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»Du meinst…?«

»Ja!«

Am nächsten Tag fand in der Stadt ein Umzug statt. Offenbar hatte er etwas mit heidnischen Fruchtbarkeitsriten zu tun, denn halb nackte Männer vollführten große Sprünge. Vor ihnen lief ein Narr her, der sie ankündigte.

Henri de Roslin kam nicht über die Straße, um in den Dominikanerpalast zu gehen, zwei Soldatenketten schützten den Umzug. Er wollte Gottfried treffen, der endlich angekommen war. Henri und Uthman hatten ihn ungeduldig erwartet, denn sie wollten ihren geheimen Plan endlich umsetzen.

Henri trat von einem Bein auf das andere. Er wunderte sich nicht mehr über das ständige Feiern in Avignon. Über dieser Stadt lag eine große, unheimliche Spannung. Sie hatte vielfältige Gründe und musste sich entladen. Solche Umzüge verhinderten wahrscheinlich Schlimmeres.

Jetzt erblickte er auch eine Gruppe von halbwüchsigen Jungen, die sich gegenseitig schlugen. Nach einigen Tänzern kamen berittene Herolde, sie warfen mit Nüssen nach den Kindern und entleerten mit Rosenwasser gefüllte Eierschalen über die zuschauenden Frauen. Es entstand ein großes Geschrei, und ein junges Weib entblößte direkt neben Henri ihren nackten Busen, der feucht glänzte und herrlich nach frisch geschnittenen Rosen duftete.

Den Herolden folgten als Dämonen verkleidete Männer in zottiger Kleidung mit Tiermasken, sie warfen mit Asche und Feuer um sich und erschreckten so die Zuschauer. Als Letzte gingen in farbenprächtige Kostüme gekleidete Läufer, die sich rhythmisch zum Klang von Trommeln und Pfeifen bewegten. Den Höhepunkt des Umzuges bildete nach einer Weile die Erstürmung eines handgezogenen Wagens. Er hatte die Form eines Fabeltieres und stellte die Hölle dar, bemannt mit Dämonen. Mit Enterleitern, Speeren und Laubbüscheln bewaffnet, gingen jetzt die Läufer daran, die Hölle zu erstürmen. Kurze Zeit später ging sie in Flammen auf.

Jetzt endlich konnte sich Henri zwischen die Feiernden hindurchzwängen, die entweder das Feuer anheizten oder es zu löschen versuchten, je nachdem, welche Rolle sie spielten. Henri nahm die Beine in die Hand und beeilte sich, zu den Dominikanern zu kommen.

Als er endlich vor dem Palast stand, sah er den Wettiner schon von weitem. Er trug die Mönchskutte und stand mit zusammengelegten Händen da – ein nicht mehr als mittelgroßer Dominikaner mit einer Tonsur, der ohne Arg aus grauen Augen zum Himmel blickte. Vielleicht bewunderte er auch nur die päpstlichen Banner, die neben den königlichen Fahnen in Blau, mit den aufgedruckten goldenen Linien, im Wind flatterten, als wäre auch Philipp im Klosterpalast anwesend.

»Seid mir gegrüßt, Gottfried! Ich hoffe, Euer Auftrag in Millau lief nach Euren Wünschen!«

»Danke, Henri de Roslin! Ja, es ging alles gut. Die Männer sind in Sicherheit. Und wie war es bei Euch?«

»Alles bestens. Ihr wisst, warum ich Euch sprechen muss?«

»Ich ahne es. Als wir uns vor Millau trennten, wusste ich es schon, obwohl Ihr keine Andeutung machtet. Aber es war richtig so.«

»Verzeiht mir meine Unoffenheit, Gottfried! Aber Ihr kennt die Drohungen der Folter. Wenn man uns verhaftet…«

»Sprecht nicht weiter. Ich kenne die Aufgabe, die vor Euch liegt. Aber es löst in mir einen großen Zwiespalt aus, von dem ich nicht weiß, wie ich ihn meistern kann.«

»So ist es auch in mir. Aber große Dinge benötigen große Überzeugung. Ist es nicht so?«

»Ihr wisst, ich bin Dominikaner. Aber auch Tempelritter. Ich stehe also unter den gleichen Ereignissen wie Ihr.«

»Danke, Gottfried!«

»Kommt mit in meine Zelle, dort sind wir ungestört.«

Sie betraten den um diese Zeit menschenleer scheinenden Konvent. Ihre Schritte auf dem mit grün-schwarzen Quadraten ausgelegten Marmorfußboden hallten so laut in den hohen Räumen wider, dass Henri für einen Moment argwöhnte, der Lärm könnte sie verraten. Aber noch wusste ja niemand etwas von einem Attentat auf den Heiligen Vater. Als sie in der schmucklosen Zelle saßen, die höchstens sechs mal sechs Meter maß und ein glasloses, aber vergittertes Fenster zum Kreuzganggarten besaß, sagte Henri:

»Es muss hier im Palast geschehen, denn ich will keine Zeit mehr verlieren. Versteht Ihr – ich muss mich selbst besiegen. Ihr, mein Bruder, seid es, der mich in den Palast einladen muss, wenn Clemens in der Öffentlichkeit auftritt.«

»Hm. Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Er ist sehr zurückgezogen, nicht einmal seine Kardinäle bekommen ihn zu Gesicht. Nur seine engsten Leibdiener dürfen zu ihm. Und natürlich seine Ärzte, denn er leidet ständig.«

»Was quält ihn?«

»Es sind Krankheiten, die nicht zu greifen sind. Knochenschmerzen, vielleicht die Gicht, man hört auch von einem Leiden des Magens und des Darmes, er muss immer seinen Leibstuhl in der Nähe haben.«

»Ich habe ihn auch damals schon so erlebt. Er könnte einem fast Leid tun, wenn er nicht…«

»Vielleicht ist er auch nur erschöpft, denn er reist ja ständig durch das Land.«

»Wo halten sich seine Ärzte auf? Können wir an sie heran?«

»Ausgeschlossen! Sie verlassen die Suite des Heiligen Vaters niemals.«

»Sicher verabreichen sie ihm doch Arzneien, deren Zutaten sie außerhalb des Palastes kaufen müssen! Wenn wir einen dieser Ärzte oder einen Apotheker, der die Zutaten anrührt, dazu kriegen könnten, ein kleines Gift unter die Medikamente zu mischen!«

Gottfried schüttelte, wie es Henri schien, sehr traurig, den Kopf. »Das müsste von langer Hand vorbereitet sein, Henri. Einen Apotheker oder gar einen Medicus zu bestechen ist äußerst schwierig. Und ich sag Euch auch den Grund dafür. Der Papst lässt nur die zu sich oder für sich arbeiten, denen er absolut vertraut. Fällt nur ein winziger Schatten des Verdachtes auf jemanden, lässt er ihn sofort umbringen.«

»Umbringen? Der Heilige Vater?«

»Was denkt Ihr! Ich höre jeden Tag davon! Was zählt ein Menschenleben! Hat er etwa Skrupel gezeigt, unsere unschuldigen Brüder den weltlichen Gerichten des Königs zu überlassen, obwohl er wusste, dass es ihr Todesurteil ist?«

»Weiß Gott, nein.«

»Er ist machtbesessen – und misstrauisch. Seine Krankheiten zerfressen ihn mit noch mehr Argwohn. Ich weiß nicht, wie wir an ihn herankommen können.«

»Veranstaltet er nicht Festmahle? Empfängt jemand von draußen? Wird nicht jemand selig gesprochen?«

»Der Papst ist nur noch fünf Tage im Palast. Ob er in dieser Zeit einen Empfang gibt, weiß ich nicht.«

»Aber wenn doch, dann stehe ich hinter einem Vorhang und jage ihm mein Schwert durch den Leib.«

»Mein Gott stehe uns bei!«

»Er ist auch mein Gott, und er ist es im Guten wie im Bösen.«

»Könnten wir die Sache nicht verschieben? Ich bin sicher, dass Clemens nach seinen vielen Reisen immer wieder hierher zurückkehren wird. Er will um keinen Preis der Welt in Rom regieren. Avignon ist seine Stadt – schon sprechen sie ja vom babylonischen Exil der Kirche. Er macht Avignon endgültig zur Papststadt, da bin ich mir sicher.«

»Ich weiß. Er ist ja eine Marionette Philipps, sonst hätte ihn das Konklave niemals gewählt, hier ist er seinem Beschützer näher als im Vatikan mit seinen Giftmischern.«

»Vor allem aber gehört die Stadt wie die umliegende Grafschaft, die Comté Vaissin, nicht zum Königreich Frankreich und wird schon jetzt von päpstlichen Rectoren regiert. Hier ist er sozusagen auf eigenem Grund und Boden und fühlt sich sicher. Wir könnten unser Ziel also viel besser erreichen, wenn wir es lang und gründlich vorbereiten.«

»Nein. Aus vielen Gründen, die ich Euch nicht darlegen möchte – es geht nur jetzt.«

»Nun. Es kann sein, dass Clemens in drei Tagen die Abgesandten von Roquemaure empfängt, das ist eine Burg an der Rhone, in der er oft selbst anwesend ist…«

»Ich hörte davon reden…«

»… Er ist den dortigen Grafen verpflichtet. Ich glaube, man sprach von einem solchen Empfang, anlässlich dessen der Papst seine bedeutendste Reliquie vorführen will, um die weltliche Macht daran zu erinnern, dass es der Papst ist, der in der Nachfolge Christi die Zügel in der Hand hält…«