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»Das ist egal. Glaubst du, ein solches Rezept herstellen zu können?«

»Ich werde gleich in meinem Brevier nachschlagen. Denn natürlich habe ich auch alchemistische Schriften.

Sie bauen nur nicht auf der Grundlage auf, denn die ist geheim, und nur Alchemisten kennen sie. Was uns Raimundus verriet – und wenn er es in Weißes Pulver umsetzt –, können wir verwenden, um das Rote Pulver zu machen. Ich kann mir schon vorstellen, was er mit dem Wachs ohne Rauch meinte, aber das muss so verdünnt werden, dass es aus einer Phiole tropft. Und was ist der letzte Zusatz?! Lass uns sofort zu meiner Herberge gehen.«

Uthman hatte ein ganzes Kellergeschoss angemietet, das vorher einem Schneidearzt und Bader gehörte. Darin standen breite Tische, und im Hintergrund hatte Henri, der seit gestern hier untergeschlüpft war, sogar eine abgebaute eiserne Jungfrau entdeckt. Sie war jetzt verhängt. Als Uthman seine fragenden Blicke sah, hatte er gesagt:

»Ich weiß, es ist ein grauenvolles Foltergerät. Aber ich fühle mich sicher im Angesicht solch schrecklicher Marterinstrumente eurer allerchristlichsten Geschichte. Ich habe dann das Böse immer vor Augen und kann es durch Blicke bannen.«

Jetzt meinte Henri ungeduldig: »Lass uns dein Brevier anschauen.«

Uthman kramte aus seinen Ledertaschen ein unscheinbares Buch, dessen Rücken sich schon abzulösen begann. »Es ist ein sehr altes arabisches Buch, allerdings ins Lateinische übersetzt«, sagte der Sarazene, »ich benutze es ständig.«

»Wie heißt es?«

»De Mercuriis.«

»Ah!«

»Mal schauen…«

Während der Sarazene blätterte und las, schaute sich Henri noch einmal verstohlen in dem Gewölbe um. Es ähnelte wirklich eher einer Folterkammer als einem Wohnraum. Besäße es Öfen, könnte man es sich auch als Aufenthaltsort eines Alchemisten vorstellen, dachte Henri. Er wunderte sich erneut darüber, dass sich Uthman an solchen Orten wohl fühlen konnte. Als hätte der Sarazene seine Gedanken erraten, sagte er:

»Die Alchemie war schon immer meine geheime Leidenschaft. Allerdings nur so weit, als sie die Bereiche der Medizin berührt. An der Herstellung von Gold aus Blei, wenn sie denn gelingen könnte, bin ich nicht interessiert. Mal sehen, wie sagte der Alte? Wachs ohne Rauch… Silber in einem warmen Tiegel mit Quecksilber… mit Essig und Salz verrühren. Ingwer, Salmiak, Silberglätte und Bleiweiß in gleichen Teilen zusetzen. Wir können versuchen, ob das tatsächlich jene Masse ergibt, die auf glühendem Kupferblech wie Wachs ohne Rauch fließt.«

»Es ist nur eine der Zutaten, nicht mehr.«

»Geduld, Bruder! Eben fiel mir übrigens ein, wo ich davon schon gehört hatte. Es war in Aragonien. Ein Mann namens Arnoldus de Villanova besuchte den Königshof, er war damals so alt wie Bruder Raimundus heute und angeblich weitberühmt. Man behauptete, er habe für den Abt von Westminster sechzigtausend Pfund Gold aus Quecksilber, Zinn und Blei gemacht. Er rezitierte aus einem Buch, das er Picatrix nannte, und benutzte die gleichen Worte wie Raimundus. Hast du schon von einer solchen Schrift gehört?«

»Wir brauchen kein Gold, sondern die Rote Tinktur, Uthman!«

»Ich weiß. Nun gut, hier haben wir immerhin die Basis. Wenn alle diese anderen Zusätze dazukommen, dann könnte es…«

»Kannst du dich etwas deutlicher ausdrücken?!«

»Wir nehmen die Masse des Raimundus. Dann brauchen wir einen anderen Mischzusatz. Wir erhalten ihn, wenn wir Weinstein im Ofen brennen und danach in feuchter Luft zu einem Öl zerlaufen lassen; das wird mit einer stinkenden, siebenmal destillierten Mischung aus Vitriol, Salpeter und Alaun in eine Phiole getan.«

»Daraus soll rote Tinktur werden?«, zweifelte Henri.

»Es scheint so zu sein, dass aus einer Mischung von Goldamalgam und Silberoxyden ein grünliches Pulver wird, dazu kommt Quecksilber…«

»Das bestätigte er…«

»Ja. Und dadurch wird eine Masse hergestellt, die im Brennofen rot wird und zu Pulver zerfällt. Aber nein. Nein! Etwas fehlt noch! Was könnte es nur sein?!«

Er versenkte sich wieder in sein Buch. Henri wagte es nicht, den Blick von seinem Gefährten zu wenden, so als könne er ihn dadurch in seiner Suche unterstützen.

Nach einer Weile blickte Uthman auf. In seinem Gesicht stand ein stiller Triumph. »Allah ist groß! Ich weiß um den letzten, entscheidenden Stoff. Es muss Aconitum napellus sein. Die Überlieferung berichtet, es sei der Stoff der antiken Medea, die ihn dem Geifer des Höllenhundes Zerberus entnahm, als ihn Herakles auf Befehl des Königs Eurystheas aus der Unterwelt empor geschleppt hatte. Der Grieche Theophrast behauptet, das akoniton könne so zubereitet werden, dass der Tod des Vergifteten erst nach Monaten eintritt, und vor allem, dass es spurenlos sei. In Verbindung mit dem Merkurius hingegen entfalten sich alle tödlichen Eigenschaften sofort.«

»Das ist unser Stoff, Uthman!«

»Alles zusammen könnte das spurlose, geschmacklose, unsichtbare Gift ergeben. Aus unserer Phiole könnte ein einziger Tropfen genügen, um mehrere Päpste auszulöschen…«

»Einer genügt! Es geht nur um Clemens. Die ihm nachfolgenden Päpste sollen lange genug leben, um in Gottesfurcht und in Respekt vor dem Leben zu erstarren.«

»Medizin und Alchemie liegen so eng zusammen. Die Schrift besagt, das abgewandelte Rezept führe auch zum Tingieren von Gold! Nur ein einziger weiterer Zusatz, der mehr als ein Dutzend Multiplikationen erzeugt – und wir haben Gold.«

»Wir haben bereits Gold, Uthman. Ich sage doch, wir brauchen kein weiteres. Gold ist die Galle heidnischer Götter, das denke ich inzwischen. Und doch schmücken sich unsere Kirchenfürsten damit.«

»Mit dieser Meinung bist du ein toter Mann!«

»Ein Tempelritter wie ich ist aus vielen Gründen ein toter Mann, mein Freund.«

»Eine siebenmal destillierte Mischung…«, sinnierte der Sarazene, wieder über sein Buch gebeugt. »Wachs ohne Rauch…«

Henri machte eine unglückliche Miene. »Lass es uns hinter uns bringen. Mir ist mittlerweile mit diesen ganzen Essenzen und dem Pulverzeug unwohl zumute. Ist das nicht wirklich Hexerei und Teufelswerk? Nur zu sehr trifft mich noch immer der Vorwurf der königlichen Anwälte, wir Templer hätten bei unseren Treffen, um uns Mut für ekelhafte Praktiken zu machen, eine geheime Essenz getrunken, die aus der Totenasche verstorbener Mitglieder und unehelicher Kinder der zur Keuschheit verpflichteten Templer gewonnen war. Mit der Beschuldigung von Schwarzer Magie kann man in unseren Tagen jeden Gegner zu Fall bringen.«

»Was wir machen, ist etwas ganz anderes, Henri de Roslin«, sagte der Sarazene streng. »Und du weißt das.«

»Ja, ja…«

»Wir brauchen Zeit.«

Henri schüttelte die unguten Gedanken ab und straffte sich. »Zeit haben wir nicht. Das Gift muss so schnell wie möglich fertig werden. Wir holen morgen den Merkurius und das Weiße Pulver des Raimundus, und dann machen wir uns auf den Weg nach Montfaucon – solange wir noch können.«

»So sei es.«

Als Uthman ibn Umar und Henri de Roslin nach Einbruch der Dunkelheit bei Bruder Raimundus eintrafen, erlebten sie eine Überraschung.

Der alte Mann sprach mit jemandem. Er rief mit schneidender Stimme in den Raum hinein: »Mare fingerem, si Mercurius esset!« (Ich verwandle das Meer selbst dann in Gold, wenn es aus Quecksilber wäre.) Aber so angestrengt die Angekommenen auch versuchten, die nur von einer Wandfackel beleuchtete Stätte des Alchemisten mit Blicken zu durchdringen, sie konnten keinen weiteren Menschen entdecken.

Als Henri sich beim Eintreten räusperte, schien Bruder Raimundus in die Wirklichkeit zurückzukehren. Er machte eine Geste, als verscheuche er jemanden, und stand dann so schnell, wie es seine alten Knochen zuließen, von seinem Schemel auf, der hinter ihm umstürzte. Mit nun brüchiger Stimme sagte er: