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Sonchamp kam in Sicht. Der kleine Ort besaß keine Kirche, Joshua erkannte stattdessen den grauen Getreidespeicher des einzigen wohlhabenden Bauern im Ort. Dann erblickte er auch den kleinen, hölzernen Turm der Täubnerei. Weiße Tauben flogen hin und her. Er ritt vorsichtig näher, immer nach allen Seiten sichernd. Von seinen Gefährten war nichts zu sehen. Aber sie durften sich auch nicht zeigen, um keinen Verdacht zu erregen.

Hinter einem der Bauernhäuser, unter dessen Dach sowohl das wertvolle Vieh als auch die Bewohner untergebracht waren, hielt er an. Er stieg ab und legte die Zügel um einen Sparren. Geräusche vom Holzhacken drangen zu ihm herüber, jemand schichtete Brennholz auf, aus den Schornsteinen drang feiner, grauer Rauch.

Joshua ging hinein. In dem schwachen Licht, das durch die kleinen glaslosen Fensteröffnungen drang, deren Klappen halb geöffnet waren, sah er sich um. Das Bauernhaus war mehr schlecht als recht aus Balken gezimmert, seine Wände bestanden aus lehmgefülltem Flechtwerk. Ein Tisch, eine Truhe und zwei Bänke stellten das einzige Mobiliar dar. Die Luft im Raum war stickig, denn dort lebten auch Hühner, Schafe und Schweine. Die Tiere waren nicht zu sehen, aber nahe an der Tür befand sich ein Misthaufen, von dem ein stechender Geruch ausging.

Dann sah er den Mann im Hintergrund. Er hielt etwas in der Hand. Joshua trat näher. Der alte Täubner, er hieß Buffon und war halb erblindet, streckte ihm den Brief entgegen. Er war mit rotem Wachs versiegelt.

»Wann kam der Brief?«

»Vor drei Tagen in der Nacht, Herr! Die Tauben richteten sich nach dem Vollmond.«

Joshua starrte auf den Brief, dann brach er das Siegel auf. Er überflog die handschriftlichen Zeilen und begann zu lächeln.

»Schlechte Nachrichten, Herr?«

»Gute! Für mich und auch für Euch, Buffon! Hier ist das versprochene Geld. Es ist echte Prägung, auch wenn das Abbild des Königs darauf schon ganz abgegriffen ist. Lang lebe unser König! Und hab Dank, Buffon! Es kann sein, dass ich deine Dienste noch einmal in Anspruch nehme.«

»Jederzeit, Herr.«

»Und zu niemandem ein Wort! Dieser Brief ist hier niemals angekommen.«

Joshua trat nach draußen. Rauch in der Luft. Ein Hund bellte. Sonst lag alles in tiefem Schweigen. Auch das Holzhacken war nicht mehr zu hören. Eine stillere Provinz als diese gibt es nicht, musste er denken. Dann bestieg er sein Pferd und gab ihm die Hacken. Er sah sich nicht um. Aber er wusste, dass sich irgendwo weit hinter ihm drei Reiter auf mit dicken Decken verhängten Pferden bewegten.

Sie hatten einen Wald südlich von Sonchamp verabredet, in dem sie sich treffen wollten. Aus Vorsicht wollten sie nicht auf dem direkten Weg nach Gambais zurückreiten.

Joshua erreichte den Wald. Wenig später trafen die anderen Männer ein. Sie stellten sich im Kreis zusammen. Joshua hielt Henri schweigend den Brief hin. Henri begann ihn wortlos zu lesen, aber Uthman forderte ihn ungeduldig auf, laut vorzulesen.

»Wir sind zu dem Beschluss gekommen, Euer Angebot zu prüfen. Solltet Ihr irgendeine Täuschung im Schilde führen, so wird sie Euch nicht gelingen. Im günstigen Fall jedoch wird Euch reiche Belohnung zuteil werden. Der Schatz des häretischen Tempelordens gehört allein dem Königshof! Wenn Ihr uns Zugang dazu weist, ist es nicht Euer Schade. Kommt nach Fontainebleau, wo Wir mit unserem Hofstaat vierzehn Tage lang verweilen. Es ist die Zeit des vorweihnachtlichen Halali, und Wir werden eine Wildschweinjagd veranstalten. Seid unser Gast! Und verratet uns Eure Geheimnisse! Das Losungswort, mit dem Ihr sofort zu mir geführt werdet, sei Bauseânt!, der alte Schlachtruf der verhassten Templer, dieses Wort wird außer Euch in dieser Zeit niemand zu verwenden wagen! – Philipp, König von Frankreich, im neunundzwanzigsten Jahr seiner Regentschaft.«

»Und im letzten Jahr!«, fügte Joshua hinzu. Er verstand die Demütigung, ihn, den Juden, ausgerechnet zu einer Schweinejagd einzuladen.

Henri ließ den Brief sinken. »Nun ist alles vorbereitet. Begeben wir uns auf die große Saujagd!«

»Wann willst du reiten?«, fragte Uthman.

»Wenn Joshua aus mir einen Juden gemacht hat. Wie lange dauert das, mein Freund?«

»Das hängt ganz von deiner Gelehrsamkeit ab. Ich denke, in zwei Tagen kannst du aufbrechen, Henri.«

»Ich begleite dich, Bruder«, meinte Charleroi. »Nein, ich dulde keine Widerrede! Ein zusätzlicher Templer kann nicht schaden. Wenigstens bis zu den Toren der Stadt!«

»Aber es ist gefährlich. Philipp ist ein listiger Fuchs. Sie könnten uns ergreifen und uns der Folter unterziehen, um uns zum Reden zu bringen. Es ist nahe liegend. So brauchten sie uns nicht den geforderten Preis zu bezahlen.«

»Das werden sie nicht wagen. Denn wenn du nicht sprichst, verlieren sie alles. Ich begleite dich.«

»Also gut.«

»Wenn sie Wildschweine jagen wollen, dann tun sie es im Wald von Bière und Saint Maxence, dort kenne ich mich ein wenig aus. Ich werde dort auf dich warten, wer weiß, ob du dann nicht eine tatkräftige Hilfe benötigst.«

»Nun, so danke ich dir, Bruder Jacques!«

»Reiten wir zurück. Und dann wird der Talmud studiert!«

»Ich kenne den Talmud bereits. Wusstest du nicht, dass ich die aramäische Sprache beherrsche? Wozu habe ich diese Kenntnisse wohl verwendet?«

»Wahrscheinlich – um den Talmud zu lesen.«

»Hüh! Höh!… Willst du wohl laufen!…«

Als sie die Behausung des Juden erreichten, war schon alles vorbereitet. Überall lagen Kleider. Henri de Roslin musste nun in die Gestalt eines aramäischen Gelehrten schlüpfen, der vorher Joshua ben Shimon geheißen hatte.

Die nächsten Stunden waren erfüllt von Beten, Singen und Wehklagen. Henri lernte, sich richtig zu bewegen. Joshua verwandelte sich während der Lektionen in einen rabbenu, was in seiner Sprache »Unser Lehrer« hieß, und Henri, obwohl er schon über vierzig Jahre auf der Erdenscheibe weilte, in einen jungen Eleven.

Noch in der Nacht las er zum Kerzenlicht im Talmud, bis ihm die Augen zufielen. Er schlief an der Tischkante ein. Am nächsten Morgen ging der Unterricht noch vor dem Frühstück weiter. Henri musste das jüdische Morgengebet sprechen, das Joshua schacharit nannte.

»Wenn sie jemanden am Hof haben, der sich auskennt, wird er dich vielleicht Prüfungen unterziehen«, sagte Joshua. »Du musst wenigstens über die geläufigen Dinge Bescheid wissen, um keinen Verdacht zu erregen. Ich werde dir zeigen, wie du die Gebetsriemen anlegst. Du musst richtig beten. Und du musst unbedingt vor jeder Nahrungsaufnahme fragen, ob das Fleisch koscher ist.«

»Ich kann, wie gesagt, Aramäisch.«

»Das ist vortrefflich und wird dir helfen. Aber es ist nicht genug. Um debattieren zu können, musst du beispielsweise das loschen beherrschen, es ist eine Mischung aus Hebräisch und Latein. Wir Juden lieben es, uns zu streiten, und wir tun es in dieser Sprache. Wir streiten uns ständig über die Gesetze und über ihre richtige Auslegung. Jeder legt sie anders aus.«

»Ich beherrsche beides, Latein natürlich mehr als das Hebräische, aber ich kann mich jederzeit verständigen.«

»Zeig es mir!«

Und Henri begann, in scheinbarer Erbitterung, loszupalavern, ein endloser Fluss mal weinerlicher, mal scharfer Anklagen und Entgegnungen.

»Nicht schlecht. Übe es so lange, bis du dem König und seinen misstrauischen Ministern gegenübertrittst! Dann besitzt deine Stimme den richtigen Tonfall, und es wirkt glaubhaft.«

Henri verbrachte den ganzen restlichen Morgen mit dem loschen. Noch während Joshua mit der Hilfe von Mara versuchte, ihm die Haare zu stutzen, anschließend die rituellen Haarlocken neben den Ohren zu kringeln und den Bart in einen jüdischen Bart mit zwei Spitzen zu verwandeln, deklamierte Henri mit weit ausholenden Gesten.

Als sein Äußeres alle zufrieden stellte, lernte Henri, sich den Gebetsschal über den Kopf zu legen. Er musste ihn an beiden Enden anfassen und dann mit einer Drehung aus den Handgelenken heraus auf den Kopf fallen lassen, sodass er sich im Fall bauschte. Henri schien ein Naturtalent zu sein, alles gelang ihm ohne Mühe.