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Joshua erinnerte sich noch genau daran, wie wohlwollend sich der König zu Beginn seiner Regierungszeit den Juden gegenüber gezeigt hatte. Um das Jahr 1300 herum waren die Geschäfte seiner jüdischen Brüder glänzend gegangen. Er hörte es überall. Und in der Synagoge dankten sie dafür umso inbrünstiger dem Herrn. Aber als ihre Kassen prall gefüllt waren, warf man ihnen plötzlich vor, an der Pest schuld zu sein. Man rief die Schutzheiligen an, zog ein ermordetes Christenkind aus einem angeblich vergifteten Brunnen und warf das den Juden vor. Pogrome wurden in Gang gesetzt, mit Schaudern erinnerte sich Joshua, wie bei einem seine eigene Frau ermordet und sein Haus angezündet worden war, sein Sohn war in den Flammen umgekommen.

Die Juden waren ausnahmslos verleumdet und verhaftet worden. Erst belegte der König das Nichttragen des Judenringes mit hohen Geldstrafen, dann verbot er ihnen das Wohnen auf dem flachen Land. Er trieb sie in den Städten zusammen, wo man sie aber aus den Gilden ausschloss. Im Jahr 1306 verhaftete man sie und verwies sie des Landes. Dann bemächtigte sich der König aller ihrer Reichtümer. Joshua erinnerte sich, dass seine eigenen Freunde fast ausschließlich in das Gebiet des Königs von Mallorca ausgewandert waren. Als er selbst aus dem Heiligen Land nach Paris zurückkehrte, waren viele aber auch schon gestorben. In Senlis und Pont-de-Larche, aber auch in Narbonne und Carcassone hatte man sie auf Scheiterhaufen verbrannt, bevor sie ins nahe Aragonien fliehen konnten.

Dieser verräterische König, den man den Falschmünzerkönig nannte, weil er dauernd die Münzen abwertete! Bitter dachte Joshua: Philipp hat die Juden nur gemästet, um sie hinterher umso besser abschlachten zu können. Wir waren wie hilflose Gänse in seinem Stall. Und wir dachten, wir seien die Füchse!

»Joshua, das Feuer geht aus!«

»Dann leg Holz nach, Sean!«

Der Herrgott war taub in dieser Zeit, musste Joshua denken, und die Menschen zeigten weniger Mitleid als die Hunde. Und die Juden, als die ewigen Fremden, mussten immer als Erste büßen. Bei jedem Kreuzzug im Heiligen Land zahlten sie in der Heimat ihren hohen Blutzoll.

Es fiel Joshua auf, dass Sean aufgehört hatte zu spielen und zu singen. Nur das Prasseln der Flammen war zu hören. Und als hätte der Knappe seine düsteren Gedanken hören können, fragte er plötzlich: »Hör mal, Joshua, ich sehe, du grübelst wieder einmal. Denkst du an den Tod deiner Frau und deines Sohnes? Ich verstehe all das immer noch nicht. Warum verfolgt man die Juden eigentlich überall? Was habt ihr getan, das die Leute so zornig auf euch macht?«

»Das frag sie selbst. Mir ist nichts davon bekannt.«

»Aber sie ermorden euch doch. Es heißt, ihr seid an allem schuld. Auch an der Ermordung Jesu. Stimmt das?«

Seufzend antwortete Joshua ben Shimon: »Wenn du es schon wissen willst, ja, es stimmt, sie verfolgen uns.

Ich kenne persönlich sieben Männer und Frauen, die man auf die Scheiterhaufen geworfen hat. Aber es stimmt natürlich nicht, dass wir schuld am Tod Jesu sind. Oder Brunnen vergiften. Oder Christenkinder essen.«

»Woher kommt dann ihr Hass?«

»Das hat uralte Wurzeln. Das kannst du nicht verstehen.«

»Erkläre es mir!«

»Nun. Schon als eure Kirche gleich nach dem Kreuzestod Christi sich von der Tradition der Juden absetzen wollte, verleumdete sie uns umso heftiger. Da wir uns weigerten, Christus als den Messias und Erlöser anzuerkennen und an den Gesetzestafeln des Propheten Moses festhielten, schienen wir ein Unruheherd zu sein, der die junge Kirche störte. Die Behauptung, die Juden hätten Christi getötet, stammt aus dem 4. Jahrhundert. Damals verleumdete sie der heilige Johannes Chrysostomos, seines Zeichens Patriarch von Antiochia, als Christusmörder. Die Zerstreuung der Juden in alle Welt wurde als Strafe dafür gedeutet. Während der Kreuzzüge sagte man plötzlich, auch die Ungläubigen zu Hause müssten vernichtet werden – und meinte uns Juden. Der Zug der Kreuzritter, auch der Tempelherren, zog also auch eine blutige Spur durch die Ansiedelungen der Juden in deren Heimat. Die Eroberung des Heiligen Grabes durch die Anhänger des Propheten Muhammad wurde auf die Sündhaftigkeit der Juden zurückgeführt.«

»Joshua, in der Ferne kommen Reiter!«

»Was für Reiter?«

»Ich kann es nicht erkennen, sie sind noch zu weit.«

»Höre! Damit du in Zukunft ein für alle Mal weißt, welches Unrecht den Juden geschah. Man nahm ihnen alles, und sie durften als Ungläubige keine Anklagen gegen Mitglieder der christlichen Gemeinschaft vorbringen, konnten sich also nicht wehren. Sie waren Leibeigene des Königs – aber der schützte sie nicht. Schließlich verkündeten auch die Päpste, wie Innozenz der Dritte, die Juden seien als Strafe für den Christusmord zur ewigen Sklaverei verdammt. Thomas von Aquin verschärfte diesen Gedanken noch – Juden seien Sklaven der Kirche, und diese dürfe deshalb über ihr Eigentum verfügen. So bekamen sie ihren einzigen Platz zugewiesen – als Geldverleiher und für Bagatellgeschäfte. Aber nicht einmal dieses Geschäft durften sie mit Christen betreiben.«

»Joshua, die Reiter! Sie kommen immer näher!«

»Weil wir Juden ohnehin verdammt waren, durften wir als Einzige Geld gegen 20 Prozent Zinsen verleihen. Zwanzig Prozent! Aber der königliche Schatzmeister kassierte jedesmal mit, es war eine indirekte Besteuerung. Wir Juden wurden also vorausgeschickt als Zinseintreiber des Königs, ohne dass dieser in Erscheinung trat. Man hasste uns, nicht den König.«

»Ihr wart dumm!«

»Ja – das waren wir.«

»Was geschah dann?«

»Was machen die Reiter?«

»Sie kommen über die Ebene von Süden her.«

»Für das einfache Volk wurde der Jude bald nicht nur der Christusmörder, sondern der raffgierige, erbarmungslose Geldmensch, der alle gewachsenen Bindungen leugnete. Als die Städte wuchsen und der Handel immer mehr blühte, nahm der jüdische Einfluss allerdings ab und der der Bankiers zu. Umso weniger schützte der König nun die Juden. Wenn die Gesellschaft Bargeld benötigte, beschuldigte und vertrieb sie uns Juden – so einfach wurde das.«

»Was wollen die Reiter von uns?«

»Höre mir umso aufmerksamer zu, damit ich es nicht wiederholen muss! Im vorigen Jahrhundert, als die Inquisition begann, wurden wir gezwungen, unser Abzeichen zu tragen – zunächst einen roten Ring aus Tuch, der angeblich ein Geldstück darstellte. In Frankreich wurde unser Leben unter Ludwig dem Heiligen unerträglich, im Jahre eurer Zählung 1240 fand unter seiner Herrschaft ein Prozess gegen die Thora wegen Häresie und Blasphemie statt, der natürlich gegen uns schlecht ausging, vierundzwanzig Wagenladungen Thoraischer Schriften verbrannte man in Paris. Erst brannten die Bücher, danach brannten die Menschen. Juden durften keine Christen als Diener anstellen, sie nicht ärztlich behandeln, Mischehen waren verboten, sie durften kein Mehl, kein Brot, keinen Wein, kein Öl, keine Schuhe und keine Kleidungsstücke an Christen verkaufen.«

»Warum das nicht?«

»Weil der Kontakt mit Juden für Christen nachteilig war – er führte sofort zum Unglauben.«

»Sie kommen schnell näher!«

»Wenn sie da sind, sag mir Bescheid. Was blieb uns also anderes übrig, denn als Pfandleiher, Geldverleiher oder Totengräber zu arbeiten? Wir hausten in engen Vierteln zusammen, um uns gegenseitig zu schützen. Auch das warf man uns vor.«

»Aber du, Joshua?«

»Ich hatte das Glück, im Heiligen Land von den Arabern die Medizin gelernt zu haben, ich konnte behandeln und heilen. Und ich zog mich in die Welt der Gelehrsamkeit, der Bücher, zurück.«

»Sie kommen, es sind zwei!«

»Die anderen lebten dauernd am Rand der Gewalttätigkeit und der drohenden Übergriffe.«

»Sie sind da! Mein Gott, endlich!«

Ein heftiges Klopfen dröhnte durch die Hütte. Draußen wieherten Pferde. Stimmen riefen.