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Henri hatte sich allen Ernstes gefragt, ob dieser Mann an seiner Seite, der so zierlich und ehrlich sprach, wirklich der Mörder seiner Tempelbrüder war.

Die gewöhnliche Treibjagd am Boden fand jetzt in der Nachhut statt. In der Nähe bewegte sich auch Henri, er hielt jedoch immer Blickkontakt zum König.

Henri hatte seine jüdische Rolle des Jagdgegners gespielt, und der König hatte ihn, wie er es gehofft hatte, doppelt entschieden aufgefordert, die Hatz mitzumachen. »Es ist das grande plaisir des Jahres«, hatte er gesagt. »Dabei wird alles erlegt, was es wert ist, erlegt zu werden. Ihr müsst es einmal erlebt haben, Jude.«

Henri hatte es vorgezogen zu schweigen.

Beim vorabendlichen Festmahl zu Ehren des Jagdheiligen Hubertus im riesigen Bankettsaal mit den hohen tonnenförmigen Holzdecken im Schloss von Fontainebleau – das Philipp beim Auftauchen aus der flachen Einöde der Isle de France wie ein glänzender und gefährlicher Traum vorgekommen war – hatten sie den fremden Juden auf die Probe gestellt. Joshua hatte richtig vermutet. Während Diener mit den schweren Servierplatten über den offenen Hof von der Küche zum Speisesaal eilten und sich jedes Mal verbeugen mussten, wenn sie sich der Tafel näherten, hatte Philipp ihn ausgehorcht. Er wollte alles über ihn wissen.

Henri de Roslin war, so oft es ihm einfiel, in den aramäischen Tonfall verfallen.

Zur Überraschung der anwesenden Gäste flatterten plötzlich kleine Singvögel beim Aufschneiden aus einer Wildpastete, und ein gekochter Schwan glitt in einer großen Schüssel auf grünem Backteig dahin. Als Schweinefilets auf den Tisch kamen, lehnte Henri dankend ab, und er hätte es auch getan, wenn er kein »Jude« gewesen wäre und nicht die inquisitorischen Blicke der Königsberater gespürt hätte. Denn das Essen war lauwarm, das Fleisch auch der gebratenen Tauben und der Pfauen, die man im vollen Federkleid servierte, zäh und flechsig und mit Pfeffer, Senf, Kren und Knoblauch bis an die Grenze des Genießbaren überwürzt.

Der König pickte mit bloßen Fingern einen besonderen Leckerbissen, zarte Bäckchen, aus dem Kopf von gerösteten weißen Brieftauben und bot sie Henri an. Der Gast wollte Philipp nicht verstimmen und aß sie.

Dann stellte der König die entscheidende Frage: »Woher weißt du vom Versteck des Schatzes?«

Henri hatte die Taubenbäckchen heruntergeschluckt und geantwortet, wie er es sich zurechtgelegt hatte. »Ich hatte einen schottischen Freund. Er war Templer. Bevor er in einem orientalischen Gefängnis starb, wo wir beide unter ständig wechselnden Kerkermeistern vegetierten, verriet er mir die Verstecke.«

»Wann war das?«

»Vor Jahren, Majestät.«

»Wer war dieser Templer?«

»Er behauptete, er sei der Schatzmeister des Ordens gewesen.«

»Henri de Roslin? Er ist tot? Und er verriet euch…«

Der König war aufs Höchste erregt und schrie jetzt beim Sprechen und verschluckte sich.

»Ja, Majestät.«

Henri beugte sich seitlich vom Pferd. Er hielt dabei die gehörnte Judenkappe auf seinem Kopf fest und nahm dann die Saufeder vom Waldboden auf. Nur zu seinem Schutz, wie er den Berittenen sagte, um sich vor angreifenden Tieren zu wehren. Insgeheim dachte er: Es wäre sein angemessener Tod, wenn er durch die Saufeder stürbe.

Er gab seinem Pferd die Hacken und ritt weiter nach vorn. Er durfte Philipp nicht aus den Augen verlieren.

Jetzt war die Pirsch als Vorbereitung der Jagd beendet, das Wild auf die abgesteckte Strecke gebracht. Die lärmende Hetzjagd ging voran.

Die Hunde nahmen gleichzeitig mehrere Fährten auf. Zuerst stürzten heulend und kläffend die größten, hochläufigen Bracken durchs Unterholz, nach ihnen versuchten die mittelgroßen Hetzhunde Schritt zu halten, kleinere Bassets und Porcelaines bildeten den Schluss. Eine Meute scharfer Bleu de Gascogne sprang an Henris Falben empor, er musste sie mit Tritten abwehren, sein Pferd stieg panisch auf, und sein Reiter konnte es nur mit Mühe beruhigen. Kurzstielige Peitschen mit meterlangen Lederriemen, von herbeilaufenden Piqueuren geschlagen, brachten die Hunde wieder auf Trab.

Einer der bäuerlichen Treiber, ein Hegereuter mit feuerroten Haaren, war von einem Bluthund ins Bein gebissen worden, er wälzte sich am Boden. Als Henri absteigen wollte, um dem Bedauernswerten zu helfen, kamen Jägerknechte und Leibschützen und schafften ihn in die Nachhut, wo schon andere Opfer versorgt wurden. Bogenschützen und Lanzenwerfer liefen nach vorn, das Fußvolk schrie, die Pferde wieherten erregt. Es ist wie in einer Schlacht, dachte Henri de Roslin, nur gilt der gemeinsame Hass hier den wehrlosen Tieren.

Er sah, wie der König jetzt seinen Falken fliegen ließ. Der Greifvogel stieg auf, kreiste über ihren Köpfen und stürzte sich dann herab auf eine unsichtbar bleibende Beute. Ein anderer Falke verfolgte einen Milan, den Henri an seinem Schwalbenschwanz erkannte, und schlug ihn im Flug.

Es war ein schöner Anblick, fast wie ein heiteres, tänzerisches Spiel in den Lüften.

Die Bodenjagd dagegen war von roherer Natur und widerte Henri vom ersten Moment an.

Jünglinge mit rotblau gestreiften Überwürfen überholten Henri. Sie trugen das Jagdgerät, Speere mit gezackten Eisenspitzen, kurze Wurflanzen und vierfach gesäumte Netze. Einige führten zur niederen Vogeljagd auch Leimruten, Kescher und Fußschlingen aus Pferdehaaren mit sich. Sie lenkten gleichzeitig die Nachhut von zusammengekoppelten Hunden, schwere und geifernde Saupacker, die wie Ritter gepanzert waren. Jemand schrie: »Volez! Volez! Mes chiens! Après! Bon chasse!« Im nächsten Moment, das endgültige Jagdrevier war erreicht, löste man die Jagdhunde, und die Rotte stob davon. Die Jäger ermunterten ihre Sauhunde durch das Blasen ihrer Rufhörner.

Auf einer Bergkuppe, dort, wo ein schwacher Sattel entlang des Höhenkamms verlief, zeigte sich plötzlich ein Rudel Damwild. Es war ein Tageseinstand, wie es Wild liebte, mit einem windgeschützten Dickicht aus Adlerfarn und gutem Schutz gegen die Nässe. Die Meute hetzte los. Mutig versuchten sich Hirsche der Übermacht zu erwehren, und einige Hunde wirbelten, von den Geweihen getroffen, durch die Luft. Aber als die Jäger den Kampfplatz erreichten, wurde der Kampf schnell entschieden, sie durchbohrten mit Lanzen die Tiere, zuckend verendeten auch die stattlichsten.

Henri sah dem Geschehen unwillig zu. Er überlegte, wie lange die Jagd währen würde. Immerhin wusste er inzwischen so viel, dass die Jagd nach den Wildschweinen in aller Herrgottsfrühe stattfinden musste. Jetzt war es jedoch schon Nachmittag. Man würde also die Jagd bald abbrechen, im königlichen Zeltlager übernachten und einen weiteren Tag jagen.

König Philipp verließ sein Schloss, in dem er geboren worden war, nur noch zur Jagd. Henri hatte überlegt, ob er ihn in seiner glänzenden Residenz erledigen sollte. Aber die Jagd und das unwegsame Gelände im Forst boten ihm mehr Möglichkeiten. Er musste einfach abwarten und im entscheidenden Moment zur Stelle sein.

Der König gab bald ein Zeichen, und die Bläser ließen die Halali-Fanfare, das do mort ertönen, die Jagd war für heute beendet.

Die Jagdgesellschaft wandte sich jetzt in Richtung einer schon vorbereiteten Feuerstelle, um das Jagdmahl zu halten. Hier waren schon reichlich geschmückte Zelte aufgeschlagen. Die beste Trophäe, der rechte Lauf des kapitalsten Hirsches, wurde dem König als Ehrengabe von seinem Oberpiquer überreicht. Die Jagdgehilfen legten die bisherige Beute in zwei lange Reihen und verteilten sie. Jeder bekam seinen Anteil aus der üppigen Strecke. Einige begannen sofort, die Tiere mit einfachem Weidbesteck zu zerlegen, doch die Aufseher scheuchten sie fort.

Der König kam herangeritten. Er hielt seinen Falken, an seiner Seite baumelte das edelsteingeschmückte Jagdhorn aus Elfenbein. Er sagte zu Henri: »Nun, Jude, wie gefällt dir unser Vergnügen?«