Выбрать главу

»Ihr meint die Heilige Trense, in die ein Nagel des Kreuzes eingearbeitet ist? Sie ist hier im Palast?«

»Clemens hat sie vor einem halben Jahr aus Rom bringen lassen. Ich habe es mit eigenen Augen im Reliquienverzeichnis gesehen.«

»Das wäre unglaublich!«

»Wenn dieser Empfang mit der Zurschaustellung also tatsächlich stattfindet, sind auch alle Mönche anwesend, denn sie haben die Reliquie noch nicht gesehen. Ich könnte Euch einladen, denn jeder hat das Recht für einen Gast seiner Wahl.«

»Das wäre passend.«

»Und danach?«

»Ich werde es so einrichten, dass der Verdacht weder auf Euch noch auf mich fällt.«

»Sondern auf wen?«

»Auf die allgegenwärtigen Intriganten, die der Papst auf sich zieht wie Aas die Fliegen – Gott verzeihe mir.«

Gottfried schlug das Kreuz. Dann flüsterte er: »Clemens ist der Stellvertreter Gottes auf Erden. Töten wir dann nicht auch unseren Herrgott?«

»Was für ein furchtbarer Gedanke! Aber nein – ich will es nicht glauben. Ich will daran glauben, dass wir mit der Beseitigung dieses verräterischen Papstes, der unsere tiefgläubigen und aufrechten Tempelbrüder ins Verderben zog, eine gottgefällige Tat begehen! Ich will daran glauben, dass wir damit unseren Herrgott von einem unwürdigen, falschen Kirchenfürsten befreien, der sich die Stellvertretung nur angemaßt hat!«

»Halten wir daran fest! Das soll unsere Losung sein! Und nun geht, bitte. Ich werde Euch benachrichtigen.«

Mit einem schweren Seufzer stand Henri de Roslin von seinem Schemel auf. »Es wird gelingen, Gottfried. Es muss gelingen!«

»Ich werde dafür beten.«

Das Bankett im Festsaal des Dominikanerkonventes für die Abordnung aus Roquemaure fand tief in der Nacht statt. Alle Tische im Saal mit den roten und grünen Ledertapeten, auf denen Muster mit Vögeln, Blüten und wilden Tieren prangten, waren überreich geschmückt. Und auf einem besonderen, mit Gold verzierten Tisch stand abgedeckt hinter einem silbernen Schrein etwas, von dem die Mönche munkelten, es sei die Reliquie.

Die eintretenden Mönche mit brauner Kutte und Tonsur knieten vor dem Abt nieder und küssten seine Hände. Der Abt Fredigor, ein ernster, bleicher Mann mittleren Alters, der eine beinahe unnatürlich hohe Stirn besaß, lächelte müde. Offenbar waren die Zeiten, in denen der Papst zu Gast war, anstrengend.

Als der Vorleser an seinem erhöht stehenden Pult alle Horen kurz und bündig gebetet hatte, wie es die Ordensregeln des heiligen Dominicus vorschrieben, damit die Brüder ihre Andacht nicht verloren, konnte der Festschmaus beginnen. Er war für die nach strengen Auflagen lebenden und sonst in einem bescheideneren Refektorium wortlos speisenden Mönche ein besonderes Ereignis.

Wie immer bei solchen Festessen anlässlich eines besonderen Ereignisses herrschte ein strenges und kompliziertes Protokoll. In prächtigen Tafelaufsätzen wurde das allegorische Thema des Abends dargestellt. Heute Nacht war es die letzte Fasanenjagd, die Jesus in der Nacht vor seiner Ergreifung auf dem Ölberg abgehalten hatte. Auch die Ritter von Roquemaure galten als bedeutende Jäger.

Henri, dem wie alle Tempelritter die Jagd verboten war, sah den Prunk mit gemischten Gefühlen. Er hatte seinen Bart wachsen lassen und trug eine Augenbinde, die eine Verletzung vortäuschte, und hoffte so, unerkannt zu bleiben, wenn Clemens kam. Er wollte in die Nähe des Papstes gelangen, alles Weitere musste sich dann ergeben.

Henri staunte nicht schlecht, als im Licht der Kerzen und Fackeln, das sich wie ein Funkenregen im geschliffenen Glas der Kronleuchter brach, die ersten der angekündigten einundzwanzig Gänge von der Decke herabschwebten. Eine mechanische Vorrichtung ermöglichte es, dass aus der Küche, die direkt darüber liegen musste, die Speisen bis auf die Tische herabsanken. Als erstes gab es Eierpuddings in Form von Fasanen und französischen Lilien.

Die Gäste, allen voran die Ritter von Roquemaure, die wie üblich in makellos weißen Gewändern, mit Röhrenfalten und Strumpfhosen gewandet waren, über denen nur einige ihre grünen Wappen trugen, applaudierten. Noch während sie sich ausgehungert über die Köstlichkeit hermachten, zogen Schauspieler auf, die mit lebenden Bildern die Gänge begleiteten. Bei der ersten Hauptspeise, die aus gesottenen Fasanenzungen in Rotwein bestand, stellten sie den heiligen Georg und den heiligen Dionysius dar, die dem Papst den neugeborenen Jesus zuführten.

Die anwesenden Kirchenfürsten und Postulatsmeister, aber auch die Novizen, Mönche und Ministranten klatschten erneut begeistert in die Hände. Die einfachen Brüder der Dominikaner bekamen nicht oft Gelegenheit zu feiern.

Henri dachte an die Armut im Land. Hier feierten die geistlichen Fürsten in Saus und Braus, und das gefiel ihm nicht, obwohl die Gerichte herrlich schmeckten. Er wusste zwar, dieses Fasanenfest galt als ganz gewöhnliches Fest des Kirchenjahres, aber er hatte schon davon gehört, wie manche dieser Feste in Völlerei und Sinnentaumel ausgeartet waren. Nicht von ungefähr konnte das lateinische Wort Carne in »Karneval« sowohl mit Essen als auch mit Fleischeslust gleichgesetzt werden – auch das hatte er schon erlebt.

Und in diesem Augenblick schwor er sich, den Schatz der Templer auch für die Bedürftigen zu verwenden. Wir hier, kam ihm in den Sinn, stillen nicht unseren Hunger, höchstens unsere Gier, aber den richtigen Hunger der Armen zu stillen, auch das ist eine wichtige Tat.

Musik und in großen Zügen choreographierte Tänze begleiteten in diesem Moment das Mahl. Henri sah hinüber, wo Gottfried inmitten seiner Mönche saß. Er aß und trank nicht. In seinem Gesicht stand würdevolle Ablehnung.

Henri blickte zur Palasttreppe hinüber. Dort, wo ausgelegte Teppiche und Stoffe und sündhaft teure Wandbehänge in prächtigen Farben einen hohen Gast ankündigten, tat sich noch nichts. Nein, er wusste nicht, was er tun würde, wenn Clemens die Stufen herabgeleitet wurde. Sicher würde der Papst ihn nicht sofort entdecken. Er hoffte, dass Bart und Augenbinde ihn unkenntlich machten. Aber wenn nicht, dann musste er handeln.

Gottfried versuchte mit stummen Lippenbewegungen, ihm etwas mitzuteilen. Henri verstand nach einer Weile. Der Wettiner sagte: »Wie machen wir es nun?«

Henri zuckte die Schultern. Er wusste es wirklich nicht.

Er blickte zum anderen Ende der Tafel, wo unter einem den Himmel symbolisierenden Baldachin aus blauem Brokat mit aufgestickten Sternen der Platz für den Papst freigehalten wurde. Im Geist sah Henri Clemens sitzen, essen und trinken. Dann war er keine dreißig Meter von ihm entfernt. Gottfried sah noch immer ratlos aus, aber er sprach jetzt den Speisen zu, Henri dachte, dass er klug beraten war, denn es nützte niemandem, wenn sie mit knurrendem Magen auf die Ankunft des Papstes warteten.

An der Treppe wurde es unruhig. Drei Fanfaren von Herolden, die auf einem Balkonvorbau standen, kündigten hohe Gäste an. Über die kostbaren Stoffe näherten sich Männer in blaugoldenen Roben, auf denen Hermeline lagen, ihre Langschuhe aus schwarzem Wildleder wurden nur sichtbar, wenn je zwei neben ihnen herschreitende Ministranten ihre Kleider rafften. Sie kamen in kleinen Gruppen herunter, je zwei Kirchenmänner nebeneinander, Kardinäle, Bischöfe, Prälaten und der Prior des Klosters.

Henri hielt es nicht mehr auf seinem Stuhl aus. Er stand erregt auf. Jetzt musste sich alles wenden.

Die Bewegung, die nun ins Rollen kam, konnte sein Leben entscheiden. Vielleicht wendete sich alles zum Guten und der Plan gelang, vielleicht walzte das, was gleich ausgelöst werden würde, auch über ihn hinweg und zermalmte ihn.

Auch Gottfried war aufgestanden. Er verneigte sich tief. Es sah aus wie Ehrerbietung, nur Henri wusste, dass der Tempelritter ebenso aufgewühlt war wie er selbst.