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Henri dachte: Der Herr steh mir bei, aber eigentlich sind sie genauso erbärmlich, sterblich und hinfällig wie jeder andere Mensch auch! Dass man ihnen am Ende das Fleisch von den Knochen kocht, macht sie in meinen Augen nicht bedeutender. Nur erbärmlicher in ihrem frevlerischen Bemühen, zur Reliquie zu werden.

Weg mit diesem Papst!, dachte Henri angewidert. Weitergehende Gedanken untersagte er sich. Er wollte nicht denken: Weg mit allen Kirchenfürsten, die uns das Himmelreich predigen und sich zugleich im Irdischen mit Macht und Prunk umgeben, als wären sie unsterblich. Nein, diesen Gedanken konnte er vor sich selbst nicht zulassen, denn für sein eigenes Seelenheil brauchte er den Glauben, die Liturgie und die Kirche.

Der Attentatsplan auf seinen höchsten, geistlichen Vater bereitete ihm Gewissensqualen genug. Wenn er sich den Mord vorstellte, war es ihm, als packe ihn eine eiskalte Faust an der Gurgel und schnüre ihm die Luft ab. Clemens war einmal so etwas wie sein Vater gewesen, und er hatte ihn als seinen Herrn geliebt! Aber er musste es dennoch tun. Weg mit Clemens, weg mit dem Verräter!

Wenn ich es überlebe, was wahrlich nicht sicher ist, dachte er, dann ziehe ich irgendwohin. Ans Nordmeer! Wo ich frei atmen kann! Wo einfache Leute, hart arbeitende Fischer, Bäcker, Gemüsebauern den Ton angeben!

Er fragte einen der Ordensbrüder, einen sanft blickenden Mönch mit feinen Gesichtszügen, nach Gottfried von Wettin. Man sagte ihm, der Bruder aus Regensburg werde erst in zwei Tagen erwartet.

Henri verließ den Konvent, in dem jetzt auch Clemens residierte, nicht, bevor er sich den Grundriss des mächtigen Gebäudes eingeprägt hatte. Er fertigte sich mit einem Kohlestift eine geheime Zeichnung an. Und als er sie gemacht hatte, begriff er, dass der Papst, wie eine Spinne im Netz, in einem Octagon saß. Seine Räume im Obergeschoss des Palastes, die man vom jetzt schon blühenden Kreuzganggarten aus sehen konnte, waren umgeben von achteckigen Klausurgebäuden, Wehrgängen und Wachräumen sowie vergitterten Fenstern hinter Spitzbogenblenden wie ein kostbarer Schatz, der von allen Seiten bewacht wurde.

In Gedanken verloren ging Henri aus dem Palast hinaus in die Stadt. Die Sonne blendete ihn. Noch immer war es früher Morgen, nur wenige Händler, Marktweiber und Handwerker bevölkerten die engen Straßen. Wie sollte er es schaffen, an Clemens, diesen bewachtesten aller Zeitgenossen, heranzukommen? Dieser Gedanke allein nahm alle seine Aufmerksamkeit in Anspruch.

Er rief sich den Palast in Erinnerung. Er war eine perfekte Verteidigungsanlage, wie geschaffen für einen Menschen, der sich darin, als sei die Welt voller Todfeinde, einmauern wollte. Er hatte gesehen, dass alle Wehrgangböden so senkrecht zu den Mauern durchbrochen waren, dass eine Verteidigung der darunter liegenden Wandflächen mit ihren hohen Fenstern durch Steinwürfe und Güsse mit heißem Pech von oben möglich war. Henri hatte solche Verteidigungsanlagen schon in ähnlicher Form an provencalischen Wehrkirchen gesehen. Die Mönche rechneten seit den Anfängen ihrer Missionszeit, wo es andauernd Scharmützel gegeben hatte, offenbar dauerhaft mit Krieg.

Ein deprimierender Gedanke nahm von Henri Besitz. Ein einzelner Mann kam nicht durch diese Abwehrfront.

Oder vielleicht überhaupt nur ein einzelner Mann!

Musste der Mörder des Papstes nicht sein wie ein Schatten, der gestaltlos durch das Schlüsselloch ging und danach aus dem Sterbezimmer körperlos wieder verschwand – ohne die geringste Spur zu hinterlassen?

Er musste sich unbedingt mit dem Wettiner beraten, der als Dominikaner stets Zugang zum Palast hatte. Er wusste seit ihrer ersten Begegnung, dass Gottfried insgeheim ein treuer Tempelritter war. Vielleicht konnte er den Deutschen überreden, den Plan gemeinsam mit ihm durchzuführen. Aber Gottfried war auch gläubiger Mönch geblieben. War von einem solchen Mann wirklich ein Attentat auf den Papst zu verlangen?

In seine Gedanken hinein zwängte sich ein Bild. Es war die Gestalt eines Mannes, den er zu kennen glaubte. Erst allmählich wurde Henri bewusst, dass er diesen Mann überhaupt sah. Seine Rachepläne waren ja inzwischen wie ein Verlies, in das kein Lichtstrahl drang. Jetzt begriff er, wer am anderen Ende des Platzes auf einem strahlenden Hengst heranritt.

Täuschte er sich? Er kannte niemanden im Gewand eines reichen, spanischen Kaufmannes!

Nein! Die Kluft aus teuren, bunten Tüchern, in die der Kaufmann gewandet war, galt als Tarnung. Aber das sah nur er, der sich selbst in weltlicher Kleidung tarnte. Es war tatsächlich der Sarazene!

»Uthman ibn Umar! Wie, zum Henker, kommst du nach Avignon?«

»Und du?«

»Ich vermutete dich noch in Cordoba.«

»Und ich dich in Bordeaux.«

»So treffen wir uns in Avignon wieder! Auch Avignon ist eine Messe wert!«

»Da habt Ihr unbedingt recht, mein Freund.«

Sie umarmten sich so heftig, dass Uthmans Araberhengst freudig erregt den Kopf warf und wieherte.

»Aber erzähl doch! Ich bin so froh, dich wohlauf zu sehen.«

Uthman sah sich nach allen Seiten um. »Bagdad ist für jeden Sarazenen ein Traum, aber ich sehnte mich dennoch nach Cordoba zurück. Und ich wollte dich wieder sehen! Hast du deine Rachegedanken inzwischen abgekühlt, mein Freund?«

»Wie kommst du darauf! Natürlich nicht!«

Der Sarazene schüttelte den Kopf. Henri sah ihm an, dass der Gelehrte nach einer passenden Koransure suchte. »Es gibt keine größere Sünde als die, neben Gott noch einen anderen Gott zu haben! Mache nicht aus deinen Rachegedanken einen Gott, dem du dich unterwirfst!«

Obschon sie miteinander lateinisch sprachen, sagte Henri vorsichtig: »Schon gut. Lass uns ein wenig umhergehen. Hier sind zu viele Leute mit langen Ohren.«

»Gehen wir über diesen Platz dort drüben. Da ist niemand.«

»Erzähl mir von der letzten Zeit.«

Uthman seufzte. »Ich wäre lieber bei meinen Brüdern in Bagdad und danach bei meinen Büchern in Cordoba geblieben, das glaube mir. Aber dies ist nicht die Zeit des Studiums der alten Texte, sondern die Zeit des Handelns. Nicht wahr? Meine soldatischen Tugenden, die mein Vater mich lehrte, liegen brach, wenn ich in Cordoba Manuskripte erstelle und ich fühle, es müssen noch einige Dinge geregelt werden, bevor ich zu den Schriften zurückkehren kann.«

»Was für Dinge?«

»Du weißt es!«

Henri nickte. »So bist du von den gleichen Gedanken getrieben wie ich und zitierst den Koran im Grunde nur, um dich selbst zu bändigen?«

»Nun. Nicht ganz. Ich bin, wie du weißt, alles andere als ein Tempelritter. Eigentlich müsste ich sogar dein Todfeind sein. Aber da ich bis zum Ende meines unwürdigen Lebens in deiner Schuld bin, unterstelle ich mich natürlich deinen Aufgaben – wenn du mich brauchst. So war es in den letzten Jahren, so war es am Anfang dieses unglücklichen Jahres am Königshof Philipps, so wird es auch jetzt sein.«

»Du hilfst mir?«

»Ich weiß, warum du hier bist. Und ich weiß auch, dass ich dir zur Seite stehen muss, wenn du dich nicht Gefahren aussetzen willst, an denen du nur scheitern kannst. Denn mehr als ein Königlicher ist hinter dir her, das ist dir klar.«

»Ich bin ihnen entkommen.«

»Aber wie lange noch? Und jetzt bereitest du in der Stadt der Päpste ein neues Attentat vor. Nicht wahr? – Kannst du nicht davon ablassen und dich auf die Verwendung der Reichtümer konzentrieren? Es gäbe so viel zu tun!«

»Nein. Ich habe vor den Scheiterhaufen der hingerichteten Brüder geschworen, dass ich sie rächen werde. Du weißt es. Ich breche keinen Schwur.«

Traurig sagte der Sarazene: »Nun. Dann führt eben kein Weg daran vorbei. Und ich werde dir helfen.«