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»Nun, ich wartete schon auf Euch. Ich habe meine Arbeit getan.«

Er führte seine Besucher zu einem Wandschrank. Hinter einem Vorhang standen neben etlichen Werkzeugen, neben Stößeln und Mörsern, Reagenzgläsern und Schläuchen, zwei Tiegel. Wortlos nahm Bruder Raimundus sie heraus und füllte etwas davon in einen kleinen Lederbeutel. Er zog dessen Schnur zusammen und reichte ihn Uthman.

»Er ist stabil geblieben, nicht flüchtig wie Quecksilber – das ist das Entscheidende. Nehmt diese halbe Unze des philosophischen Stoffes eines alten Alchemisten und verändert die Welt damit zum Guten! Aber wenn Ihr das Gegenteil davon bewirkt, dann wird Euch der Stoff in dem Moment vernichten, in dem Ihr ihn anwendet.«

»Wir danken Euch, Meister«, sagte Henri.

»Habt Ihr auch die Empfehlung für die Öfen in der Stadt Montfaucon?«, fragte Uthman.

»Ich schrieb sie auf diesen Zettel. Hier. Sie wird Euch wie ein Schlüssel die Tore öffnen.«

»Inshallah!«, sagte Uthman. »Allah sei mit Euch auf allen Euren Wegen!«

»Nun geht!«

Beim Hinausgehen drehte sich Henri noch einmal um, um sich zu verbeugen. Er sah, wie Bruder Raimundus in Abwehr die Arme erhoben hatte und heftig winkte, als wolle er etwas, das sich im dunklen Hintergrund des Gewölbes befand, zurückdrängen. Henri ging schnell hinaus. Auf der holprigen, von Hundekot übersäten Straße erwartete ihn Uthman, der so stolz aussah, als hätte Sultan Saladin die Schlacht um Jerusalem gerade soeben gewonnen.

»Jetzt hält uns nichts mehr in Avignon, nicht wahr?«

»Nein. Auf nach Montfaucon!«

Auch Uthman hatte seine Unterkunft bereits aufgegeben. Sie holten ihre Reittiere aus dem Stall am Stadtrand und ritten über die Rhone-Brücke davon.

Hinter ihnen schienen die gelben Mauern Avignons zu bersten von flackernden Feuern, inbrünstigen Gesängen und von etwas anderem, für das Henri nur der Name »Jüngstes Gericht« einfiel. Ja, ein Tag der Abrechnung schien zu nahen. Aber er wusste nicht, in welcher Gestalt dieser auftreten würde. Und wen er mit sich reißen sollte.

Sie ritten die ganze Nacht. Immer nach Norden, neben ihnen rauschten die Wasser der Rhone und erfüllten die Landschaft mit ihrem Geruch, der aus der Tiefe ihres Bettes kam. Am Morgen stiegen weiße Nebelschleier auf wie geheimnisvolle Wesen in bizarren Formen.

Henri kam in Erinnerung, was Uthman ihm von Raimundus gesagt hatte. Dass er sein Wissen aus den Tiefen der Fluten bezog. Ein solches Wissen war Henri fremd, der allerdings andere Geheimnisse kannte.

Sie waren schweigend geritten, Henri merkte aber nun, dass sein Gefährte um etwas herumdruckste. Er nahm sein Pferd zurück und wartete, bis Uthman neben ihm ritt.

»Willst du etwas sagen, treuer Freund?«

»Ich werde es tun! Nicht du!«

Henri brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dann erwiderte er heftig: »Das schlage dir aus dem Kopf! Du hast als Sarazene damit nichts zu tun! Ich bin Christ, und ich werde meinen allerchristlichsten Herrn und Henker zur Verantwortung ziehen!«

»Ich soll damit nichts zu tun haben? Der Papst und der König versuchen, Geld zu sammeln, um einen neuen Kreuzzug auf die Beine zu stellen! Tausende meines Volkes werden dann sterben!«

»Dennoch ist es meine Angelegenheit.«

»Aber mich verdächtigt niemand, Henri! Lass es mich tun! Ich habe schon einen Plan. Ich werde dem Papst einen Botschafter schicken und mich als Leibarzt des Muftis von Jerusalem ausgeben. Ich werde ihm mitteilen, von ihm persönlich zum Christentum bekehrt und getauft werden zu wollen. Geldgeschenke, die ich aus der angeblichen Kasse meines sarazenischen Herrn mitbringe, werden meinem Wunsch genügend Nachdruck verleihen…«

»Du willst Geld von mir?«

Uthman lachte leise. »Ja. Höre weiter. Der Papst wird geschmeichelt sein, und er weiß natürlich um den propagandistischen Effekt einer solchen Bekehrung. Er geht also darauf ein, sich mit mir an einem heiligen, geheimen Ort, den ich auswähle, zu treffen und meine Seele vor dem Fegefeuer zu retten. Außerdem werde ich durchklingen lassen, dass ich über die Geheimnisse der berühmten arabischen Heilkünste verfüge und zu einer sofortigen Linderung seiner Schmerzen und Gebrechen in der Lage bin. Es ist ganz einfach!«

»Ich muss es tun, Uthman! Es ist wirklich einfach, aber anders, als du meinst. Ich muss…«

»Du wirst den König töten, Henri! Spare dich auf für Philipp! Ein Mord genügt, verstehst du? Ein berechtigter Mord, um den Frieden in der Welt zu mehren, wie Raimundus sagte, ist legitim. Zwei Morde sind es nicht. Das führt deine Seele auf Abwege und ist gefährlich. Wir sind Gefährten, die schon manche Stürme überstanden haben. Wir teilen uns die unerhörte Aufgabe! Jeder von uns beiden erledigt seinen Teil! Das wird in den Augen unseres Gottes Wohlgefallen finden.«

»Du hättest Prediger werden sollen, Uthman. Mit Worten weißt du umzugehen.«

»Und mit Phiolen, Bruder!«

»Ich weiß nicht…«

»Aber ich! Überlasse mir ein einziges Mal die Initiative und das Denken, Bruder!«

Henri war von der Wucht der Worte seines Gefährten im Weiterreiten gestoppt worden. Er hielt jetzt die Zügel locker in der Hand und starrte Uthman an. Dann blickte er nachdenklich über die weißen Nebelschleier zur Rechten. Das Klatschen von schweren Flügeln war über der Wasseroberfläche zu hören. Was Uthman da eben gesagt hatte, war bedenkenswert, es klang so überzeugend. Und dennoch…

Als sein Pferd wieherte und dann langsam weitertrabte, riss Uthman ihn aus seinen Überlegungen.

»Übrigens. Ich hörte, eure christlichen Päpste seien nicht immer so gottlos gewesen wie dieser Clemens?«

»Er ist vielleicht nicht gottlos, Uthman, sondern nur schwach. Und der König ist übermächtig. Ich glaube, Clemens wollte einfach nicht so enden wie sein Vorgänger, das war der achte Bonifatius – soweit ich weiß, war auch er Alchemist. Übrigens war es Bonifatius, der Clemens – damals hieß er noch Bertrand de Got – zum päpstlichen Kaplan, später zum Bischof von Comminges und schließlich zum Erzbischof von Bordeaux ernannte. Als ich gerade einundzwanzig war, ja, ich erinnere mich genau, es war der Tag vor meinem Geburtstag, da gab Bonifatius eine Bannbulle heraus, die er Clericos laicos nannte. Darin verbot er den Angehörigen der Kirche, in irgendeiner Form Steuern an einen weltlichen Herrn zu zahlen. Vorausgegangen war nämlich ein Übergriff Philipps, den man schon damals den Schönen nannte – sicher mit mehr Recht als heute. Er hatte Steuern auf kirchliche Güter erhoben, ohne die Zustimmung des Heiligen Stuhls einzuholen.«

»Es ging immer um Macht und Geld, nicht wahr? Und wo blieb der wahre Glauben?«

»Den wahren Glauben vertrat der Papst. In einer weiteren Bulle mit dem Namen Unam sanctam schrieb er: Für die Erlösung der Menschheit ist es unerlässlich, dass jedes menschliche Geschöpf dem römischen Pontifex maximus Untertan sei.«

»Also auch der König. Aber was geschah mit Bonifatius?«

»Nach der zweiten Bulle rief Philipp ein Konzil zusammen, das den Papst verurteilen sollte. Wo ich davon spreche, fällt mir auf – mein Gott, es ist haarsträubend…«

»Was denn?«

»Der Papst sollte wegen der gleichen Verbrechen verurteilt werden, die das Königshaus dann den Tempelrittern vorwarf – Ketzerei, Blasphemie, Sodomie, Simonie, Verkehr mit Geistern und Dämonen! Es wiederholt sich, es ist unglaublich!«

»Was geschah dann?«

»Der Papst entwarf eine neue Bulle, um den König zu exkommunizieren. Philipp antwortete mit Waffen. Mit Hilfe antipapistischer Söldner nahmen seine Minister Thiery di Hirecon und Jacques de Jasseines und sein kirchenfeindlicher damaliger Kanzler Guillaume Nogaret den Papst in seinem Sommer sitz in Anagni bei Rom gefangen. Zwar versuchten die Einwohner des Ortes, Bonifatius zu befreien, was angeblich auch gelang, aber er starb an den Folgen der Ereignisse, denn er war bereits sechsundachtzig Jahre alt.«