Mara sah dem Treiben amüsiert und verständnislos zu. Dann sagte sie plötzlich: »Wie soll das gehen? Ich habe doch gesehen…« Sie beugte sich zu Joshua und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Nein«, sagte Joshua kopfschüttelnd. »Natürlich ist er nicht beschnitten, da hast du Recht. Aber das ist nicht zu ändern. Sie werden schließlich nicht…«
Henri sah von einem zum anderen. Er nahm sich den Schal vom Kopf, der ihm albern vorkam, und reckte seine kräftige Gestalt. »Wir müssen das alles nicht zu weit treiben«, sagte er. »Entweder es funktioniert oder nicht. Ich will den König töten, nicht in eine Truppe von Schauspielern und Gauklern eintreten, die Narrenspiele aufführt. Kommen wir also zum Ende.«
»Das sind keine Narrenspiele! Die Gebetsriemen«, sagte Joshua. »Wie legt man sie an?«
»Sag es mir, zeig es mir.«
»Jeden Morgen außer am Sabbat legen wir uns Lederriemen an den Arm und über diese kleine Lederschachtel an die Stirn. Nein, an den linken Arm. Mit diesem Tun erfüllen wir die Anweisungen aus dem fünften Buch Moses. Da heißt es: Meine Worte sollst du zum Zeichen binden auf deinen Arm, und sie sollen dir ein Mahnmal sein vor deinen Augen.«
»Und wie macht man das?«
Joshua führte es ihm vor. Er nahm den Riemen, schlug ihn sich zehnmal um den linken Arm und verflocht ihn auf eine besondere Art mit den Fingern. Anschließend führte er ihn über den Kopf. »So. Jetzt mach’s mir nach.«
Henri versuchte es.
»Gut so. Und jetzt bete und bewege dich dabei.«
Henri betete und beugte sich dabei ruckartig vor und zurück. Manchmal hielt er an, um seinen Rhythmus neu einzustellen. Er kam sich schon sehr echt vor.
»Wenn du dich so bewegst, werden sie dich massakrieren! Es sieht aus, als übtest du gerade zum ersten Mal.«
»Das tue ich auch!«
»Es ist dein Todesurteil. Mache es besser!«
Henri übte und übte den ganzen Tag bis tief in die Nacht hinein. Am nächsten Morgen ging es weiter. Er sprach nur Aramäisch, um sich in dieser Sprache flink wie ein Fisch im Wasser zu bewegen. Joshua schärfte ihm ein, dass er bei dem zu erwartenden Festessen in Fontainebleau auf keinen Fall das erlegte Wildschwein verzehren durfte.
»Die Juden dürfen alle Tiere verzehren, die gespaltene Hufe besitzen und wiederkäuen, also auf keinen Fall Pferde, Esel und Schweine. Und auch kein Rind, wenn es nicht koscher ist und nicht geschächtet wurde. Am besten ist es, wenn du dich an Vögel hältst, sie sind in jeder Form erlaubt, Adler, Falken, Fledermäuse, außerdem ist ihr Fleisch fest und zart.«
»Ich gehe nicht zum Schmausen nach Fontainebleau«, erinnerte ihn Henri.
»Aber sie werden dich mit dem Essen ködern«, erwiderte Joshua.
»Wahrscheinlich bringe ich vor Anspannung sowieso keinen Bissen hinunter. Ich kann nur hoffen, dass mir die Ausführung der Tat schnell gelingt, denn es würde mich krank machen, tagelang in dieser Jagdgesellschaft auszuharren. Du weißt vielleicht, dass uns Templern die Jagd ausdrücklich verboten ist.«
»Den Juden ebenso. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen uns, mein Freund.«
»Und etwas, das uns trennt«, warf Uthman ein. »Wir Sarazenen jagen leidenschaftlich gern.«
Joshua sagte: »Jetzt näht dir Mara den roten Ring an. Und probiere noch die gehörnte Kappe. Oh, mir steht sie besser.«
Ein helles Lachen ertönte. Es kam aus der Ecke, in der Sean saß. Ein Blick Henris ließ ihn verstummen.
Joshua beäugte seinen Schützling kritisch. »Achte darauf, dass dir kein Fehler unterläuft!«
»Es wird ihnen egal sein, ob ich ein echter Jude bin oder nicht. Ich muss ihnen nur glaubwürdig versichern, dass ich den Templerschatz habe.«
»Und?«, frozzelte Uthman, »hast du ihn?«
»Das ist der einzige Haken an der Sache«, entgegnete Henri. »Ich habe ihn, ich weiß, wo sich seine verstreuten Teile befinden. Wenn es hart auf hart kommt, weiß ich nicht, ob ich es verschweigen kann.«
»Du meinst?«
»Unter der Folter verrät jeder irgendetwas.«
»Es wird nicht so weit kommen, Henri. Wirf ihnen ein paar Goldstücke hin, dann werden sie anbeißen. Entlocke ihnen ein paar Zugeständnisse in Sachen Judenansiedlung, und das mit Eifer. Das wird sie überzeugen, dass du ihr Mann bist.«
Henri wandte sich an Jacques. »Sie jagen im Wald von Bière und Saint Maxence?«
»Ja.«
»Dort werde ich mein Glück versuchen. Welche Sau dann stirbt, werden wir noch sehen. Gott stehe mir bei!«
8
28. November 1314, Tag des Andreas
»Was ist, Jude?! Nimm die Saufeder auf!«
Ein berittener Jagdjunker im roten Mantel deutete auf eine lange Waffe, die mit ihrer messerscharfen, gewundenen Dreifachspitze im Boden steckte. Sein Schimmel tänzelte nervös vor dem Falben Henris. Dieser hatte Mühe, sein eigenes Reittier im Zaum zu halten, denn im Wald und Unterholz des Forstes von Saint-Maxence lag das Fieber der Jagd.
»Wir Juden jagen nicht!«
»Dann gebt Acht, was jetzt geschieht!«
Henri de Roslin war mitten im Getümmel der Hetzjagd. Weit voran ritt nur der König auf einem mit Gold geschmückten Pferd, daneben acht Falkner. Nur Philipp als Jagdherr und Dirigeant und seine im Abstand reitenden vornehmen Chevaliers und Grafen mit Halskrause, Pluderhosen und Stulpenstiefeln durften Greifvögel auf ihren gepolsterten Armen tragen. Erst dahinter ritt das Gefolge, der Oberhofjägermeister mit dem Jagdfourier, dann Commandanten, Jagdjunker, Pagen und Piqueure.
Noch weiter dahinter bändigten die Treibjäger des Bodenwildes in ihren grünen und braunen Umhängen ihre Pferde; Pirscher und Treiber zu Fuß, mit Pfeifen und Trommeln, marschierten zu allen Seiten, an langer Leine die feinnasigen Fährtenhunde. Die Jagdknechte hatten bereits Fallen gebaut, trugen Wurfnetze und schlugen sich durch das Unterholz. Fronpflichtige Bauern hatten tagelang zu beiden Seiten des Waldes weiße Rolltücher aufgespannt, damit das Wild nur vorwärts preschen konnte.
Jetzt erklangen die Jagdhörner aus Messing und Leder, die den weißen Leithunden das Zeichen gaben, die Hornstöße waren so durchdringend, dass sie das Jagdfieber der Männer und die Angst der gejagten Tiere gleichermaßen erhitzten.
Henri rümpfte die Nase. Schon roch es seiner Umgebung nach dem Kot der erregten Reittiere und nach dem Blut des bereits erlegten Rotwildes, das den hinter ihnen liegenden Pfad säumte. Panische Kleintiere wie Wiesel, Hasen, Iltisse und Dachse rannten durch das Unterholz, aber die Jäger achteten nicht darauf, sie warteten mit ihren Piken, Schleudern und Netzen auf Wildschweine, Tannhirsche, Trappen und Rehe.
Der König begnügte sich mit der Beizjagd mit seinen Falken, dies war die edelste Jagd, einem Herrscher als Privileg angemessen. Philipp hatte seinem Gast am Vorabend begeistert von dieser edelsten aller Jagden, die aus Byzanz eingeführt worden war, berichtet. Später war die persische Falknerei zum Vorbild der abendländischen Beizjagden geworden. Als Beute würden Stare, Wachtelkönige, Möwen und Milane auf den Silbertabletts landen. Aber auch größere Vögel, Reiher, Störche, Auerwild und Geier, schlugen die Falken.
Der König selbst stand der bedeutendsten Falknerschule vor, und während er zu ihm gesprochen hatte, spürte Henri gegen ihn keinen Hass. Er schien seine Profession wirklich zu lieben. »Wenn der Jagdfalke untätig ist, so darf ich nicht zornig werden und ihn darob übel schelten, sondern ich muss fein sanftmütig und geduldig sein. Ich muss den Fehler des Falken mit sittsamer und bescheidener Behandlung wieder gutmachen und ihn fein ordentlich und meisterlich abrichten…«