Uthman dagegen fühlte sich unbehaglich. Er war auf dem Sprung. Das Pulversäckchen lag in der Tasche seines Entari, eines eleganten, seidenen Umhangs, der bis zum Boden reichte, bereit. Man aß, plauderte, Musik spielte. Und Uthman wurde immer verzweifelter, weil die Erfüllung seines eigentlichen Auftrages in immer weitere Ferne rückte.
Aber er wusste, dass die Situation durchaus etwas Gutes besaß. Jeder sah, dass der Papst gesund war. Dass er wie durch ein Wunder munter wirkte, wie schon seit Jahren nicht mehr. Im Moment dachten höchstens die Leibärzte, der Sarazene wolle ihm nach dem Leben trachten. Zumal Uthman keine Gelegenheit ausließ, die Vorzüge der arabischen Medizin zu schildern.
Er bemühte sich gerade, jeden Verdacht des Mystischen zu beseitigen, schilderte die vernünftigen Überlegungen der antiken Mediziner und das handwerkliche Geschick der arabischen, da beugte sich der Papst zu ihm und sagte leise:
»Hat er noch von dem Pülverchen? Ich spüre, wie der alte Schmerz zurückkehrt und Blähungen aufsteigen wie Sumpfblasen.«
Uthman zögerte einen Herzschlag lang. Jetzt, das spürte er, war der Moment gekommen, sich zu entscheiden. Jetzt musste er das Richtige tun. Und danach durfte er keinen Schritt mehr zurückweichen.
Er griff nach seinem Lederbeutel, in dem das Gift schlummerte, welches gnadenlos töten sollte.
Er zog es hervor. Der philosophische Merkurius mit der Alchemistischen Formel schien schwer in seiner Hand zu wiegen. Er schüttete dem Papst ein wenig davon in den Weinpokal. Und Clemens trank es. Uthman hielt den Atem an.
Der Papst wischte sich die Lippen ab und sagte:
»Wie wunderbar! Noch nie schmeckte mir Wein so gut! Oh, ich habe einen Hunger, wie ich ihn noch nie verspürte! Mehr von dem Wildbret! Und spart nicht an dicker Sauce!«
»Halt!«, meldete sich da der päpstliche Mundschenk. »Das geht nun wirklich zu weit! Verzeiht, mein Herr Papst und Gebieter! Aber lieber will ich sterben, als Euch dieser Gefahr auszusetzen! Ein Heide schüttet Euch Pulver in den Wein! Das dürft Ihr ohne Giftprobe auf keinen Fall trinken!«
Der Papst lehnte sich lächelnd in seinem Sessel zurück. »Ich habe es bereits in meinem Zimmer getrunken. Und es hat mir wohl getan.«
»Bitte lasst mich wenigstens jetzt eine Giftprobe machen«, drängte der Mundschenk.
»Macht die Giftprobe«, sagte Clemens milde. »Wartet. Was nehmen wir? Den Bezoar? Nein. Natternzungen? Das Einhorn? Krötensteine? Serpentin? Nein. Pulver vom Steinbockhorn? Hole er den schwarzen Haifischzahn aus Gestein! Er ist gegen Gift der mächtigste Verbündete!«
Uthman zuckte zusammen. Jetzt fliegt alles auf, dachte er. Er sagte mühsam: »Ihr misstraut mir?«
»Keineswegs«, antwortete der Papst. »Aber ich esse und trinke sonst nie, bevor meine Mundschenke und Vorkoster die Giftprobe gemacht haben. Erst wenn mein Truchsess mein Tranchierbesteck küsst zum Zeichen, dass es giftfrei ist, darf ich anfangen. Wisst Ihr, mein Geschirr wird auf dem Weg von der Küche zur Tafel mit Tüchern gebunden, auf Reisen sogar mit einem Schlüsselchen abgesperrt. Meine Utensilien, Tischtücher, Servietten, Gewürzfässchen und mein Essgerät schützt Tag und Nacht mein vertrauenswürdigster Hofbeamter. Kennt Ihr nicht das Wormser Hofrecht, in dem es heißt, dass Giftmorde fast täglich in der Bischöflichen Familie geschahen? Seitdem haben wir Mundschenke, Truchsesse, Kämmerer für unsere Giftproben. Heute habe ich bereits gewaltig über die Stränge geschlagen und war sehr leichtsinnig.«
Man schüttete mehr Wein in eine silberne, henkellose Schale. Der oberste Mundschenk verlangte das restliche Pulver. Uthman zog den Beutel hervor und gab es ihm. Er richtete ein Stoßgebet zu Allah.
»Das dauert keinen halben Stundenumlauf«, erklärte der Ritter Ricard. »Ich mache es sonst immer mit einer Probe aus Bergkristall an einer silbernen Kette. Die Giftprobe hat mehr Menschenleben gerettet als alle Ärzte zusammengenommen.«
Jemand hatte inzwischen ein silberbeschlagenes Tafelschiff, das Nef, gebracht, an dem schwarze Haifischzähne wie an einem Baum hingen. Er nahm einen mit einer gezackten Silberfassung herunter und hängte ihn an seinem Ring in die tiefe Schale.
Die Gäste traten näher und beugten sich gespannt über das Trinkgefäß.
Der redselige Mundschenk erklärte: »Es ist seit der Antike unser bester Giftschutz, und Ihr wisst sicherlich vom Schlangenwunder, das der Heilige Petrus auf Malta wirkte. Wir Christenmenschen vertrauen seiner Kraft.«
»Wenn der Zahn sich verfärbt, seid Ihr ein toter Mann«, sagte ein Arzt hämisch zu Uthman.
Der Sarazene spürte, wie sein Blut aufwallte. Er erhob sich. »Verzeiht mir, aber eine plötzliche Übelkeit – ich muss zum locus secretus…«
»Aber nein, langsam!« Ein bewaffneter Gehilfe des Mundschenks drückte ihn auf den Sitz zurück. »Hier geblieben!«
Auch Clemens blickte ihn plötzlich misstrauisch an. »Ihr wollt Euch zurückziehen? Seht Ihr etwa dem Ausgang der Probe zweifelnd entgegen?«
»Gewiss nicht. Ich habe nur viel fettes Fleisch gegessen, die französische Küche ist nichts für meinen Magen, der an fleischlose Kost gewöhnt ist.«
»Wartet, bis die Probe vollzogen!«
Uthman suchte verzweifelt nach einem Grund, die Burg verlassen zu dürfen. Denn zweifellos musste ihre Probe, von der er schon gehört hatte, das Gift im Wein nachweisen. Solche Proben waren sicher. Und dann würden sie es ihm wahrscheinlich in den Hals schütten…
Ein kühner Plan war in ihm gereift. Er sprang auf. Sein Sitz stürzte um.
»Dieses Misstrauen erträgt kein freier sarazenischer Mann! Ihr habt mein Wort, es ist eine unverzeihliche Beleidigung, an meiner Ehre zu zweifeln! Ich ziehe meinen Wunsch nach Bekehrung und Taufe zurück! Aber ich stehe zu meinem Wort! Morgen in der Frühe kehre ich zurück mit dem Gold, das ich Euch versprach! Ihr sollt es haben. Und nun lebt für heute wohl, die Einsamkeit ist mir jetzt lieber als die Gegenwart von Feindseligen.«
Der Papst hob die Hand. »Das Misstrauen richtet sich nicht gegen Euch. Ich sagte ja, wir vollziehen diese Probe fare assazium immer, sie ist seit unserem verehrten Vorgänger, dem seligen Bonifatius dem Achten, üblich. Bleibt also. Aber wenn Ihr wollt, könnt Ihr nach Beendigung der Probe gehen. Zieht Euch danach zurück, wenn Ihr wollt. Aber jetzt setzt Euch wieder! Ihr seid Gast des Papstes – wollt Ihr Euch daran erinnern?«
Henri de Roslin stand noch immer in seinem dunklen Zimmer, angespannt wie ein Raubtier auf dem Sprung. So hatte er schon ganze Nächte lang auf Kriegszügen verbracht, die Sinne geschärft, den Körper ohne Ermüdungserscheinungen hoch aufgerichtet. Ohne einen Laut zu verursachen. Die Geräusche von unten dagegen wurden lauter. Das Lachen von Betrunkenen stieg zu seiner Stube herauf, es klang wie ein Hohnlachen über die Vergeblichkeit seiner Pläne. Henri wischte diesen Eindruck fort. Er spürte seine Waffe an der Seite. Und er spürte seinen eiskalten Mut. Entschlossenheit stieg in ihm auf.
Und dann trat er ans Fenster. Er konnte sehen, wie sich im Stall gegenüber sein Reittier bewegte. Es war unruhig und schnaubte.
Henri löschte die flackernde Wachslampe im Zimmer nicht. Er öffnete das Fenster, trat auf den Sims und schloss es hinter sich. Dann sprang er. Unsanft landete er auf dem Boden, aber sein geschmeidiger Körper federte den Aufprall mühelos ab. Henri holte sein Tier, schwang sich in den Sattel, gab die Zügel frei und ritt wie ein Krieger in der Attacke nach Norden. Seinen Schlachtruf »Beausânt à la rescousse!« ließ er jedoch nur lautlos in seinem Inneren ertönen, denn er trug auch sein schwarz und weiß geteiltes Banner, auf das er sich bezog, nicht.