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Bruder Raimundus blickte noch immer unbeeindruckt, nur seine Augen hatten womöglich einen noch dunkleren Schimmer bekommen.

»Jeder kann ein solches Gift brauen. Nehmt allein den Saft des Stechapfels datura stramonium, der Tollkirsche atropa belladonna oder des Schwarzen Bilsenkrauts Hyoscyamus niger – und Ihr habt alles, was Ihr benötigt.«

»Es soll keine Spuren hinterlassen.«

»Dann wird es schon schwieriger.«

»Alchemisten kennen sich wohl eher mit Gold aus…«

Bruder Raimundus zögerte. »Ich kann einen solchen Stoff herstellen.«

»Würdet Ihr uns in die Geheimnisse eines solchen – Giftes einweihen?«

»Ihr meint, ob ich Euch dieses Gift überlassen würde?«

»Ja.«

»Nein.«

Henri zuckte zusammen. Hatte er sich zu weit vorgewagt? Der Alchemist schien alles andere als ein Teufelspartner zu sein, wie er angenommen hatte, er wirkte gottesfürchtig. Und damit war er ein Untertan des Papstes. Henri nahm sich vor, seine Identität in keinem Fall preiszugeben. Noch bevor er eine weitere Frage stellen konnte, sagte Uthman:

»Es würde mir genügen, wenn Ihr mir die Grundsubstanzen nennt. Die arabische Medizin kennt durchaus gewisse Wege, die mir bekannt sind, um einen wirkungsvollen Stoff jener Art zu mischen.«

»Dann tut es!«

»Die Grundsubstanzen!«

Bruder Raimundus stand auf. Nach einem Moment des schweigenden Umhergehens blickte er auf seine Besucher, als wolle er in ihr Innerstes eindringen. Dann sagte er:

»Ich bin kein gewöhnlicher Giftmischer, ich bin Alchemist. Geht zu einer Hexe.«

»Wir sind zu Euch gekommen, Bruder. Wir wissen, dass ein Alchemist ein besonderes Verhältnis zu den Stoffen hat.«

»Salpeter, Schwefelsäure, ein besonderer Lehm und Hitze.«

Ratlos blickte Henri ihn an. »Ich verstehe das nicht ganz…«

»Salpeter, Schwefelsäure, ein besonderer Lehm, Hitze!«

Uthman sagte: »Alaun und Quecksilber?«

»Kommen erst später dazu, ebenso wie andere Stoffe.«

»Und was meint Ihr mit dem besonderen Lehm?«

»Es ist Prima Materia, der Grundstoff Merkurius. Es ist nicht nur ein Stoff, er stellt die Verbindung von Natur und Geist dar, deshalb ist er ein philosophischer Stoff. Ich kann ihn Euch anrühren, wenn Ihr ihn zu würdigen wisst. Wie er sich zusammensetzt, darf ich nicht verraten. Denn es ist das Geheimnis des Königs Robert von Neapel, der es unter dem Siegel der Verschwiegenheit, zu dem alle Alchemisten verpflichtet sind, an mich weitergab.«

»Sagt mir nur eins – gibt es den Stein der Weisen wirklich?«

Bruder Raimundus brummte in sich hinein. Dann sagte er mit verständlicher Stimme: »Immer wollen sie nur das wissen. Als würden die Menschen dadurch glücklicher. Sie werden es nicht! Sie werden dadurch eher unglücklicher! Es sei denn, sie nehmen dieses Geheimnis mit ins Grab, ohne es zu verraten! Nur so kann man damit seinen Frieden machen!«

»Ich verstehe. Dann verratet uns bitte die Zusammensetzung des feinen Stoffes, mit dem der besondere Lehm, Euer philosophischer Merkurius, verbunden werden muss – soweit Ihr es verantworten könnt.«

»Ich will aber nicht wissen, wofür Ihr es benötigt! Und es darf niemand erfahren, dass Ihr mit mir gesprochen habt. Ich kenne Euch nicht und habe Euch nie gesehen. Auch unter der Folter dürft Ihr unsere Begegnung nicht preisgeben. Habt Ihr verstanden?«

Uthman nickte ergeben.

»Der philosophische Merkurius, der Urstoff, darauf kommt es an. Darüber darf kein Alchemist sprechen. Aber die anderen Teile? Was sind die beiden perfekten Metalle? Gold und Silber. Gold ist der Vater aller Dinge, Silber die Mutter. Jetzt benötigt Ihr noch die Weiße Tinktur und die Rote Tinktur zur Verfeinerung der Metalle. Wir erhitzen alles, und wenn es wieder zu Pulver erstarrt, könnt Ihr es mit dem Merkurius mischen. Der Stoff erzeugt nichts Neues, er verstärkt nur alles, was ohnehin schon vorhanden ist. Edle Metalle, aber auch ein menschliches Leiden der Organe und ihr jämmerliches Versagen, eine Niedergeschlagenheit ebenso wie Liebesgefühle – einfach alles.«

Henri fragte: »Können wir diese Tinkturen herstellen?«

»Ich gebe Euch den besonderen Lehm und die Weiße Tinktur. Die Rote Tinktur müsst Ihr, damit sie wirkt, selbst mischen. Uthman ist Sarazene. Die arabische Chemie besitzt alle Geheimnisse, die zur Herstellung notwendig sind, er muss sie eben herausfinden, denn das Werk gelingt nur, wenn man sich darin bewegt.«

»Das werde ich!«, erwiderte Uthman aufgeregt.

»Die Weiße Tinktur. Eine Unze Silber kalzinieren und zu einem weißen, geschmacklosen Oxyd brennen. Das geschieht, indem Silber in einem warmen Tiegel mit Quecksilber amalgamiert und dann mit Essig und Salz verrührt wird. Ingwer, Salmiak, Silberglätte und Bleiweiß werden in gleichen Teilen zugesetzt. Dann wird es gewaschen, durch ein Tuch gedrückt und zwölf Stunden im Ofen unter Zusetzen von Salz destilliert. Für die Rote Tinktur braucht es nur noch einen kleinen weiteren Schritt. Er gelingt, wenn Euer Werk gerecht ist.«

Uthman entgegnete: »Aber dazu braucht man ein Destilliergerät und einen Brennofen! Wo gibt es in Avignon so etwas?«

»Ihr wollt das Mittel in dieser schlimmen, gottlosen Stadt herstellen, in der selbst die Pferde der Kirchenfürsten goldene Hufbeschläge haben? Dann kann es nur einen furchtbaren Zweck haben, zu dem ich Euch nicht helfen kann.«

Ratlos blickte Henri seinen sarazenischen Freund an. Der zuckte die Schultern. Henri sagte:

»Wenn Ihr es uns befiehlt, verlassen wir Avignon und stellen das Rote Pulver woanders her. Wo könnte das sein?«

»Nun, ich kenne einen Ort an der Rhone – ein Fluss übrigens, der alle Geheimnisse mit sich führt, über die ein Alchemist unbedingt Bescheid wissen muss. Im genannten Ort gibt es ein Destilliergerät und einen Brennofen.«

»Würdet Ihr uns den Namen des Ortes nennen?«

»Er heißt Montfaucon.«

Hellhörig geworden sagte Uthman schnelclass="underline" »Das Montfaucon in der Nähe der Festung von Roquemaure?«

»Dasselbe.«

Die Gefährten tauschten einen viel sagenden Blick.

»Ihr gebt uns also die Grundsubstanz und die Weiße Tinktur mit auf den Weg?«, fragte Henri.

»Kommt morgen zur gleichen Zeit wieder. Dann habe ich es.«

»Und Ihr könnt uns nicht sagen, welcher Schritt zur Roten Tinktur führt?«

»Nur so viel. Diese Masse wird mit einer Silberlösung zu einer Masse eingedickt, es ist jene Masse, die auf glühendem Kupferblech wie Wachs ohne Rauch fließt. Und danach braucht Ihr nur noch den entscheidenden letzten Zusatz.«

»Ich werde es mir merken«, meinte Uthman skeptisch.

»Könnt Ihr uns auch eine Empfehlung für die Besitzer des Brennofens mitgeben?«, wollte Henri wissen.

Der alte Gelehrte und Alchemist sagte betrübt: »Ich weiß, Eure Absichten vermindern den Frieden in der Welt nicht. Aber ich werde es dennoch tun. Wenn ein Sarazene und ein Christ zusammen gehen, muss es etwas Besonderes geben, das sie vereint. Kommt morgen wieder.«

Beim Hinausgehen wendete sich Uthman noch einmal um. Bruder Raimundus saß zusammengesunken auf seinem Schemel, und sein knorriger Finger fuhr über die handkolorierten Signaturen und Reihen von Schriftzeichen des vor ihm aufgeschlagenen Buches. Uthman fragte:

»Sagt mir nur noch eins. Könnt Ihr wirklich Gold machen?«

»So wie die neuen Bauhütten Mauern errichten, die durchlässig sind! Lest diese meine Schrift Clavis Raimundi, darin steht alles.«

»Könnt Ihr es uns nicht von Angesicht zu Angesicht sagen?«

»Natürlich. Nichts ist leichter als das. Und nichts verwerflicher.«

»Hast du dir alles gemerkt, Uthman?«, fragte Henri bang, als sie den Alchemisten wieder verlassen hatten.

Uthman murmelte nachdenklich: »Die Masse wird mit einer Silberlösung zu einer Masse eingedickt, es ist jene Masse, die auf glühendem Kupferblech wie Wachs ohne Rauch fließt. Das habe ich wortwörtlich schon einmal gehört. Wenn ich mich nur erinnern könnte, wo.«