»Ich wusste es! Ich kenne einen Mann, auf den ich seit Tagen warte. Es ist Gottfried. Er ist Dominikaner, und er wird uns helfen, in den Palast zu kommen. Auf dieser Möglichkeit müssen wir aufbauen.«
»Gottfried von Wettin? Er ist auch heimlicher Tempelritter, nicht wahr? Ich bin ihm einmal in Aleppo begegnet.«
»Er ist unserer Sache treu ergeben.«
»Ein tapferer Mann.«
»Warten wir zusammen auf Gottfried. Inzwischen erzählst du mir, was du erlebt hast. Und wenn Gottfried eingetroffen ist, gehen wir ans Werk.«
»Vielleicht waren wir zweihundert Jahre lang nur Spielball von Päpsten und Königen gewesen? Im Jahr 1244 des Herrn ging Jerusalem ja unwiderruflich an euch Muselmanen verloren, in Palästina regierte euer Halbmond. Und gerade mal dreiundzwanzig Jahre ist es her, dass deine Brüder, die Sarazenen, unser Akkon eroberten. Wir zogen uns nach Zypern zurück. Man brauchte uns nicht mehr – verstehst du? Wir waren überflüssig. Vielleicht war es ein Fehler, damals unseren gesamten Ordensschatz nach Paris zu transportieren und dort unser Hauptquartier aufzuschlagen. Denn begann man nicht schon damals, nach Gründen zu suchen, um uns vollständig zu beseitigen?«
»Ich weiß es nicht – wenn du es nicht weißt!«
»Sie behaupteten, wir beteten einen Abgott mit drei Gesichtern aus Gold und Silber an, der Züge einer Jungfrau, einer Katze und eines Totenschädels besaß und sogar sprechen konnte. Es sei unser heimlicher Heiland gewesen.«
»Und? Gab es diesen menschlichen Januskopf wirklich?«
»Ich sah ihn nie. Wenn es ihn gab, war es jedenfalls kein Götze, sondern höchstens ein Reliquiar, in dem wir die Gebeine einer Heiligen oder eines Heiligen aufbewahrten.«
»Ich verstehe nicht viel von diesen Dingen, ich bin nur ein einfacher sarazenischer Gelehrter aus Cordoba – verzeih!«
»Nun, wir Templer waren eine verschworene Geheimgesellschaft mit Initiationsriten. Aber vom Glauben sind wir niemals abgefallen!«
»Ich hörte allerdings, einige eurer Templer, sogar Großmeister wie Hugue von Pairaud, haben zugegeben, den Götzen Baphomet in unterirdischen Grüften beim Feuerschein angebetet zu haben…«
»Natürlich gaben sie es zu! Unter der Folter! Während man ihnen mit glühenden Zangen das Fleisch aus der Brust riss!«
»… Und der Kopf habe vier Füße besessen, zwei auf der Seite des Gesichts und zwei hinten…«
»Es gibt noch viel schlimmere Beschreibungen. Ich halte es für abwegig.«
Uthman wiegte nachdenklich den Kopf. »Wenn man Anschuldigungen benötigt, findet man sie auch.«
»So ist es, mein Freund.«
»Ihr Christen habt genug Anschuldigungen gegen uns Sarazenen erfunden, um uns umso gnadenloser zu verfolgen.«
»Auch das weiß ich. Der Islam war gegen uns immer großzügiger. Jedenfalls anfänglich.«
»Ich habe deine Fähigkeit zur Einsicht immer geschätzt, Henri de Roslin.«
»Und ich – trotz deiner jugendlichen Unbesonnenheit – deine orientalische Geduld, Uthman ibn Umar.«
Noch immer gingen sie über den größten Platz Avignons. Nur langsam füllten sich die Straßen. Das Pferd des spanischen Kaufmannes, der eigentlich ein Sarazene war, trottete friedlich hinter ihnen her.
Uthman sagte: »Vielleicht waren nur die Standesunterschiede daran schuld, dass wir so viele Kriege gegeneinander geführt haben. Du weißt, es ist nicht einmal einhundert Jahre her, dass eure Adligen den letzten Kreuzzug in unserem Land durchführten und unsere Adligen bekämpften. Erst vor wenigen Jahren fiel Akkon nach blutigem Kampf. Die einfachen Leute haben davon nie etwas gehabt.«
Henri schüttelte den Kopf. »Die Unterschiede der Stände sind gottgewollt, und uns muss die Rolle der Zuschauer genügen, denen der höfische Glanz Bestätigung der richtigen Ordnung der Welt ist.«
»Das sagst ausgerechnet du!«
»Ich sage es vielleicht gegen meine Überzeugung als Ritter. Aber ich bin auch als Mönch erzogen worden, also für die Versöhnung. Wäre es anders, fiele alles in Scherben.«
»Ist es wirklich so einfach?«
»Nichts in der Welt ist einfach. Aber wir brauchen eine Ordnung auf Erden, die der göttlichen Ordnung entspricht. Natürlich waren die Kreuzzüge im Heiligen Land eine Katastrophe. Aber wenn ich damals schon gelebt hätte, wäre ich mitgezogen. Das glaube mir.«
»So bist du für die Aussöhnung nur, weil du die Gnade der späten Geburt erlebt hast?«
»Denke an dich selbst! Auch du hast dich in die Schriften zurückgezogen. Und doch bist du ein ausgebildeter sarazenischer Kämpfer von hohen Gnaden. Wir beide wären uns in der Hochzeit der Kreuzzüge bedenkenlos mit den Waffen gegenübergetreten!«
»Das steht zu befürchten, ja.«
»Außerdem bedenke, dass wir Templer keine Räuberbande sind. Wir hatten eine große Idee! Durch unsere Kontakte mit euren Völkern im Osten wurde unser Horizont erweitert, wir gewannen einen tiefen Einblick in das Leben der Völker dort und auch im Westen und in die Machtverhältnisse unserer Zeit. Uns schwebte seitdem ein Gleichgewicht zwischen Ost und West vor, ein universeller Frieden, der die Schöpfung besänftigt hätte, ein geistiges Band zwischen den Regierungen und Ländern von Europa. Vielleicht war es diese Vision, die uns ins Verderben stürzte! Denn sie hätte alsbald verwirklicht werden können durch unsere weit verstreuten Besitzungen, die wie Regierungssitze über ganz Europa verteilt waren, unsere finanzielle Macht, unsere Erfahrungen in allen Schlachten und aus fast zwei Jahrhunderten Überlieferung und Gedächtnis.«
»Aber ihr wart zu leichtsinnig.«
»Und zu naiv. Wir unterschätzten die Angst bei den Königen und in der Kirche. Sie sahen in uns eine Gefahr. Und hatten sie nicht Recht? Hätten wir rechtzeitig gehandelt, wäre die Welt auf den Kopf gestellt worden. Der König? Der Papst? Randfiguren der Geschichte! Nein, wir mussten beseitigt werden. Denn wir hätten eine ganz andere Welt aufgebaut. Allerdings eine weit bessere als jetzt. Eine friedliche, eine versöhnte.«
»Welch eine wunderbare Vorstellung!«
»Ja, aber Philipp hat dieser Vorstellung die Lebensgrundlage entzogen. Er hat sie in Blut ertränkt.«
»Kann ein solcher Herrscher, den man den Schönen nennt, so grausam sein?«
Henri lachte bitter. »Der Schöne! Philipp sieht in Wahrheit mit seinem runden Gesicht und seinem starren Blick aus wie eine Eule. Das einzig Schöne an ihm ist vielleicht sein goldblondes Haar. Jedenfalls ist er ein Dunkelmann, der den makabren Tanz um den Tempel anführt. Er muss beseitigt werden, denn an seinen Händen klebt das Blut Unschuldiger.«
»Und der Papst?«
»Er hätte uns verteidigen müssen, dazu stand er im Wort. Anfangs schien er sich auch noch zu wehren gegen diese jedem Recht hohnsprechende Gewalt. Aber dann verfiel auch er der Habsucht. Sein Verrat wiegt deshalb noch schwerer als der des elenden Philipp.«
»Er ließ eure Brüder ermorden und schwang den Weihrauchkessel dazu.«
»So ist es. Deshalb muss auch er sterben. Ich sage es mir jeden Tag.«
»Euer Gott stehe dir bei, mein Freund! Du wirst nach dem Jüngsten Gericht im Fegefeuer enden!«
»Die Welt ist nun einmal so, Uthman. Wir haben keine andere Wahl. Das ist der Fluch, der auf uns lastet – der Fluch unserer Zeit.«
»Deshalb lasse uns Gott danken – und es gibt nur einen, wie wir beide wissen –, dass wir heute leben!«
»Danken wir Gott, er ist allmächtig…«
»… Johannes der Täufer und Muhammad sind seine Propheten…«
»Und Jesus sein eingeborener Sohn!«
»Gut. Wenn Ihr das für Euer Seelenheil benötigt, von mir aus auch das…«
»Wenn wir so weit Einigkeit erzielen, was in dieser Zeit gewiss nicht einfach ist, dann lass uns über die andere Sache sprechen, die mit gemeinsamem Handeln zum Erfolg führen kann!«