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»Gab es solche Bankgeschäfte auch in anderen Stützpunkten deines Ordens, Meister Henri?«, staunte Sean. Da der alles entscheidende Tag näher rückte, war Henris Umgang mit Sean förmlicher geworden, dem Verhältnis von Meister und Lehrling angemessen. Dieses Mal bestand er auf Disziplin, wollte keine unnötigen Risiken mehr eingehen.

»Natürlich. In allen Komtureien. Wir benötigten ja Unsummen für die Befreiung des Heiligen Landes von den Ungläubigen. Und dafür war uns jede Münze willkommen.«

»Ich habe gehört, dass damals, als der König von Jerusalem – hieß er nicht Balduin? – euch Templern eine Unterkunft in der Nähe der Ruinen des salomonischen Tempels zur Verfügung stellte, ihr gewaltige Schätze entdecktet, unter anderem die Bundeslade der Israeliten?«

»Unsinn!« Joshua sah den Jungen scharf an.

»Ich war damals beim ersten Kreuzzug nicht dabei, mein Junge«, sagte Henri milde.

»Und woher weißt du das alles, worüber du sprichst, Meister?«

Henri sagte: »Ich war nach dem Ende der Kreuzzüge für den Geldhandel des Ordens zuständig.«

»Für alles Geld des gesamten Ordens?!«

»Ja. Ich verwaltete die Konten, stellte die Wechsel aus und bestimmte die Ausgaben für den Schutz der Pilgerstraßen vor Räubern und Plünderern, die es überall gab.«

Bewundernd blickte ihn Sean an. Joshua bemerkte diesen Blick des ihm anvertrauten Knappen und wurde plötzlich streitlustig. »Die Templer waren die einzigen Christen, die bisher jemals Geld gegen Zinsen verliehen haben, Junge. Ihre Zinsen waren niedriger als die der halsabschneiderischen lombardischen Bankiers, deshalb machten sie gute Geschäfte – jeder kam zu ihnen. Nur den Juden hat man das vorgeworfen!«

»Das gehört nicht hierher, Joshua.«

»Doch! Ihr habt Hypotheken gewährt, um Pilgern die Möglichkeit zu bieten, ihre Bittfahrten ins Heilige Land zu bezahlen. Ihr habt den Wechselbrief erfunden, das nenne ich den finanziellen Ablass der Sünden. Ihr habt Konten geführt für die Allerreichsten im Land, für Fürsten und Edelleute…«

»Das sagte ich schon!«

»… und hohe Posten als Finanzberater bekleidet. In euren Gewölben bewahrtet ihr die Schätze der Adeligen, unter ihnen auch die Schatztruhen und Kronjuwelen der Könige. Ihr habt Geldtransporte und Werttransporte begleitet, Steuern eingezogen, mit der Erlaubnis der Kirche den Zehnten kassiert. Ihr selber bezahltet jedoch keine Steuern.«

»Das ist gewiss wahr, Joshua. Einige unserer Brüder sind wohlhabend geworden, und das war nicht recht. Aber wir haben auch die Straßen von Gesindel gesäubert und unseren Reichtum dazu verwendet, den Armen und Kranken zu helfen. Fragt einmal in den Tempeln nach, wie viele bedeutende Almosen wir gaben!«

»Bist du damit vor deinem Gott im Reinen, Henri?«

»Was meinst du?«

»War es nicht nur ein Vorwand, Reichtum für gottesfürchtige Zwecke anzuhäufen? Seid ihr nicht tatsächlich der Eitelkeit des Geldes erlegen?«

»Wenn es so war, dann strafe uns Gott!«

»Ihr seid schon gestraft. Hältst du die Geschehnisse dieser Jahre nicht für eine Antwort Gottes, die dir zu denken geben muss?« Joshua klang erbittert, vielleicht mit Recht. Doch trotz aller Kritik wusste Henri, dass der Gefährte treu an seiner Seite stand.

Henri schwieg einen Moment, sichtlich erschüttert. Dann sagte er schnell zu Joshua: »Nimm, was du für deine Aufgaben benötigst, jetzt brauchen wir nicht mehr Buch zu führen und abzurechnen. Dieses Geld ist nur noch dazu da, unsere Rachepläne auszuführen. Es ist genug da, ein paar Millionen Pfund Tournosen. Und wenn es aufgebraucht ist, ist hoffentlich auch unser Zorn aufgebraucht.«

Joshua sagte: »Uns Juden hat Geld immer viel bedeutet, weil nur sein Besitz uns vor Verfolgung schützte. Aber ich bin offenbar kein guter Jude, denn mir bedeutet Geld nichts. Ich verachte es. Es hat schon zu viel Unglück gebracht.«

»Ich weiß, Gelehrten sind tiefe Gedanken wichtiger. Aber du weißt, Gedanken können nicht töten. Und wir brauchen dringend gute Waffen.«

»Gedanken können nicht töten? Mein lieber Freund! Gedanken sind oft tödlicher als jede Waffe! Denke an die ersten lauten Überlegungen des Papstes auf dem schändlichen Konzil von Vienne! Das waren Todesurteile! Die Waffen in den Händen der Schergen führten später nur aus, was die Gedanken angerichtet hatten.«

»Schon gut! Ich weiß! Lasst uns jetzt nicht darüber streiten. Wir teilen das Geld und verschwinden wieder. Ihr wisst jetzt, wo sich der Schatz befindet. Wenn ihr etwas davon benötigt, holt es euch. Es ist für uns alle da.«

Den Rest der Arbeit verrichteten sie stumm. Auch Sean bekam eine Handvoll Silbermünzen in den Beutel gesteckt, damit er sich auch dann durchschlagen konnte, wenn er allein war. Joshua ben Shimon nahm nur das Nötigste, in seinem Gesicht war der Abscheu deutlich zu lesen. Dann murmelte er: »Der Herr, unser Gott, gelobt sei er, besitzt sieben Namen, die wir nicht nennen dürfen, Mammon ist darunter nicht.«

»Schon gut«, sagte Henri, während er aufteilte. »Auch unsere Regel, die uns der heilige Zisterzienserbruder Bernhard verlieh, sieht Armut, Keuschheit und Gehorsam vor. Findet man nach dem Tod eines Tempelbruders Gold oder Silber unter seinem Besitz, wird sein Leichnam in ungeweihter Erde begraben, und ist er schon bestattet, dann gräbt man ihn wieder aus.«

»Wie schrecklich«, entfuhr es Sean. »Ich hörte außerdem davon, dass euer Keuschheitsgelübde sogar den Kuss einer Mutter verbietet!«

Henri gab zur Antwort: »Wir dürfen ohne die Erlaubnis unserer Meister keinen Sack oder Kasten verschließen, nicht baden, uns nicht zur Ader lassen oder einen Brief eines Verwandten öffnen, und jeder Ungehorsam hat den Verlust des Gewandes und die Einkerkerung in Ketten zur Folge. Wenn dich diese Dinge erschrecken, Knappe, wirst du nie ein Templer werden können. Das weißt du doch längst!«

Sie verwischten die Spuren, streuten Staub über die losen Bretter und verließen die Empore rückwärts gehend. Sean stieß mit seinem Schnabelschuh das Gerippe einer verendeten Ratte auf das Versteck. Unten angekommen bekreuzigten sich Henri und Sean vor dem Altar, Joshua verneigte sich und murmelte etwas. Dann verließen sie gemeinsam die Kapelle.

Sie holten ihre Pferde und stellten sich noch einmal in einem kleinen Kreis zusammen. Als sie sich die Hände auf die Schultern legten, erneuerten sie ihren Bund fürs Leben. Seit dem Attentat auf Philipp den Schönen am Königshof von Fontainebleau taten sie es zum ersten Mal wieder.

»Lang sterbe der König!«, sagte Henri.

»Und bald komme seine Beerdigung in der Abteikirche von St. Denis«, fügte Joshua hinzu.

»Beim nächsten Mal gelingt es uns!«

»Auge um Auge, Zahn um Zahn!«

Sean wollte etwas sagen, verschluckte es aber.

Joshua und Sean ritten gemeinsam nach Süden weiter, wo Sean in einer ehemaligen Komturei Lektionen erhalten sollte. Henri machte sich nach Osten auf den Weg. Sie sahen sich nicht mehr um. Wichtig war nicht, was hinter ihnen, sondern was vor ihnen lag. Und je weniger sie von ihren unmittelbaren Absichten wussten, desto weniger konnten sie unter der Folter verraten.

Ihre Gestalten waren auf den Höhen der in dieser Gegend abgeholzten Hügel noch lange zu sehen. Aber bevor die Schatten des Nachmittags länger wurden, hatten sich die Gefährten aus den Augen verloren.

Henri de Roslin war es willkommen, allein zu sein. Sein ernstes Gemüt neigte ohnehin nicht zur oberflächlichen Unterhaltung, wenn ihn auch der schwärmerische Gesang des Knappen oder sein Spiel auf Schwögel, seiner Flöte, seine Guinivevre hatte sie ihm geschenkt, schon oft angenehm angerührt hatte. Und Joshua wusste so viel vom Leben und dem Universum, welches sich über die Erdenscheibe spannte, und er konnte so anregend davon erzählen, dass Henri seine Gesellschaft über alles schätzte.