Eine Stimme, die Uthman bisher noch nicht vernommen hatte, sagte ruhig: »Halt! Der Fremde trägt ein Anliegen vor, dem sich kein Christenmensch verschließen darf! Wir sind nach den Sakramenten verpflichtet, jede Seele zu retten!«
»Gewiss, Heiliger Vater!«
Die Stimme des Papstes hatte so ruhig und milde geklungen, dass Uthman ihm manches zu verzeihen bereit war. Konnte das der Mann sein, der Tausende von Templern ungerührt auf die Scheiterhaufen geschickt hatte? Er rührte sich nicht und wartete ab.
»Ihr dürft aufblicken!«
Uthman richtete seinen Blick auf die himmlische Pyramide, wo der Stellvertreter Gottes inzwischen seine Hand ausgestreckt hatte. Einer der Edelleute machte eine herrische Geste, Uthman erhob sich. Er trat näher und küsste den leuchtenden Diamanten auf dem Ring der ausgestreckten rechten Hand, dann zog er sich ehrerbietig wieder zurück.
Die dunklen Augen von Clemens ruhten nachdenklich auf ihm, und Uthman spürte, wie dieser Blick versuchte, seine Absichten zu ergründen. Der Sarazene kniete sich vor dem Thron auf sein rechtes Bein, blickte geradeaus und nahm wahr, wie die seitwärts postierten Soldaten ihre Schwerter und Lanzen zurücknahmen.
»Nun sprecht!«
Für den Moment bin ich gerettet, dachte Uthman erleichtert. »Ich komme aus Kairo. Schon immer war es mein Wunsch, Christ zu werden. Aber in meiner Heimat ist dies unmöglich. Seit St. Jean d’Acre fiel, ist der Hass meiner Landsleute gegen die Christenheit unvorstellbar groß. Nur die Juden dürfen am Leben bleiben. Deshalb bleibt mir keine Wahl, als in der Fremde den Segen des Heiligen Stuhls zu empfangen. Darum bitte ich Euch, Ihr hohen Herren, und dich besonders, verehrter Papst!«
»Was habt Ihr dem Heiligen Vater dafür zu bieten?« Der Sprecher saß rechts unterhalb des Throns, ein schwarz gekleideter Ritter, der ihn anfunkelte.
»Ich bin nicht arm. Da ich schon einige Zeit in diesem schönen Land bin, nachdem ich aus dem Morgenland kam, konnte ich an einem sicheren Ort eine Goldmenge verstecken, die nicht unbedeutend ist. Sie gehört Euch, wenn Ihr meine Seele gerettet habt.«
»Klingt vernünftig!«
»Wer beweist uns, dass Ihr die Wahrheit sagt und wirklich Gold besitzt?«
Uthman griff unter sein Gewand und zog den prall gefüllten Lederbeutel hervor. Er legte ihn vor sich auf den Boden. Auf einen Wink des Herrn Ricard hin holte ihn ein Soldat und brachte ihn dem Burgbesitzer.
»Tatsächlich Gold! Eine nicht unerhebliche Menge, Heiliger Vater! Aber das reicht nur, um einen winzigen Teil von Euch zu taufen, Sarazene! Vielleicht Euer rechtes Ohr, wie? Und Ihr behauptet, noch mehr davon zu besitzen?«
»Ja«, antwortete Uthman einfach.
»Wo ist der Rest?!«
»Nach der Taufe erhaltet Ihr ihn bis auf das letzte Stück.«
»Du feilschst mit dem Papst? Bist du von Sinnen? Ergreift ihn und presst aus ihm heraus, wo sich der Schatz befindet!«
Die Wachen stürzten sich gierig auf den Gast, packten und rissen ihn empor, einer schlug ihm die flache Seite seines Schwertes schmerzhaft ins Genick und anschließend den kreuzförmigen Knauf des Griffes in den Rücken. Uthman stöhnte und spürte, wie seine Beine für einen Herzschlag weich wurden. Sie wollten ihn soeben nach draußen schleifen, als eine laute Stimme Einhalt gebot.
»Nein! Lasst ihn! Kommt zurück!«
Der Ritter Guillaume Ricard war aufgestanden und verließ jetzt den Thronaufbau, um den Fremden näher ins Auge zu fassen. »Der Heilige Vater will das nicht. Nicht in seiner Gegenwart! Sagt uns, Ungläubiger, welche andere Möglichkeit als die Folter seht Ihr, damit Ihr uns Eure Schätze überlasst?«
»Die Taufe!«
»Schafft ihn fort! Reißt ihm die Zunge mit glühenden Zangen heraus!«
Uthman sagte hastig: »Ich besitze allerdings noch einen anderen Schatz, der viel größer ist als Gold und Edelsteine!«
»Wie? Was?«
»Ich bin in der arabischen Medizin und Chemie kundig. Ich kann heilen. Das ist mein eigentlicher Reichtum.
In meiner Heimat werden sie nur aus diesem einzigen Grund wehklagen, dass ich fort bin. Nicht wegen des mitgenommenen Goldes. Ich sehe, der Heilige Vater ist krank. Aber nicht unheilbar. Ich kann ihn von seinen Qualen befreien!«
Durch den Körper des fünften Clemens ging ein Ruck. Sein roter Ornat straffte sich. In sein farbloses Gesicht mit der pergamentenen Haut trat Neugier. Er gab dem Herrn Ricard ein Zeichen, und der fragte:
»Was hat es damit auf sich?! Berichte!«
»Dürfte ich frei stehen?«
»Lasst ihn los!«
»Verzeiht mir, Heiliger Papst! Aber ich sehe Euch an, dass Ihr an einer Erkrankung der Verdauungswege leidet! Habt Ihr Krämpfe, brennende Schmerzen, Blut beim Stuhlgang? Ich kann Euch helfen, denn…«
»Schweigt! Das Blut des Papstes ist heilig! Schon wird es ja in Reliquien gefüllt. Es kann nicht Gegenstand der schmutzigen Absichten eines Heiden sein!«
Wieder machte Clemens ein Zeichen.
Guillaume Ricard sagte: »Sprecht weiter! Aber hütet Eure Zunge vor Entgleisungen!«
»Die arabische Medizin, Ihr hohen Herren, ist sehr alt. Und sie kennt keine Geheimnisse. Wir haben sie von den antiken Gelehrten übernommen, kennen den Menschen auswendig und auch inwendig. Wir schauen in ihn hinein. Denn im Gegensatz zum Abendland dürfen wir den Körper von Kranken und von Toten auch öffnen. Wir öffnen sogar die Schädel, trepanieren die Knochen und schneiden das Leiden heraus.«
Man bekreuzigte sich. Der Papst hob müde den Arm und verhinderte dadurch, dass jemand etwas sagte.
Uthman fuhr fort: »Unsere Kenntnis der Stoffe ermöglicht uns, mit Hilfe der Chemie und natürlicher Dinge jedes Heilmittel herzustellen. Und wenn wir auch sonst keine Tugenden besäßen, dafür sind wir berühmt…«
»Wer hat Euch erzählt, dass der Heilige Vater krank ist?«, warf ein Mann ein, der einen akademischen Hut trug, vielleicht war es ein Arzt.
»Es sagte mir niemand. Ich sehe es mit eigenen Augen an der Farbe seines Gesichtes, an seinen Lippen, am matten Schimmer seiner Pupillen…«
»Schweigt endlich! So redet niemand über den Heiligen Vater! Er ist kein gewöhnlicher Patient!«
»Lasst ihn, Guillaume«, sagte in diesem Moment der ängstliche Clemens. Seine Stimme war herabgesunken. »Wenn Ihr mir sagen könnt, woran ich leide, dann will ich Euch glauben.«
»Ich kann es, wenn ich Euch berühren darf.«
»Niemand darf den Papst berühren, der am Abend noch beide Hände haben will!«
»Ruhig, Guillaume. Wie wollt Ihr es anstellen, zeigt es mir.«
Uthman fasste sich ein Herz. Er ging mutig auf den Thronsessel zu. Gleichzeitig durchtobten ihn Gedanken mit dem unterschiedlichsten Inhalt. Sollte er den Heiligen Vater gleich hier töten? Aber das war nur um den Preis seines eigenen Todes möglich. »Streckt den Arm der Herzseite aus, Exzellenz«, bat Uthman entschlossen. »Nein, ganz gerade. Wenn ich Euren Arm herunterdrücken will, haltet dagegen, so fest Ihr könnt. So. Nun legt bitte die andere Hand zuerst auf Euren Hals.«
Clemens tat, wie Uthman ihn hieß. Der Sarazene drückte auf den Arm und spürte den federnden Widerstand.
»Nun auf den Kopf. Nehmt bitte die Tiara ab.«
Clemens folgte dem Befehl. Ein junger Adliger nahm seine rituelle Kopfbedeckung eilfertig in Empfang. Wieder die gleiche Prozedur. Wieder spürte Uthman die Kraft der Gegenwehr.
»Nun auf den Bauch.«
Als Uthman den Arm niederdrückte, gab er nach, als sei er aus Schmand, der Sarazene konnte ihn ganz hinunterdrücken.
»Jetzt tiefer, dorthin, wo der Darm sitzt.«
Die Kraftlosigkeit des Patienten, mit der er die Stellen und Organe seiner geheimsten Pein offenbarte, war für einen erfahrenen Mediziner wie Uthman erhellend.
»Jetzt auf den anderen Arm.«