Aber jetzt sollte es still um ihn sein. Er brauchte alle seine Gedanken für sich allein. Denn er musste einen weiteren Attentatsplan schmieden. Und dieser durfte nicht scheitern.
Wieder kam er durch dicht bewachsene, urwaldähnliche Gebiete, und der Weg war noch schmaler als ein Ochsenkarren. Unter den mächtigen Korkeichen und Olivenbäumen blühten und dufteten Thymianstauden und Rosmarinsträucher des aufbrechenden Frühlings. Die Natur und das Leben können schön und leicht sein, dachte Henri. Wenn nur der Mensch nicht wäre.
Die erste und die kommende Nacht verbrachte er im Freien, den Pferdesattel unter seinem Kopf. In der dritten Nacht wagte er es, eine Unterkunft zu suchen. Er fand eine abseits des Weges gelegene Priorei und genoss das karge Gemeinschaftsmahl mit den Gebetsbrüdern.
In der vierten Nacht fand er einen Schlafplatz im Portal einer Gemeindekirche, in der schon ein Kaufmann mit seinen beiden Knechten lag. Auch die Pferde hatten in dem schlichten, aber sauberen Vorraum Platz. Der Kaufmann aus Nimes war am Vorabend überfallen worden und warnte Henri vor provencalischen Räubern, die die Wege unsicher machten.
Henri hatte keine Angst um seinen Schatz. Er trug ihn in flachen Beuteln am Körper, das Metall hüllte ihn anstelle des Kettenhemdes, das er früher getragen hatte, wie eine Rüstung ein und verlieh ihm das Gefühl, in einen Kampf besonderer Art zu ziehen.
Am fünften Tag kam er durch eine heideartige Landschaft. In der Ferne türmten sich die Felsen eines Gebirgszuges auf, der Causses de Limoges hieß. Henris Aufmerksamkeit hatte durch den eintönigen Ritt nachgelassen, die Sonne brannte an diesem Frühlingstag beinahe sommerlich heiß vom wolkenlosen Himmel herunter, und der Staub der Straße schmerzte in seinen Augen. Er bemerkte die Rauchwolken nicht, die voraus aus einer unübersichtlichen, mit hohen Schlehenbüschen bestandenen Senke aufstiegen. Als er auf die flache, sandige Anhöhe hinaufritt, die sich in Richtung der Rauchwolken erstreckte, brachen hinter ihm plötzlich aus dem Unterholz mehrere waffenschwingende Gesellen zu Pferde hervor.
Henri riss, unsanft aufgeschreckt, sein kurzes Schwert aus dem Gürtel und streckte es in Richtung der Herankommenden. Er sagte laut mit seiner durchdringenden Baritonstimme: »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?«
Die Männer zügelten ihre wild schnaubenden Pferde dicht vor ihm. Sie trugen farbige Waffenröcke, die aber zerschlissen und schmutzig waren, die Wappen waren nicht zu erkennen. Ein Anführer mit einer wilden Mähne unter dem Lederhelm führte sein tänzelndes Reittier nahe heran. Henri bemerkte schaudernd, dass seine Nasenspitze abgeschnitten und die Wunde von wulstigem Narbengewebe entstellt war.
»Wir sind die Rächer aller verloren gegangenen Schlachten, hahaha! Und wer seid Ihr, wenn man hochlöblich fragen darf? Eurem merkwürdigen Tonfall nach müsst Ihr aus dem Norden kommen.«
»Aus Schottland, wenn Ihr mit diesem Namen etwas anzufangen wisst. Aber im Moment komme ich aus Bordeaux, das uns schützt, und reise nach dem französischen Avignon.«
»Das glaube ich kaum.«
»Was meint Ihr?«
»Eure Reise ist genau hier zu Ende. Wir beenden sie. Das meine ich.«
Henri lachte leise. »Und wie wollt Ihr das bewerkstelligen?«
Das freche Grinsen im entstellten, bärtigen Gesicht des Gesellen verstärkte sich. »Ihr seid allein, wir zu neunt. So bewerkstelligen wir das. Ist dieses Schwertchen da etwa Eure einzige Waffe, äh?«
Henri dirigierte sein Pferd mit einem schnellen Schenkeldruck neben den anderen. Er nahm das Kurzschwert in die Linke, zog blitzschnell den Panzersteckdolch aus dem Gürtel und setzte ihm die Klinge an den Hals. »Aber du wirst nicht mehr dabei sein, wenn es an das Verteilen meiner Kleidung und des Pferdes geht, denn mehr besitze ich nicht.«
Der Anführer erklärte erschreckt: »Vermeiden wir Blutvergießen! Ihr seid wohl Kaufmann und führt irgendwas mit Euch. Gebt uns ein Passiergeld, und wir reiten weiter.«
Henri sagte entschieden: »Ich besitze nur, was ich auf dem Leib trage. Aber ein paar Centimes kann ich euch geben, als Almosen, damit ihr eure Gesichter in Ordnung bringt.«
Der Mann leckte sich unschlüssig die Lippen. Ein listiges Funkeln trat in seine Augen. »Wie viel denn, äh?«
»Neun kleine Münzen. Das reicht für die ganze Bande.«
Henri sah, wie der Bandit rechnete. Zwar konnten die Wegelagerer, wenn sie alles daransetzten, auch den Rest mühelos erbeuten, aber Henri sah es dem Wortführer an, dass er feige war und an seinem erbärmlichen Leben hing.
Der Mann wendete sein Pferd, hatte aber offenbar kein Bedürfnis, die Lage mit seinen Kumpanen zu besprechen. Er drehte sich wieder zu Henri de Roslin um und sagte schlau lächelnd: »Wir sind friedfertige Leute, wenn man uns friedfertig kommt. Aber ihr müsst verstehen, die Zeiten sind schlecht. Da klopft man schon mal um Almosen an. Neun Centimes, äh? Also her damit!«
Henri blieb gewarnt. Er steckte den Dolch in den Gürtel, griff in seinen Mantel und zog eine Handvoll Kupfermünzen heraus, die er für solche Situationen dort verstaut hatte. Er zählte neun Kupfermünzen in die Hand und übergab sie dem anderen, peinlich darauf achtend, sich den Rücken freizuhalten. Dies war nicht einfach, denn die Pferde waren unruhig und tänzelten.
Als der Bandit das Geld in seinen Händen fühlte, schien er sofort befriedet zu sein. Er hob zwei Finger an den rissigen Lederhelm, eine trostlose Geste ehemaligen militärischen Schneids, wendete sein Reittier jäh und preschte an der Spitze seiner Männer in einer Staubwolke davon.
Henri sagte zu sich selbst: Die bin ich noch nicht los! Solche Kerle vergessen nicht die kleinste Niederlage.
Er ritt weiter, so schnell das den immer wieder einsinkenden Hufen seines Pferdes auf dem jetzt tiefen, sandigen Untergrund möglich war. Die Rauchwolken, die aus einem Ort im Tal kamen, der aber unsichtbar blieb, verwehten hinter ihm. Und bald ritt er wieder über flaches, oft auch morastiges Land mit einem heideartigen Charakter, das einen Rundumblick gewährte. Dahinter wurde die Straße besser.
Am Abend sah Henri Wölfe am Horizont und hörte in der folgenden Nacht, die er ohne Lagerfeuer verbrachte, ihr Heulen. Im Wald knackte es, und etwas schlich herum, näherte sich jedoch nicht.
Henri war auf der Hut, hielt sein nicht abgehalftertes Pferd neben sich und schlief nicht in dieser Nacht.
Im Morgengrauen, als er schon erleichtert aufatmen wollte, waren die Wegelagerer plötzlich wieder da.
Diesmal stellten sie es geschickter an. Ehe Henri sich versah, standen die Banditen, bewaffnet mit Dolchen und Piken, im Kreis um ihn herum. An Flucht war nicht zu denken.
»Aufstehen! Wir würden gern auch den Rest der Münzen haben! Das versteht Ihr doch sicher?«
Henri überschlug seine Möglichkeiten. Er hoffte, sie waren wirklich nur an Bargeld interessiert. Aber sie sahen aus wie skrupellose Mörder.
Die Männer kamen noch näher. Unheimliche Gestalten im Morgengrauen, die zu allem fähig sein mochten.
Henri de Roslin war kein Krieger, den Krieg hatte er nur in Akkon erlebt, aber er wusste sehr wohl mit Hinterhalten und Banden umzugehen. Er war darin geschult, abzuwarten, wie sich die Dinge zuspitzten. Jetzt hielt er es jedoch für ratsamer, die Flucht nach vorn anzutreten. Er ging furchtlos auf den Anführer zu und sagte ihm ins Gesicht: »Nun passt einmal auf! Mit Kerlen wie euch bin ich schon fertig geworden, die gibt es nämlich auch in Schottland wie Ungeziefer. Wenn ihr versucht, eure Waffen zu gebrauchen, werde ich euch töten!«
Seine Worte ließen den Banditen unsicher werden. Er dachte wohl, dass sich so entschieden kein Mann verhalten konnte, der nicht einen Trick in der Hinterhand besaß.