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»Das ist in der Tat so, Dubois. Und wir müssen gegen die Unruhe im Land vorgehen. Flagellanten, Ketzer und Büßerorden ziehen umher und verkünden das Ende der Welt. Sie sagen, im Jahr des Herrn 1315 werde Gott sein Strafgericht halten und alle zu sich rufen. Wir müssen also die Macht des katholischen Glaubens stärken. Aber wie, das ist die Frage. Und wird unsere Sicherheit wirklich von den Juden bedroht? Sind nicht vielmehr die letzten überlebenden Templer in ihrem hochfahrenden Machtanspruch allein schuld an allem?!«

Enguerrand schwieg zu alldem. Er erinnerte sich, dass er vor Wochenfrist selbst erlebt hatte, wie sich Einsiedler in Chartres steinigen ließen, weil sie Stimmen gehört hatten, die ihnen sagten, das Ende der Welt sei nahe, und die deshalb einen gerechten Märtyrertod hatten sterben wollen. Wenn das Schule machte, dann war das Gebäude der abendländischen Christenheit in höchster Gefahr! Mord, Totschlag und Selbstmord lösten dann alle Grenzen auf. Entsetzt über diesen Gedanken, schüttelte sich der Minister des Königs. Wenn doch die Kirche Schutz und Sicherheit böte gegen solche Gefahren! Aber die Juden brachten Geld ins Land!

»Alle Juden sind Gottesmörder. Das haben wir allzu lange vergessen. Wir dürfen hier nicht wanken. Sie müssen draußen bleiben! Und ich verlange, dass man die Konvertierten zusammen mit den übrig gebliebenen Juden ebenfalls hinauswirft! Alle Christen jüdischen Ursprungs vergiften in unserem Land die Seelen der Gläubigen!«

»Seid Ihr wahnsinnig, Dubois?! Das ist eine persönliche Drohung gegen mich!«

Charles von Valois legte die Hände vor die Brust und sagte mit betont gleichmütiger Stimme: »Langsam, Schatzmeister! Wir können nicht auf die Juden verzichten, Dubois. Denn das würde bedeuten, willfährige Steuerzahler zu verlieren. Der Steuerdruck auf den Gebliebenen ist hoch, sie zahlen, ohne zu murren. Ohne diese Einnahmen wäre unsere Staatskasse noch leerer, als sie schon ist. Die Ausweisung dieser Restjuden oder gar der Konvertierten wäre in finanzieller Hinsicht unklug! Unser blinder Glaubenseifer darf nicht unseren staatsmännischen Verstand außer Kraft setzen!«

»Auch ich muss mich wundern«, schaltete sich der Schatzmeister mit wieder gesenkter Stimme ein. »Ich dachte, wir sprechen gemeinsam über die geplante Neuansiedlung der vertriebenen Juden? Jetzt geht es darum, auch noch den verbliebenen Rest zu vertreiben!«

»Es geht in der Frage des richtigen Glaubens nicht um Ökonomie, es geht um Gott, vergesst das nicht!«

»Nein, Dubois, das vergesse ich niemals. Aber seid Ihr eine Instanz in Glaubensfragen? – Majestät!« Er verbeugte sich in Richtung Philipps. »Ich bin ein Mann, der in Geldangelegenheiten zum Nutzen unseres Landes denkt. Alle anderen Beweggründe sind mir fremd. Deshalb bitte ich, mir zu verzeihen, wenn ich vielleicht zu kurzsichtig in wirtschaftlichen Kategorien denke und nicht in Fragen des Glaubens.«

»Schon gut, schon gut!«, winkte Philipp ab.

»Aber seht: Ich glaube, nicht die christliche Geburt wird unser Land in seiner Größe bestätigen, sondern gut gefüllte Schatullen und eine blühende Wirtschaft.«

Jetzt unterbrach ihn Enguerrand. »Wollt Ihr leugnen, dass Frankreich allein deshalb so groß ist, weil der Glaube der Franzosen an den einzigen Gott felsenfest ist und Gott deshalb ganz auf unserer Seite?«

»Dieser Disput bringt uns nicht weiter«, sagte Charles de Valois. »Wir geraten vom eigentlichen Thema ab. Wie verhalten wir uns gegenüber diesem Brief?«

»Wir prüfen ihn sorgfältig«, sagte Dubois.

Der Schatzmeister sagte leise: »Wir müssen zusammenstehen, das ist meine Philosophie. Frankreich braucht die Juden ebenso wie den hohen und den niederen Adel, die Bürger, die Kaufleute, die Handwerker, die Bauern. Das ist meine Meinung. Wir sind ein Land. Und auch die Juden müssen darin ihren Platz finden – die Konvertierten haben ihn bereits gefunden. Pogrome darf es nie mehr geben, sie widersprechen dem richtigen Glauben und der Vernunft. Glauben und wirtschaftliches Kalkül dürfen sich nicht widersprechen!«

»Dubois?«

»Der Glaube an den einzigen Gott, der sich in Christus offenbart hat, das ist es, was uns lenken soll. Nichts anderes! Wir zahlen Gott unsere Schuld zurück, nicht irgendjemandem auf Erde. Das scheint der Herr Schatzmeister zu vergessen. Und kein Wunder, er ist ja selbst ein… ein…«

»Enguerrand?«

»Es ist wahr, der wirtschaftliche Verlust, vom geistigen will ich nicht reden, ist ungeheuer. Geld, Kenntnisse, Geschick, alles ist mit der Ausweisung der Juden verloren gegangen. Frankreich ist ein Land des reinen Glaubens, aber auch ein armes Land geworden. Können wir das wollen?«

»Renaud?«

»Ich schließe mich der Meinung meines verehrten Vorredners an!«

»Escribano?«

Der Schatzmeister war sichtlich gequält von bitterer Galle und erhitztem Blut. Er sagte aber nichts mehr, sondern stand nur schwer atmend da.

Der König hob die Hand, um den Streit abzubrechen. Er starrte seine Ratgeber nachdenklich an und sagte dann nach einer kurzen Pause:

»Vermischen wir doch nicht zwei Dinge. Wenn wir, wie uns der anonyme Briefschreiber mitteilt, den Templerschatz zurückbekommen, der unermesslich ist, das habe ich selbst gesehen, dann brauchen wir keine Juden und keine Judensteuer mehr. Bekommen wir ihn aber nicht zurück, dann erst müssen wir in der Tat ernsthaft darüber nachdenken, die Juden ins Land zurückzuholen. Denn was wir ihnen abnahmen, ist längst ausgegeben, und wir können die Fleischhauer, Winzer, Bäcker nicht mit immer höheren Steuern belegen. Aufstände wie im unseligen Jahr 1306 wären die Folge. Wir brauchen neue Reichtümer, und von wem sollen wir diese bekommen, wenn nicht von unseren überaus fleißigen Juden?«

»Wohl wahr, Majestät!« Der Escribano schöpfte Hoffnung.

»Sehen wir also zu«, sagte Enguerrand jetzt, »dass wir dieses Briefschreibers habhaft werden und sein Angebot prüfen. Wenn er es ernst meint, dann sind wir alle Sorgen los und müssen uns über die Juden keine Gedanken machen.«

»Aber wer ist dieser Mann? Wie heißt er, Joshua ben Shimon? Kennt man ihn? Ist er nicht selbst Jude?«

»Ein Schriftgelehrter und vermutlich auch ein Mystiker, Majestät. Er schreibt, er komme aus dem Heiligen Land. Das ist alles, was er angibt.«

»Woher weiß ein solcher Mann etwas über den Schatz der Templer? Und was treibt ihn dazu, ihn uns zu übereignen? Warum behält er ihn nicht selbst?«

»Juden sind eben treue Leute«, erklärte der Schatzmeister. »Sie stellen das Wohlergehen ihrer Brüder und Schwestern über jeden Reichtum. Heißt es nicht in der Bibeclass="underline" Ihr könnt nicht gleichzeitig Gott und dem Mammon dienen? Der Briefschreiber will für seine Leute ein Auskommen, ein normales Leben in der Heimat. Am Gold der Templer klebt in den Augen eines Juden ohnehin nur Blut. Das Blut seiner hebräischen Brüder und das Blut seiner arabischen Nachbarn, der Sarazenen. Er kann es nicht wollen. Es ist mit einem Fluch beladen.«

»Ist es wirklich so, Escribano?«, fragte Philipp zweifelnd.

»Wir Juden können nicht lügen«, antwortete der Schatzmeister einfach.

»Nun«, sagte Philipp, und ein unangenehmes Lächeln lag auf seinen Lippen, »Ihr werdet es jedoch ertragen müssen, dass dieser Jude, wenn er das Seine getan hat, den Weg aller Verräter geht.«

»Ihr wollt ihn umbringen?«

»Aber Escribano! Was für ein hässliches Wort! Nein, nein. Wir übergeben ihn nur dem Offizium, das seine Seele retten wird. Zu seinem eigenen Vorteil!«

Der Schatzmeister schüttelte sich, als hörte er in diesem Moment eine Kerkertür hinter sich zufallen. Man sah ihm an, dass er darüber nachdachte, wie schnell der König dem die Gunst entziehen konnte, dem er sie gerade noch geschenkt hatte. Jedes halb volle Weinglas ist gleichzeitig halb leer, dachte er.

Und der König sagte: »Lasst uns überlegen, wie wir am geschicktesten vorgehen, um des Briefschreibers und des Tempelschatzes habhaft zu werden! Wir locken ihn in eine Falle!«