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Er saß ab, zog am Glockenstrang und bestieg wieder das Pferd. In der Höhe des viereckigen Wartturmes öffnete sich eine kleine Luke.

»Euer Begehr!«

»Ich möchte den Ritter Ricard sprechen. Und sollte es der Fall sein, dass seine Heiligkeit, der Papst, in seinen Mauern weilt, wie man mir sagt, dann wünsche ich auch mit ihm zu reden.«

»Ach was? Und mit welcher Berechtigung?«

»Ich bin Uthman ibn Umar, Sarazene. Leibarzt des Mufti von Kairo. Ich habe dem Heiligen Vater ein Geschäft vorzuschlagen. Und nun melde mich an, ich bin nicht den weiten Weg geritten, um meine Zeit mit Torwachen zu vertun!«

Die Luke wurde zugeschlagen.

Uthman wartete eine geraume Weile. Als er schon glaubte, der Wächter habe die Anmeldung nicht weitergetragen, öffnete sich der Turmeingang. Zwei Geharnischte ließen ihn einreiten. Er kam in einen grob gepflasterten Hof, wo er absaß. Man führte sein Pferd fort und winkte ihm, zu folgen.

Uthman versuchte, sich alles einzuprägen, vielleicht musste er schnell fliehen. Die Kenntnis jeder Einzelheit konnte dann sein Leben retten.

Jetzt erst erreichten sie das unregelmäßige Fünfeck der eigentlichen Burg. Davor lag überraschenderweise ein ausgedehnter Kräutergarten, Uthman nahm im Vorübergehen nur flüchtig wahr, was sich darin befand. Ein schweres Doppelturmtor mit zwei Rundtürmen, die gewölbte Stockwerke umfassten, öffnete sich vor dem Besucher. Es ging in die innere Vorburg und dann in die Torhalle des Donjon, des Wohnturms des Feudalherrn.

Über eine Wendeltreppe und Leitern kam man in einen ansteigenden Burgteil, den ein weiterer, sehr starker Mauerring mit Wehrgängen umfasste, in denen Soldaten patrouillierten. Links vom Haupttor erhob sich ein anderer, an den Ecken verstärkter Rundturm, von dem Bewaffnete zu ihm herunterblickten. Aus dieser Festung zu entkommen dürfte schwierig sein, dachte Uthman. Und er betete zu Allah, der neun Namen trug, und bat um seinen Beistand.

Die Gänge in den drei Stockwerken, durch die er geführt wurde, besaßen ein Deckengewölbe mit Kreuzrippen und auffällig tief herabhängenden Schlusssteinen. Einmal kam ihnen eine junge adlige Dame entgegen, die in einem Brevier las. Ihre Hände waren von Seidenhandschuhen verdeckt, die nur die Fingerspitzen frei ließen. Dann wurde eine letzte Tür geöffnet, und die Wachen bedeuteten ihm, zu warten.

Uthman sah sich um. Der Raum, in dem er sich befand, war mit ungewöhnlich zahlreichen und großen Kuppelfenstern versehen, durch die das Sonnenlicht ungehindert einfiel. Erst jetzt merkte er, dass er schwitzte. Aber das kam nicht allein von der Sonnenhitze.

Er wurde sich erneut bewusst, in welch heikler Lage er sich im Augenblick befand. War es nicht unglaublicher Leichtsinn, den Attentatsplan ausgerechnet in einer so gut gesicherten Burg ausführen zu wollen? Aber welche Burg war dies nicht? Und auf jeden Fall schien es hier nicht schwerer zu sein als im Dominikanerpalast von Avignon.

Uthman vertraute auf Allahs Beistand und auf seine eigene Stärke.

Eine Tür wurde aufgerissen. Ein Mann stolzierte herein, der gewandet war wie ein Stutzer. Er besaß eine dünne, aber breitschultrige Figur, blondes, dünnes Haupthaar und einen zitternden Schnauzbart. Der Edelmann ging mit in die Seiten gestemmten Armen um ihn herum.

»So, Ihr wollt also Sarazene sein, wie? Leibarzt des Muftis, wie?«

Er ließ plötzlich eine prasselnde Salve von arabischen Lauten auf Uthman niedersausen, es hörte sich an wie explodierendes Schwarzpulver in dünnen Eisenrohren.

Uthman begriff, dass der Edelmann seine »Echtheit« ergründen wollte, und antwortete belustigt mit einfachen arabischen Sätzen. Sein Gegenüber war nicht überzeugt, schien sogar noch misstrauischer zu werden.

»Warum sollte ich Euch glauben?«

»Ihr sollt es nicht.«

»Sondern?«

»Ich bin aus dem einzigen Grund hier, dass ich zum christlichen Glauben übertreten möchte. Ihr, Herr Ritter, seid mir gleichgültig.«

»Was?! Seid Ihr geistesverwirrt?! Wisst Ihr nicht, wer ich bin?«

»Nein. Es ist mir auch ganz gleich.«

Der Edelmann heulte auf. »Ich bin der Ritter von Pierrefonds, aus der bedeutendsten Burg zu beiden Seiten der Rhone! Ich besitze den größten Donjon und den prächtigsten Palas, den jemals ein Baumeister baute.«

»Ich beglückwünsche Euch dazu, Monsire. Aber jetzt lasst mich bitte zum Herrn Ritter Guillaume Ricard vor.«

Bevor er platzte, holte Herr Pierrefonds tief Luft, wobei er rot anlief. Dann wurde er bleich und beruhigte sich. Er wendete sich wortlos um und stapfte hinaus, die schwere Eichentür schloss sich hinter ihm.

Kurze Zeit darauf kamen zwei Wachen. Sie bedeuteten Uthman, die Waffen abzulegen, die er besaß. Der Sarazene legte Dolch und Schwert vor sich auf den Boden. Die beiden Soldaten musterten ihn mit kalten, erfahrenen Blicken. Dann winkten sie ihn in den angrenzenden Raum. Hier bot sich Uthman ein Bild, wie er es seit seiner Jugend immer vor Augen gehabt hatte. Ein Bild, das er herbeibeschworen, verachtet und gefürchtet hatte. Es hatte ihn in seinen Vorstellungen bis in das Mannesalter hinein niemals verlassen.

Er fühlte sich in diesem Augenblick nicht nur wie Uthman ibn Umar, der gekommen war, den Papst zu ermorden, sondern auch wie der Repräsentant seines Volkes, das verfolgt und bekämpft worden war, das unendlich gelitten und sich blutig verteidigt hatte. Er fühlte sich wie ein ausgewählter Sarazene aus fünf Generationen Kämpfern gegen das rücksichtslos einfallende Christentum.

Er beherrschte sich nur mühsam.

Vor sich sah er das himmlische Bild, das sie immer von sich entworfen hatten. Unten die Heerscharen, jetzt verkörpert von waffenstarrenden Edelmännern, die ihm feindselig entgegenblickten. In der Mitte die ausgewählten Herren mit bleichen Gesichtern und verkniffenem Mund. Und oben Gottvater. Der Sarazene erkannte ihn sofort, er hatte ihn schon einmal gesehen, und er trug die Tiara des Papstes auf dem Kopf. Der fünfte Clemens in der Chronologie der Heiligen Väter auf dem Stuhl des heiligen Petrus. Der Mann, der an der Spitze seiner Gefolgsleute von Kirche und Staat unermüdlich für einen neuen Kreuzzug gegen sein Volk im Heiligen Land warb und Geld sammelte.

Kam dieser Kreuzzug jemals zustanden, dann starben mit den Christen vor allem seine eigenen geliebten Brüder und Schwestern zwischen Akkon und Askalon.

Sie hielten eine Art Thronrat ab. Herr Pierrefonds stand mit abgewendetem Gesicht an der Seite. Einer aus der Mitte der Pyramide, es mochte der Herr Ricard sein, denn er sprach herrisch und war am reichsten gewandet, sagte scharf: »Zu Boden! Ihr steht vor dem Stellvertreter Gottes auf Erden!«

Noch ehe Uthman reagieren konnte, schlugen ihm zwei Wachen ihre Lanzen in die Kniekehlen. Er sackte zu Boden.

»Den Kopf beugen, Ungläubiger! Was erlaubt Ihr Euch, uns mit den unverschämten Augen eines Heiden anzublicken!«

Uthman hielt es für ratsam, den Befehlen zu gehorchen. Er verharrte in dieser Haltung, aus der Gegend der anderen vernahm er Stimmengemurmel. Nach einer Weile spürte er die Kälte der Fliesen, denn der dicke, blumengeschmückte Teppich begann erst unmittelbar vor ihm.

»Er behauptet also, Leibarzt des Mufti von Kairo zu sein?«

»Ja«, sprach Uthman dumpf in Richtung der kalten Fliesen.

»Hat er Beweise?«

»Nein.«

»Und warum sollten wir ihn dann nicht umgehend in das Verlies werfen, wo er vermodern wird?«

»Weil ich ein wichtiges Anliegen habe, Ihr Herren. Ich möchte zum Christentum bekehrt und getauft werden. Könnt Ihr es einer armen Seele, die lange irregeführt wurde, verwehren, den Weg ins Himmelreich antreten zu dürfen, wenn der Tod naht?«

Gemurmel. Der Herr Pierrefonds kreischte jetzt: »Er lügt doch! Ziehen wir ihm seine anmaßende Bekleidung aus und unterwerfen ihn der Folter, dann wird seine freche Stimme anders klingen!«