenmenge sah, die den Weg vom nordwestlichen Haupttor, der Porte des Champeaux, zum Dominikanerpalast säumte.

Er fragte einen Bewohner, und der erwartungsfroh aussehende Mann, der einen roten Schal trug, erklärte: »Der Papst kehrt zurück. Dann gibt es immer ein hübsches Schaugepränge.«

Henri war irritiert. Clemens hatte sich also gar nicht in Avignon aufgehalten!

Er fragte: »Geschieht es öfter, dass der Papst nicht in seiner Residenz ist?«

»In letzter Zeit immer öfter. Der Heilige Vater ist hochempfindlich, er zieht es vor, dem Baulärm auszuweichen und auf die Burg der befreundeten Ritter in Roquemaure zu ziehen. Aber jetzt besucht er uns einmal wieder.«

Roquemaure! Wo lag das? Henri überlegte, was diese Nachricht für seinen Plan bedeutete. Vielleicht war es einfacher, Clemens auf dem Weg nach Roquemaure zu überfallen! Oder ihm dorthin zu folgen. Vielleicht war die Bewachung auf einer kleineren Burg nicht so streng.

Henri reckte den Hals und sah jetzt eine Prozession näher rücken. Ein Schaubild aus Menschenleibern stellte etwas dar. Wieder befragte er den Einwohner. Der Mann sah ihn belustigt an.

»Ihr wisst anscheinend gar nichts, wie?«

»Ich bin nur ein armer Sünder, der kleine Geschäfte tätigt.«

Gönnerhaft meinte der Mann: »Der Papst wird empfangen von vierzehn Jungfrauen, die in dem Schaubild die Gaben des Geistes und der Gnade darstellen. Es ist so üblich. Damit wird die gerechte Herrschaft ausgedrückt.«

»Aha!«

»Natürlich! In einem anderen Bild – Ihr könnt es auf der Straßenseite gegenüber sehen – wird König Philipp gezeigt, wie er diese Fähigkeiten in Gegenwart von zwei Richtern und sieben Verteidigern, die vor ihm sitzen, ausübt. Papst und König, versteht Ihr!«

»Ich verstehe. Und was bedeutet dieser Weinbrunnen mit den Zweigen und künstlichen Früchten?«

»Nun, es ist eben das Symbol für die Wirkungen dieses Königtums. Der Weinbrunnen und der Baum drücken ja auch den Stammbaum Philipps aus, der mit dem Baum Jesse verbunden ist.«

»Tatsächlich?«

»Ja! – Ihr seid wohl fremd in der Stadt?«

»Sehr fremd.«

Beim Näherkommen der Prozession begriff Henri jetzt, dass die Darstellung mit einer Anspielung auf die göttliche Natur des Königs schloss. Denn sie zeigte Salbung und Krönung auf einem Thron, der in einem himmlischen Paradies stand, umgeben von Engeln, und Gott selbst erschien und sprach mit dem König.

Welche Anmaßung, dachte Henri. Sein aufrechter Glaube weigerte sich, solche Hoffart hinzunehmen. Und der Papst, der jetzt unter einem roten Baldachin in die Straßen einritt, duldete es, weil er nur durch König Philipp den Thron des Stellvertreters Gottes auf Erden erklommen hatte. Er verdankte ihm alles, und er war ihm hörig.

Als Clemens nahe an ihm vorbeiritt, zwang sich Henri zur Besinnung. Er drehte sich zur Seite, denn der Papst kannte ihn von Angesicht. Diese Tatsache würde seinen Plan nicht erleichtern, das wusste er. Aber sicher fiel ihm irgendeine Verkleidung ein. Vielleicht ein blaues Federkostüm mit roten Bändern, die daraus wie Flammen des Hasses hervorzüngelten, mit einer grotesken Tanzmaske auf dem Kopf, die alle Dämonen anlockte, um sie auf den Papst zu hetzen!

Wenn die Stunde kam, würde ihm schon etwas einfallen!

Zum Greifen nahe ritt der Papst auf seinem Schimmel, der mit Bändern und Glöckchen und einer Satteldecke aus Goldfäden geschmückt war, an ihm vorüber. Der von sechs Begleitern gehaltene Baldachin schwankte kaum über ihm. Pfeil und Bogen, dachte Henri, könnten jetzt das Werk der Rache leicht ausführen. Warum war er darauf nicht vorbereitet! Aber nein, ein Pfeil aus dem Hinterhalt kam für ihn nicht in Frage. Henri hasste Hinterhalte. Und außerdem: Konnte er Clemens in aller Öffentlichkeit töten? Selbst wenn es ihm gelingen würde, der rasenden Menge zu entkommen, würde man ihn dann im ganzen Land als Mörder von Angesicht kennen. Und ihn erbarmungslos jagen, bis man ihn zur Strecke gebracht hatte. Nein, so diente er der Sache der Templer nicht.

Beim Tod des Papstes durfte es keine Zeugen geben. Nur Gott allein würde anwesend sein und den Täter kennen. Und er würde ihn, Henri, beim Jüngsten Gericht aburteilen, wenn er zu dem Beschluss kam, dass die Ermordung des Frevlers der Kurie eine Sünde gewesen war.

Es war allein Gottes Ratschluss. Alles lag in seiner Hand. Er selbst, Henri de Roslin aus der Grafschaft Midlothian, war nur das ausführende Organ der gerechten Rache.

Aber da war noch das Gelöbnis, der Schwur, der ihn an den Papst band. Henri wand sich in Qualen, wenn er daran dachte. Würde er im entscheidenden Augenblick die Kraft besitzen, sich wirklich davon zu lösen? Er wusste es nicht.

Oder konnte ein anderer an seiner Stelle die Tat ausführen?

Nein, das war unmöglich.

Er ganz allein musste es tun. Kein anderer war dazu in der Lage.

Und als er dies dachte, fühlte er eine so starke innere Kraft, dass er glaubte, er sei beinahe schon im Begriff, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Zehn Tage lang blieb der Papst in Avignon. Henri de Roslin hörte auf dem Marktplatz davon sprechen. Er hatte also nicht viel Zeit, seinen Plan reifen zu lassen.

Ein Gedanke nahm in seinem aufgewühlten Inneren immer festere Form an.

Er durfte nicht mehr zögern. So klug der Mord auch vorbereitet sein musste, damit nicht noch mehr Unheil über die Menschen kam, so sehr musste er bestrebt sein, die Tat hinter sich zu bringen. Denn er befürchtete, die Qual seiner Skrupel könnte ihm noch einen Strich durch die Rechnung machen. Je länger er Gelegenheit hatte, sich den Mord an Clemens vorzustellen, desto lauter wurde die warnende Stimme seines Gewissens.

Auf den Entschluss einer unbedingt schnellen Ausführung des Attentats kam er am frühen Morgen. Gleich nach Sonnenaufgang war er zum Dominikanerpalast geritten. Er hoffte, dort Gottfried von Wettin zu treffen, von dessen Ankunft er gehört hatte. Der geheime Tempelritter aus Deutschland, den er kurz vor Millau verlassen hatte, war vom Besuch des dortigen Präzeptors Jean de Chalon nach Avignon zurückgekehrt, denn die Dominikaner, in deren Händen die Inquisition lag, waren noch immer seine Brüder. So hatte er selbst gesagt.

Henri erhoffte sich von Gottfried Unterstützung für seinen Plan.

Wie erstaunt war er, als ihn im Palast ein unvermutetes, abstoßendes Geschehen erwartete.

Ein Kardinal war drei Tage zuvor gestorben. Nachdem man seinen Leichnam vor dem Palast öffentlich aufgebahrt hatte, um allgemeine Teilnahme zu erwecken, mussten nun wegen der täglich zunehmenden Hitze ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen werden. In einem der vielen Innenhöfe hatten Mönche damit begonnen, das hinfällige Fleisch des Verstorbenen durch Kochen von den Knochen zu lösen, um diese im Dom als Reliquien verehren zu können.

Henri hatte schon davon gehört, das Herz eines herrschaftlichen Toten sei getrennt von der einbalsamierten Leiche an einem Ort persönlicher Gefühle begraben worden. Aber der Anblick der auf dem Feuer stehenden Zinkwanne, in dem ein nackter, weißer Leichnam lag, der sich im brodelnden Wasser langsam auflöste, ließ seinen Magen rebellieren. Die Mönche verjagten ihn nicht, für sie war dieses Tun gottgefällig. Aber Henri musste sich hinter einer Tür des Kreuzganges erbrechen.

Ist dieses Spiel mit körperlichen Überresten nicht – unsittlich?, dachte er. Und in einem neuen Anfall von würgendem Ekel, während gelblich grüner Schleim aus seinem Magen hervorbrach, wusste er, dass er Clemens unbedingt gleich töten musste. Er konnte nicht warten. Diese Sache musste zu Ende gebracht werden, koste es, was es wolle. Denn lebend oder tot übte dieser Papst, wie überhaupt die Kirchenfürsten in Frankreich, eine unsinnige Macht aus. Sie beherrschten das gesamte Fühlen und Denken der Menschen! Ihre Macht war grenzenlos! Und sie war nicht gottgegeben! In dieser irdischen Fülle konnte sie nicht gottgefällig sein! Sie maßten sich diese Macht nur an!