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Aber Enguerrand fühlte sich sicher. Er war zu klug, sich eine Blöße zu geben. Das würde auch Valois noch begreifen.

Aus seinen Gedanken riss ihn ein Rechtsgelehrter im Dienst des Königs. »Sire, lassen sie die Tänze ihren Lauf nehmen, wir müssen über diesen Brief beraten.«

»Ich komme, Dubois.«

Philipp saß schon in seinem königlichen Beratungszimmer bereit, wie immer richtete er seinen starren Blick auf seine Umgebung. Als Enguerrand eintrat, nahm er den stellvertretenden Schatzmeister und den königlichen Agenten Renaud de Roye wahr. Und er wunderte sich, dass auch Isabella, die Tochter des Königs, anwesend war. Sie war mit dem englischen König Edward verheiratet und musste just an diesem Tag zu einem Besuch angereist sein, von dem Enguerrand keine Kenntnis erhalten hatte. Was ging da vor?

Der Minister verbeugte sich angemessen. Es ist wohl wahr, dachte er dabei, sie wird mit Recht »Die Schöne« genannt, ein solches Gesicht und ein solcher Körper bringen einfach alles durcheinander, sagt man nicht, sie sei die Geliebte Mortimers?

»Setzt Euch, de Marigny. Und auch Ihr, Pierre Dubois. Ich hatte auch erwartet, dass der Erzbischof von Narbonne uns die Ehre gibt, denn er hat die größte Erfahrung im Umgang mit den Juden und muss als Großsiegelbewahrer des Reiches zu unseren etwaigen Beschlüssen seine Zustimmung geben. Aber der geschätzte Gilles Aycelin ist wohl verhindert. Ihn ersetzt unser iberischer Berater, der Escribano de Raciön, der als konvertierter Jude seine Glaubensgenossen noch besser kennen dürfte. Also fangen wir ohne die anderen an. Nimmt das Fest draußen seinen erwarteten Verlauf?«

»Die Puppen tanzen, Majestät.«

Philipp nickte befriedigt. Ablenkung von der Misere des Staates und von den wirklichen Plänen des Königs war das Gebot der Stunde. Man musste dem Adel und dem reichen Bürgertum der aufkommenden Städte etwas bieten, dann nahm man ihnen die Angst… und das Geld. Er zog das Papier aus der gebundenen Brokattasche, die vor ihm lag.

»Hier ist der Brief. Wir hatten ihn ja schon verlesen lassen. Er ist uns klug zugestellt worden, das muss ich sagen. Wir haben aus dem singenden Boten nichts herausbekommen. Aber er scheint echt zu sein. So lasst uns darüber beraten. Wenn Ihr Euch Wundert, warum meine liebe Tochter anwesend ist – beachtet es nicht weiter. Es hat nur familiäre Gründe.«

Enguerrands Gedanken kreisten um nichts anderes als seinen Einfluss auf Philipp. Er wusste, dass er dabei Renaud de Roye an seiner Seite hatte. Der König setzte auf Krieg und Gewalt, also hatte er ihm die Soldaten beschafft. Und die notwendigen Waffen. Lanzenträger für die unruhige Bretagne, Ritter für die Normandie, Bogenschützen für die Randprovinzen im Süden und Westen, Kriegsfuhrwerke für die rebellischen Bastionen im Osten, Zugvieh und Steinschleudern gegen die in ihren letzten Komtureien versprengten Templer.

Er blickte zum Schatzmeister hinüber. Ein Jude!, dachte er verächtlich, wenn auch konvertiert. Aber er kommt im ganzen Land herum. So gute Kontakte zu Finanziers, bekehrten reichen Juden und der Adelskaste in Iberien und Frankreich besaß sonst niemand. Nur deshalb hielt ihn Philipp. Er wusste, wo die Maravedis, Golddukaten, Florins und Solidi zu borgen waren, und er musste immer neues Geld für die Könige auftreiben.

Enguerrand hatte ihn für ein einziges Dekret wirklich bewundert, dass herumstreifende Banden aufgegriffen werden konnten und ihr Diebesgut für die königliche Schatulle zu konfiszieren war. Mit solchen Erlassen hielt der Escribano de Raciön den König bei Laune. Sicher strich er dabei selbst großen Gewinn ein.

Philipp deutete auf den stellvertretenden Schatzmeister. »Der Rechenschaftsbericht.«

»Hochwohlgeborener König, hochwohlgeborener Erbprinz Charles, Eure Majestät, Königin Isabella, Ihr Herren Minister! Wir müssen bekennen, dass es uns schmerzt, dass in Frankreich nur noch einhundert jüdische Familien leben. Andererseits sind wir froh darüber, dass es den Juden nun wieder erlaubt sein soll, sich auf dem Gebiet der Krone und der Lehnsherren niederzulassen, wenn auch nur gegen Zahlung hoher Summen. Ich darf es mir zur Ehre anrechnen, den hochwohlgeborenen König zu dieser großen Geste geführt zu haben. Sie können spätestens im nächsten Jahr auch die aufgegebenen Synagogen und Friedhöfe zurückkaufen und die Herausgabe der beschlagnahmten Bücher verlangen. Allerdings mit Ausnahme der Thora.«

Enguerrand blickte zu Renaud hinüber, der blickte hingebungsvoll die Königstochter an. Sie strich sich selbstvergessen ihr goldblondes Haar aus der Stirn, das sie von ihrem Vater geerbt hatte. In ihrem grünen Satinkleid sah sie hinreißend aus. Aber sie wirkte müde, sie hielt die Augen geschlossen, ihr Antlitz war bleich und ohne Regung, es wurde umschlossen vom Brokat ihrer Kopfbedeckung. Sie schien weit weg.

Der Escribano fuhr fort: »Die wenigen verbliebenen Juden müssen zwar viel mehr Steuern zahlen, und auch ihre Sonderabgaben bringen der Krone Geld, aber das ist zu wenig. Deshalb kommt uns dieser Brief gerade recht. Denn sein Absender verspricht uns den Schatz des Tempels. Und er macht die Rückkehr aller Juden nach Frankreich wieder vorstellbar.«

Pierre Dubois, der Rechtsberater des Königs, wollte etwas einwenden, aber der Schatzmeister bat um einen letzten Satz. »Wir müssen Nichtchristen dulden. Nicht zuletzt, weil sie unsere Kassen füllen werden.«

Dubois sagte mit erhobener Stimme: »Die Juden sind eine Gefahr, haben wir das seit ihrer Ausweisung vergessen? Sie hängen den mosaischen Gesetzen an, und damit verführen sie die zum Christentum Konvertierten, heimlich das Gleiche zu tun. Solange die Juden im Land sind, wird es so sein, dass die Bekehrten mit ihnen Kontakt suchen und sich von ihnen verführen lassen. Der Bekehrungseifer der Juden lässt niemals nach. Wo immer sie können, werden sie behaupten, wer seinen Glauben verlasse, tue eine Todsünde! Sie können gar nicht anders, als so zu sprechen und zu handeln. Wir dürfen ihnen also niemals glauben. Und niemals dürfen wir sie wieder in Frankreich ansiedeln!«

Enguerrand dachte, ja, das ist die Sprache der Inquisition. Nützt uns das wirklich? Er hatte viel von seinem Vorgänger Guillaume de Nogaret gelernt, vor allem die taktische Überlegung. Aber der skrupellose, von drei Päpsten gebannte Kanzler war verstorben, und nun musste Enguerrand selbst entscheiden. Er sah Feuer am Himmel heraufziehen. Die Kassen waren leer. Neues Unheil hing bereits mit schwarzen Wolken über ihren Häuptern, es musste nur wie eine Blase mit dem Schwert angestochen werden. Sie brauchten Geld! Und es musste echtes sein, nicht nur immer neues Billiggeld aus den königlichen Münzen!

Dubois fuhr fort: »Ihr Könige! Wir müssen den heiligen katholischen Glauben verteidigen, der heute durch die dunklen Mächte bedroht wird. Die Juden liebäugeln mit diesen dunklen Mächten, wir müssen sie deshalb auf den rechten Weg zurückführen.«

Und ihren Besitz beschlagnahmen, sie verurteilen, verbannen oder verbrennen, dachte Enguerrand. Er sah im Gesicht des Escribano de Raciön, wie er sich zu nennen beliebte, Angst und Wut.

»Und wie, Dubois, soll dies Eurer Meinung nach geschehen?« König Philipps Stimme war hell und klar.

»Mein König, das kann nur auf einem einzigen Weg geschehen. Das Heilige Offizium muss gestärkt werden. Vergesst nicht, wie viel Einnahmen wir dadurch hatten. Es gibt nur eine einzige Herde und einen einzigen Hirten. Wir müssen unduldsam sein gegen jedwede Abweichung. Die Abweichenden müssen… Angst vor der gerechten Strafe haben.«

»So hätte Nogaret gesprochen«, mischte sich jetzt Charles von Valois, der Erbprinz, ein. »Aber wir geruhten einst zu sagen, dass alle Juden des Königreiches uns gehören und unter unserem Schutz stehen und dass es allein uns zukommt, sie zu beschützen und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Erinnert Ihr Euch?«

»Ihr spracht so in Paris, Erbprinz. Doch verzeiht, das ist acht Jahre her – inzwischen sind die Juden vertrieben. Und geschah es nicht unter Eurer Ägide?«