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»Du weißt, der Papst isst nicht zu Abend wie gewöhnliche Leute. Er isst nicht, weil er Appetit verspürt, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Seine Tafel ist immer Anlass der Zurschaustellung, der Repräsentation, beispielsweise, wenn Fremde und Gäste anwesend sind.«

»Sicher. Ich werde mich herausputzen, mein schönstes Sarazenengewand anlegen und um seinen christlichen Segen bitten. Bin ich etwa nicht der Leibarzt des Muftis von Jerusalem? Ich habe in Cordoba mehr Leute von Leiden geheilt, als du glaubst, mein Freund, denn wenn sie hören, man sei Korangelehrter, halten sie unsereins auch gleich für einen Medicus. Ich kenne die arabische Medizin jedenfalls recht gut. Und das stelle ich gleich morgen früh unter Beweis. Dazu muss ich dich um einen Geldbeutel erleichtern.«

Am nächsten Morgen überraschte ihr Wirt sie mit der Nachricht, die ihm einer der Kutscher erzählt hatte: Der Papst befände sich so wohl wie schon lange nicht mehr, er beabsichtige, nach Avignon zurückzukehren.

»Verdammt soll er sein! Ist er ein Vagant?! Was zieht er herum wie ein Bettelmönch?!«

Henri beruhigte Uthman. »Du darfst keine Zeit verlieren. Reite zum Herrn Ricard, kündige dich dort an. Wenn der Papst wirklich nach Avignon zurückwill, wird er für den heutigen Abend ein Abschiedsessen geben. Daran musst du teilnehmen! Das ist unsere Gelegenheit, Uthman! Wenn alles gut geht, stirbt er erst auf dem Rückweg nach Avignon, dann bist du schon in Sicherheit.«

Eine Stunde später staunte Henri nicht schlecht. Der Sarazene trat vor ihn hin. Er war gewandet in ein Panzerhemd aus eisernen Ringen, die auf einen roten Stoffuntergrund genäht waren. Über einen gepolsterten Stehkragen fiel sein rabenschwarzes, halblanges Haar. Sein Schwert mit der kostbar verzierten Parierstange und das Schwertgehänge wurden von einem golddurchwirkten Umhang verdeckt. Seine Augen blitzten, als zöge er in die Schlacht.

Henri reichte ihm einen prall gefüllten Beutel mit Goldstücken. »Das hier wird dein Passierschein sein. Gib Acht, dass sie dich nicht für einen Angreifer halten! Und Glück sei mit dir, mein Freund!«

»Warte hier auf mich, bis ich zurück bin. Sollte das nach zwei Tagen nicht der Fall sein, reite davon und kümmere dich nicht um mich!«

»Nach zwei Tagen werde ich kommen und dich freihauen, egal, wer sich mir in den Weg stellt!«

»Nein! Du tust, was ich sage!«

»Ein Ritter tut nur das, was er sich selbst auferlegt, Sarazene.«

Uthman ließ sein erregtes Pferd tänzeln. Dann lachte er, hob den Arm zum Gruß und preschte davon.

Henri stand unbeweglich da und sah ihm lange nach.

Eine glühende Sonne am Himmel, kein Schatten den ganzen Tag. Uthman war stramm geritten, um die Entfernung bis zum Ort der Entscheidung so schnell es ging zu überbrücken. Doch jetzt war sein Reittier schweißnass, Flocken weißen Geifers flogen aus seinen Lefzen, und Uthman ritt langsamer, um es nicht über Gebühr zu schinden.

Er ritt durch Wälder und Flure, aus denen Raubvögel aufflatterten. Dann wieder öffneten sich Felder, die fleißig von Bauern mit hölzernen Ochsenpflügen bestellt wurden. Es war ein fruchtbares Land, und der Sarazene erinnerte sich, dass Henri ihm erzählt hatte, wie Tiere, Werkzeuge und Saatkorn, die in der Ackerwirtschaft der Provinz gebraucht wurden, unter dem Schutz der Templer, der Hüter des Gottesfriedens, selbst in Kriegszeiten unbehelligt blieben. Einmal kam er durch einen kleinen Weiler, in dem zwei alte Frauen bei seinem Anblick auf die Knie fielen und ein Stoßgebet zum Himmel schickten. Hunde wagten es nicht, sich dem Pferd zu nähern, sie zeigten knurrend ihr Gebiss und duckten sich in den Staub. Uthman rezitierte stumm einen Vers des Korans.

Und Allah spricht in der Sure Al-Baqarah, die Kuh, im 191. Zeichen: Tötet sie, wo immer ihr auf sie stoßt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben, denn die Verführung zum Unglauben ist schlimmer als Töten.

Der Sarazene erinnerte sich an seinen Vater, der ihn in die Koranschule geschickt hatte. Anfangs wollte er sich wehren. Er wollte kein Koranschüler werden, sondern auf dem Feld der Ehre gegen die Ungläubigen kämpfen, die das Heilige Land überfielen. Aber sein Vater war streng gewesen – und seine Liebe grenzenlos. Der Sohn hatte sich gefügt.

Und Allah sagt in der Sure Al-Baqarah im 190. Zeichen: Kämpft auf dem Weg Allahs gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen. Doch übertretet nicht. Wahrlich, Allah liebt nicht diejenigen, die übertreten.

Unser Kampf ist gerecht, dachte Uthman, wir übertreten nicht. Unwillkürlich ritt er noch langsamer. Als sich der Abend herabsenkte, kam in der Ferne die Stadt Roquemaure in Sicht. Die mächtige Höhenburg aus Quadern und rohem Bruchstein erhob sich auf einem Bergkegel, mit einem Burgfried, der in den Himmel zu wachsen schien. Die Festung besaß nichts Prächtiges, eher etwas Drohendes und Mächtiges. Es war ein Anblick wie geschaffen für Kämpfernaturen, denn in dieses Bollwerk zu gelangen schien nur möglich, wenn man sich seinen Feinden vollständig auslieferte.

Während er jetzt an dem steilen Felsgrat, der parallel zur Rhone verlief, entlang ritt, überlegte er, wie er es anstellen musste, den Ritter Ricard zu finden.

Er erblickte eine kleinere Burg stromabwärts, auf einem steilen Felsen bis ins Tal abfallend, stromaufwärts durch niedrigen Sattel mit dem Gebirge verbunden. War das die Besitzung des Ritters?, fragte er sich. Als er weiterritt, wurde ihm die Mächtigkeit dieser Wehranlage noch deutlicher. Der Anblick des ganzen Berges war überwältigend, wenn man auch die ansteigenden Stadtmauern und die untere Burg und Stadt mit übersah. Uthman fühlte sich klein und unwürdig. Aber das weiße Pulver schien sich in seinem Lederbeutel zu entzünden und ihm Stärke und Mut zu verleihen. Er legte unwillkürlich seine Hand auf die Stelle, wo der Beutel auf seiner Brust lag.

Ohne Zögern ritt er weiter und erreichte die kleine Stadt am Fuß des Abhanges, die die wichtige nach Norden weiterführende Uferstraße sicher beherrschte, denn diese führte mitten durch die Hauptgasse.

»Sagt mir, wo erreiche ich die Burg des Herrn Ricard?«, fragte er einen Jungen, der gerade versuchte, seinen Terrier zu dressieren.

Der wies, unbeeindruckt von der imposanten Erscheinung des Sarazenen, zu der kleinen Burg am Ortsausgang. »Es ist die da.«

Uthman ritt weiter und erblickte die Burg mit einem starken Wohnturm in Form eines Kleeblattes auf einem zweiten Basaltkegel neben der Straße. Die Straße ging bergan. Auf halber Berghöhe stand eine malerische Kapelle mit Kirchhof, Uthman erblickte im Vorüberreiten große Grabmale von zwei Familien, die Miravalle und Ventadour hießen. Das mussten die ehemaligen Burgbesitzer gewesen sein, bis das Geschlecht der Ricard sie übernommen hatte. Dahinter schirmte der Turm das Stadttor und beherrschte die Stadt.

Es war ein mühsamer Aufstieg, der Weg allein machte deutlich, dass die Burgherren keine Besucher wünschten. Hier stieg die Stadtmauer im steilsten Winkel bergan, von Zeit zu Zeit durch Mauertürme verstärkt, die Wehrgänge und Zinnen zeigten. Dann, hoch oben, schloss die Mauer an den Felsenkamm der Burg an. Ein lang gestreckter, schmaler Mauerring umzog in wild zerrissenen und vielmals geknickten Linien den Kamm, darüber kreisten Raubvögel. Endlich erreichte Uthman das Südende des durch den Burgkern bekrönten Kegels.

Die Spannung, die der Sarazene in sich spürte, ließ nicht nach. Er versuchte auch gar nicht, sie zu leugnen, sondern wollte sie als Fanal benutzen, um ohne Zaudern voranzuschreiten.

Er stand jetzt vor der Burgmauer der äußeren Vorburg. Er besaß so viel Kenntnisse, dass er sah, wie die hohen Mantelmauern auf Palisaden, den Motten, gebaut waren, um sie bei einem Angriff vor Unterminierung zu schützen. Nur ein kleiner Eingang am Fuße des Turmes, das Angstloch, war vorhanden. Uthman blickte empor, er konnte sich vorstellen, wie die Burg zu verteidigen war, nämlich durch einen Gussschacht und Gusserker, die Treppe dahinter führte sicher durch alle gewölbten Stockwerke bis zur Plattform.