Als auch Joshua ben Shimon die Ankommenden erkannte, sprang er auf und stürzte zur Tür. »Henri de Roslin! Uthman ibn Umar! Gott zuerst und mir sollt ihr willkommen sein!«
Die Ankommenden sahen müde aus, rafften sich aber beim Anblick des Juden und des ebenfalls herausstürmenden Knappen zu einem Lächeln auf. Sie begrüßten und umarmten sich. Dann säuberten sich Henri und Uthman von der dicken Staubschicht, die auf ihnen lag.
»Ihr müsst lange geritten sein, so, wie ihr ausseht«, sagte Sean.
»Wir kommen aus dem massif central«, antwortete Henri. »Seitdem wir Roquemaure verlassen haben, sind die Häscher hinter uns her. Die letzten acht Wochen sind wir ständig im Zickzack geritten, um unsere Spuren zu verwischen.«
»Hoffentlich ist es euch gelungen«, meinte Joshua.
Uthman schaute kampfeslustig. »Wenn nicht, dann sollen sie kommen. Wir erwarten sie wie bei allen Scharmützeln, die wir seit dem Frühsommer bestanden haben. Sie haben sich blutige Nasen geholt, nicht wir.«
»Obwohl du deine Wunde am Bein auskurieren solltest, Uthman!«, sagte Henri besorgt.
»Du bist verletzt, Uthman? Dann komm herein. Mara wird sich sofort darum kümmern!«
»Nichts Schlimmes!«, winkte der Sarazene ab. »Aber wenn man acht Wochen lang Tag und Nacht fast ununterbrochen im Sattel sitzt, kann man seine Wunden nicht pflegen, und sie zahlen einem das irgendwann heim.«
Joshua gab Sean den Befehl, die Pferde abzusatteln, zu striegeln und zu trocknen. Im Stall warteten Wasser und Hafer. Sean wäre lieber mit ins Haus gegangen, um die Berichte seines bewunderten Herrn Henri und des Sarazenen zu hören, trollte sich aber gehorsam.
»Uthman ist fast so abgemagert wie ich«, bemerkte Joshua beim Hineingehen, »und auch du, Henri, siehst müde aus. Ihr müsst euch unbedingt ein paar Tage erholen. Hier seid ihr sicher. Und wir können in der Zwischenzeit über alles sprechen.«
»Du hast den Brief geschrieben?«
»Ich habe ihn sogar zweimal geschrieben. Das Original müsste inzwischen bei Philipp sein, die Abschrift habe ich hier, du kannst sie lesen.«
»Auf welche Weise hast du den Brief zugestellt, ohne dass dich die Häscher des Königs als Absender entdecken konnten?«
»Oh, ich habe mir etwas einfallen lassen! Sean hat mich mit seinem ewigen Liebesgeflöte darauf gebracht. Ein reisender Minnesänger nahm den Brief für den König in Empfang, von einem kleinen Kind, das ihn wiederum von Sean bekam. So ist die Kette schwer zurückzuverfolgen.«
»Und wie bekommst du Antwort?«
»Bei Rambouillet gibt es ein gutes Versteck.«
»Ist es sicher?«
»Ganz sicher! Ein weites Feld, kaum zu kontrollieren, und mitten darin eine Täubnerei. Der Vogeldresseur ist mir gewogen. Und seine Brieftauben auch, sie tragen die Antwort des Königs dorthin, wo ich warten werde.«
»Gut ausgedacht«, lobte Henri. »Wenn man sich vorstellt, dass es in diesem heruntergekommenen Land selbst für gewöhnliche Briefe so viele Postboten geben muss, damit alles gut ankommt! Wahrlich, wir leben in seltsamen Zeiten.«
Sie lachten. Als sie in der Hütte am Feuer saßen und sich ihrer Hüte und Stiefel, danach auch ihrer Umhänge aus feinem Wollstoff, dem grünblauen Scharlach, entledigt hatten, die sie als reisende spanische Kaufleute auswiesen, erzählte Henri:
»Ich hörte vom Verwandten eines Leichenbestatters, dass der Papst unter großen Schmerzen, Erbrechen und Krämpfen gestorben ist. Friede seiner Asche! Er soll einen Schatz aus Avignon mit sich geführt haben, den der Ritter Ricard verwaltete. Eine Million Goldgulden, um einen neuen Kreuzzug zu finanzieren. Dieser Schatz wurde sofort geplündert, auch sein Neffe, Graf Bertrand von Lomague, bereicherte sich daran. Der Leichenbestatter erzählte weiter, bei der Aufbahrung des päpstlichen Leichnams sei es zu einem folgenschweren Zwischenfall gekommen. Eine Kerze fiel auf den Katafalk und setzte alles in Brand. Der Leichnam des Papstes wurde halb verbrannt aus den Flammen gezogen.«
»So fand der Verräter ein würdiges Ende auf seinem eigenen Scheiterhaufen und findet auch nach seinem Tod keine Ruhe!«, murmelte Joshua.
»Er soll vor seinem Ende sogar noch bitterlich beklagt haben, dass er von Habsucht getrieben die Templer nicht geschützt hat. Er weinte und gab sich auch die Schuld am Tod Kaiser Heinrichs und an der Verfolgung der Beginen. Angeblich hat er seinen Tod als gerechte Strafe empfunden. Begraben wurde er in seinem Geburtsort Uzeste, dorthin pilgern seitdem Tausende.«
»Ich werde diesen Ort meiden«, meinte Uthman.
Henri legte ihm die Hand auf den Arm und sagte: »Wir alle werden ihn meiden. Clemens war kein guter Mann. Er hat seine gerechte Strafe bekommen.«
»Unser Weg ist noch nicht zu Ende«, fügte Joshua hinzu, »es lebt noch ein weiterer Verantwortlicher für das Unheil, das Juden und Templern widerfahren ist.«
Die anderen nickten. Weil aber Mara hereinkam, unterbrachen sie ihr Gespräch. »Zwei hölzerne Bottiche sind mit klarem Wasser aus unserem Feldsteinbrunnen gefüllt«, verkündete das Mädchen resolut, »das jetzt heiß genug ist. Ein Korkschwamm, Knochenseife, Handtücher und frisches Unterzeug liegen ebenfalls bereit. Danach werdet ihr besser riechen!«
»Wirst du ihnen den Rücken schrubben, Mara?«, lachte Joshua.
»Wenn die Herren es wünschen?«, meinte das Mädchen ohne Schamgefühl, »es wären nicht die ersten Männer im Bottich, die ich sehe. Wenn sie selbst sich nicht genieren, kann es losgehen.«
Henri und Uthman freuten sich darauf, den Staub von Wochen loszuwerden.
In der Badestube war es nicht übermäßig warm. Sie bestand aus einem Holzverschlag, dessen Ritzen mit Moos und Blättern verstopft waren. In einem flachen, steinernen Herd brannte ein Feuer, der Rauch zog durch eine Öffnung ab. In der Ecke hing an einem Haken sogar eine hölzerne Schwitzglocke von der Decke herab. Während sich die Männer entkleideten und in die Bottiche schlüpften, goss Mara Wasser auf die heiße Herdplatte und verteilte den aufsteigenden Dampf mit einem Büschel Heu. Beide Badende seufzten wohlig, als sie in das Wasser der tiefen, ovalen Bottiche eintauchten.
»Ich kann auch zur Ader lassen, Schropfköpfe aufsetzen und massieren, und ich besitze ein silberbeschlagenes Schermesser für Bart und Haare.«
»Nein, nein«, seufzte Henri. »Ich habe mir den Bart nach dem Tod des Papstes abrasiert, und was jetzt wieder gewachsen ist, kann bleiben. Dem Sarazenen wächst ohnehin, wie du sehen kannst, kein richtiger Bart.«
Das Mädchen begann sogleich, die Oberkörper der Männer mit dem festen Schwamm zu waschen, schnell rötete sich deren Haut. Als Mara sich danach die von einer Pike stammende Wunde dicht über dem linken Knie des Sarazenen ansah, musste dieser mit dem Badequast seine Scham bedecken. Mara machte ein sachkundiges Gesicht und meinte: »Die Wunde ist sauber und schon gut verheilt, ich lege aber nach dem Bad dennoch eine Packung drauf. Während Ihr Euch weiter säubert, bereite ich sie zu.«
»Was nehmt Ihr dazu, Mädchen?«, wollte Uthman wissen.
»Schwarz gestochenen Torf aus der Gegend, der zieht alles Üble heraus.«
Nach dem Bad setzten sich die Männer wieder an das Kaminfeuer. Sie trugen jetzt ihre alte Reisebekleidung über dem frischen Unterzeug. Die Wunde des Sarazenen war verbunden, und Uthman warf dem Mädchen dankbare Blicke zu.
»Woher kommt sie eigentlich?«, fragte er, als Mara in der Küche verschwunden war.
Joshua antwortete: »Sie war Novizin im Hospital des nahe gelegenen Franziskanerklosters, der Prior hat sie verführt, ihr Kind starb bei der Geburt. Danach verließ sie die Gemeinschaft und kam zu mir. Sie ist ein gutes Mädchen.«
Sean brach das darauf folgende Schweigen. »Sie kann hübsch singen, wir singen oft im Duett. Neulich hat sie mir sogar ein Lied gedichtet, wollt ihr es hören, ihr Herren?«
»Später«, sagte Joshua. »Jetzt haben wir Wichtigeres zu besprechen. Sind die Pferde gut versorgt?«